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Alois Schöpf
Es ist nie zu spät.
Was Hänschen nicht lernt, kann Hans noch lange lernen.

Ich habe als Zehnjähriger mit dem Klarinettenunterricht begonnen. Nicht unbedingt deshalb, weil ich ein Instrument erlernen wollte, sondern eher, weil ich auf diese Art dem strengen Tagesablauf des Internats ein Schnippchen schlagen konnte. Im Musikhaus üben oder Unterricht nehmen war nämlich immer möglich. Aufgrund dieser Motivationslage war mein Lernerfolg, wie es so schön heißt, enden wollend. Hinzu kommt, dass unsere damaligen Lehrer in den 1960-er-Jahren mehr oder weniger aus dem Krieg ins Internat versprengte ehemalige Berufsmusiker waren, die weder von ihrer pädagogischen Qualifikation her, noch im Hinblick auf das Unterrichtsmaterial, das ihnen zur Verfügung stand, mit den luxuriösen Verhältnissen von heute verglichen werden können.

Stets ein wenig zu faul und daher nur mäßig gut beendete ich meine Schulzeit und geriet, natürlich nur ganz am Rande, in die Zeit der sogenannten 68-er-Revolution, in der Blasmusik als zumindest paramilitärische, wenn nicht gar faschistische Betätigung galt, sodass die Klarinette gleich einmal in den Tiefen des Kleiderschranks verschwand. Erst Anfang der 1980-er-Jahre konnte sie wieder hervorgeholt werden, da durch die aufkommende Grünbewegung das Leben am Lande und in der ruralen Gemeinschaft wieder an Ansehen gewann. Ich trat der örtlichen Musikkapelle bei und ärgerte mich als ausgewiesener Klassik-Fan in der Folge immer öfter über die kompositorisch minderwertigen Programme. Um es selbst besser zu machen, absolvierte ich, reichlich spätberufen, den Kapellmeisterlehrgang am heimischen Konservatorium und übernahm in der Folge zwanzig Jahre lang verschiedene Musikkapellen und Blasorchester, die mich sowohl als Kapellmeister wie auch als Manager in einer Weise herausforderten, dass neben spärlichem Klimpern am Klavier keine Zeit übrigblieb, auch noch am Instrument zu üben. Das änderte sich vor einigen Jahren, als ich die nervliche Belastung jenes Double Binds nicht mehr ertrug, als Dirigent ständig ein freundliches Gesicht machen zu müssen, aufgrund des andauernden Kampfs gegen Schlamperei und Unverlässlichkeit jedoch am liebsten vor Wut platzen zu wollen.

Ich beschloss also, musikalisch plötzlich arbeitslos, wieder mit dem Klarinettenspiel zu beginnen und dabei die Gelegenheit zu nützen, auf das französische System mit seinem im Durchschnitt helleren, obertonreicheren Klang umzusteigen. Dies geschah übrigens in einem Alter, in dem die meisten meiner Bekannten ihre Pension antraten, was für mich als Freischaffender nie ein Thema war. Wenn ich im Folgenden daher kurz über die Erfahrungen meines Wiedereinstiegs berichte, beschäftigt sich der erste Punkt meiner Empfehlungsliste mit dem unausgesprochenen, jedoch sehr wirkmächtigen Vorurteil, wonach es im Rentenalter unmöglich sei, noch etwas neu zu erlernen. Schon gar an einem Musikinstrument, von dem es doch heißt, dass es nur dann virtuos beherrscht werden kann, wenn man es spätestens als Siebenjähriger zu erlernen beginnt. Geschenkt! Dies mag für Virtuosen und Profimusiker gelten, aber doch nicht für einen Klarinettisten, der in einer Mittel- bis Oberstufenkapelle am zweiten oder dritten Pult einigermaßen mithalten möchte.

Daher:
1. Das Rentenalter ist nicht jene Zeit, in der man sich zurücklehnen sollte, um endlich zu genießen, was einem ein ganzes Leben lang verwehrt war. So gescheit dürfte man doch inzwischen geworden sein, um zu erkennen, dass das menschliche Glück immer eine Frage des Gefälles zwischen Anstrengung und Genuss ist. Dass also jede Zufriedenheit, die man erreichen möchte, ihren Ausgangspunkt immer nur in einem Bemühen hat, das auf Vollkommenheit abzielt. Dies gilt für die Liebe in gleicher Weise wie für einen schönen Garten, für eine gelungene Reparatur am Haus in gleicher Weise wie für ein überzeugend aufgeführtes Musikstück.

2. Es kann schon sein, dass man im Alter langsamer lernt. Dafür weiß man viel klarer, was man will. Man ist, diszipliniert durch seinen Beruf, konsequenter und übt, wie es sein sollte, jeden Tag zumindest eine halbe, wenn nicht eine ganze Stunde. Das haben in der Jugend nur die Konsequentesten geschafft. Ihr Lohn fiel denn auch entsprechend aus: Sie waren die Besten und man konnte zu ihnen aufschauen.

3. Nehmen Sie auf alle Fälle Unterricht. Nicht nur die Lernmethoden haben sich verbessert, auch im Umgang mit dem Instrument, mit den Mundstücken, im Falle der Klarinette mit dem Blatt, sind viele neue Erkenntnisse dazu gekommen, die Ihnen nur ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin weitergeben können. Hinzu kommt, dass die Regelmäßigkeit des Unterrichts und die Angst, sich im Unterricht zu blamieren, eine zusätzliche starke Motivation ist, fleißig zu üben.

4. Gleichzeitig sollten Sie ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin von vornherein klarmachen, dass Sie aufgrund ihres Alters nicht mehr so viel Zeit haben wie ein Jugendlicher und daher einen Unterricht wünschen, der wesentlich gestraffter abläuft und mehr auf Tonbildung und Technik und weniger auf den pädagogischen Wohlfühlfaktor abzielt.

5. Um das Ziel zu erreichen, in Sachen Technik rasche Fortschritte zu erzielen, stehen dem Lernenden heute großartige Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Ich denke hier nur, was Klarinettisten betrifft, an die wunderbaren Trainingseinheiten von Fritz Kröpsch, der alle nur denkbaren Schwierigkeiten auch für den Laien beherrschbar in kurze und sogar wohltönende Übungsfragmente verpackt hat, die man je nach Leistungsniveau langsam oder rasch, mit oder ohne Metronom einüben kann.

6. Zuletzt wäre es unfair, wenn ich an dieser Stelle nicht meines langjährigen Sitznachbarn bei der K.u.K Postmusik Tirol gedenken würde, Jakob Mitterdorfer, inzwischen über 80 Jahre alt, ein ehemaliger Postbeamter, der in seiner Jugend vor der Entscheidung stand, professioneller Musiker zu werden, und der, trotz seines hohen Alters, heute noch den meisten unseres Registers überlegen ist. Er hat mir in den letzten Jahren nicht nur viele wertvolle Tipps zugeflüstert, und mir, wenn ich wieder einmal ein Vorzeichen vergaß oder das dreigestrichene c zu tief intonierte, in die Seite gestoßen. Er hat mir auch durch sein Können und seine geistige Wachheit bewiesen, dass es auch im Alter für einen Wiedereinstieg niemals zu spät ist. Weil man, wenn man ein wenig gesundheitliches Glück hat, noch viele Jahre des gemeinsamen Musizierens vor sich haben kann. Und weil das Spiel am Instrument, was die Mediziner ja schon längst predigen, eine der schönsten und befriedigendsten Möglichkeiten ist, sich im Sinne seines ganz persönlichen Anti-Aging-Programms jung und fit zu halten.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich angesichts niedriger Geburtenraten die Musikvereine endlich mehr auf die Akquisition älterer Semester und von Wiedereinsteigern verlegen. Hier läge ein riesiges „Missionsgebiet“, das es flächendeckend zu erschließen gälte.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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