Print Friendly, PDF & Email

Egyd Gstättner
Digitale Altersdiskriminierung
Wie die Republik ihre Bürger quält.
Essay

Als ich heute Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, hatte sich die Republik Österreich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt. 

Ich hatte unlängst um ein Arbeitsstipendium (1500.-) für meinen neuen Roman Der Zauberer des Jahrhunderts angesucht, an dem ich seit Jahren intensiv arbeite, und nun teilte mir das Kunstministerium mit, Anträge in analoger Form, wie ich sie schon mein Schriftstellerleben lang (weit über 30 Jahre) stelle, würden nicht mehr bearbeitet. 

Die Kunstministeriumsbeamtin, mit der ich seit Jahrzehnten korrespondiere, teilte mir mit: Seit Mai werden Ansuchen online gestellt und somit bitte ich Sie um ein neuerliches Ansuchen in diesem Tool. Anbei sandte sie mir einen virtuellen Weg. Bei technischen Fragen stünde mir die Kanzlei als Help Desk telefonisch per E-Mail zwischen 10.00 – 11.00 und 13.00 – 14.00 zur Verfügung. 

Sie empfahl mir, den Online Antrag am Weg des Transparenzportals zu übermitteln. (Anmeldung über die Anmeldemaske mittels USP oder ID Austria Kennung. Wenn Sie im Transparenzportal angemeldet sind, können Sie über folgende Links… et cetera. Mit herzlichen Grüßen).

Ohne dass ich etwas Böses getan oder geschrieben hätte, war ich mit einem Mal aus der Welt geworfen und vom öffentlichen Leben abgeschnitten. Ich war regelrecht schockiert und stelle mich nun darauf ein, in meiner beruflich unabdingbaren und geradezu wesensspezifischen Weltfremdheit infolge Altersdiskriminierung der Republik Österreich nach guter, alter Schriftstellersitte zu verhungern. Bevor ich aber damit beginnen würde, arbeitete ich noch an einem Antwortschreiben an die Kunstministeriumsbeamtin (nachrichtlich an den Sektionschef mit Bitte um Weiterleitung an den Minister – wer immer das auch gerade ist):


Sehr geehrte Frau Sch.! 

Was ist ein Tool? Was ist ein Help Desk? Was ist ein Transparenzportal? Was ist eine Anmeldemaske? Was ist ein UPS? Was ist eine ID Austria Kennung? Was habe ich Ihnen getan? Können Sie es denn gar nicht erwarten, dass ich vom Planeten subtrahiert bin? 

Ich beeile mich ohnehin! Ich bin mein Schriftstellerleben lang den Alleingang gegangen, nicht den virtuellen Weg. Am virtuellen Weg bräche ich mir alle virtuellen Oberschenkenhalsknochen, und wir wissen, wohin solche Oberschenkelhalsbrüche in meinem Alter führen… Auch mein letzter Weg wird kein virtueller sein! Technische Fragen (zwischen 10.00 und 11.00 und 13.00 und 14.00 könnte ich (sofern ich durchkomme) natürlich nur formulieren, wenn ich das technische Rüstzeug dafür hätte, das ich als Nichttechniker, Nichtcomputerspezialist, Nichtvirtuellologe nicht habe, es sei denn, es wäre das griechische techne (Kunst) gemeint. Aber auf solche semantischen Spitzfindigkeiten, wiewohl Wahrheiten, wird sich die Kanzlei (welche Kanzlei?) beim Prozess, mich aus der Realität zu mobben, wohl nicht einlassen.

Ich verstehe Sie nicht. Ich kann Sie nicht verstehen! Sie überfordern mich völlig. Sie überrollen mich. Bitte korrespondieren Sie als Vertreterin des Österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur mit mir als Repräsentant der Österreichischen Literatur in der Amtssprache Deutsch. Bitte verbreiten Sie in Ihrem Zuständigkeitsbereich mein Anliegen um altersgerechte menschenwürdige Behandlung und Kampf gegen die um sich greifende demütigende amtliche Altersdiskriminierung!

Mit ebenso herzlichen, nichtsdestotrotz wütenden Grüßen
Dr. Egyd Gstättner (60+) & Dr. Franz Kafka
p. s. Sehr herzlich lässt Sie auch mein Vorgänger Johann Nestroy (60+) grüßen und teilt Ihnen analog mit: Der Fortschritt hat es an sich, dass er viel größer ausschaut als er ist.


Die Republik Österreich quält ihre Alten und Kranken.

Die Republik Österreich terrorisiert ihre ältere Bevölkerung. Die Österreichische Bundesregierung diskriminiert Millionen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Die Republik Österreich und die Österreichische Bundesregierung haben beschlossen, mit ihren älteren Mitbürgern, welches Anliegen die auch immer haben mögen, ab sofort nur noch online zu kommunizieren. 

Entweder die Alten verstehen ab sofort Tools, Help Desks, virtuelle Wege, ID Austria-Kennung, Transparenzportal, Anmeldemaske, TAN, USP , hören sich stundenlang Anrufbeantwortertonbänder an, die sagen, sie mögen nicht ungehalten sein, ein nochmaliger Anruf würde neu gereiht und verlängerte daher die Wartezeit etc. – oder man ignoriert sie – und sie sind als Online-Aussätzige de facto außerhalb des Staates. Man spricht mit seinen Alten chinesisch, und wenn sie es nicht verstehen, lässt man sie amtsachselzuckend sterben.

Es gibt noch immer Menschen, die ihre Schulpflicht erfüllt, maturiert, studiert, dissertiert, promoviert und die virtuelle Realität und die Digitalitätspest anschließend nichtsdestotrotz ihr Leben lang gemieden haben, sich nirgendwo registriert, eingeloggt und weder ein Passwort noch ein Kennwort haben, zeit ihres Lebens nicht ein einziges Produkt im Internet bestellt und gekauft haben, weder eine Eintrittskarte noch ein Zugticket, die keine App herunterladen oder downloaden oder anwenden etc., keine Cookies genehmigen und auch nicht wissen (und nicht wissen wollen), was das ist, (in ihrer Vorsicht daher keinem Gauner, keiner Gaunerin auf den Leim gegangen sind) ebenso wenig sagt ihnen ID Austria Kennung, TAN u. s. w. etwas. 


Noch ist kein Online-Pflicht-Gesetz erlassen worden. 

Dennoch werden Menschen von den Online-Amts-Terroristen der Republik Österreich und der Bundesregierung und des Bundesministeriums für Kunst und Kultur weggemobbt, als gäbe es ein solches Gesetz.

Die Alten haben keine Stimme und keine Lobby mehr, aber sie wissen von alters her, dass es der Fortschritt an sich hat, dass er viel größer aussieht, als er ist. Die Alten wissen, dass sie von diesem Fortschritt nichts mehr haben werden außer Nachteile, Hürden, Barrieren, Schäden. 

Natürlich wissen sie, dass sie die rasante technologische Entwicklung nicht aufhalten werden, aber sie lassen sie sich auch nicht aufzwingen. Sie beharren auf ihrem Grundrecht auf ein analoges Leben, zu dem sie auf die Welt gekommen sind, und nehmen das moralische Recht in Anspruch, vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Sie wollen ihr Leben in Frieden in der Art und Weise zu Ende leben, wie sie es gelebt haben. Sie wollen nicht als Digitalisierungsterroropfer enden. 

Einen alten Baum pflanzt man nicht mehr um. Die Republik Österreich und die Österreichische Bundesregierung und die Digitalisierungsstaatssekretärin (wer immer das auch sein mag) sind sich zu gut für Übergangsbestimmungen.
Was die Republik Österreich und die Österreichische Bundesregierung noch nicht begreifen: Sie schneiden sich mit ihrer blinden Fortschrittswut ins eigene Fleisch.

Indem die Republik Österreich und die Österreichische Bundesregierung alte Bäume zwangsumpflanzen, fällen sie sich selbst.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    auch ich verstehe oft nur bahnhof bei den einreichungsbedingungen. ich bin ein in den meisten belangen zutiefst analoger mensch und eine ebensolche autorin. hab mich selbst schon zuerst gewundert, dann geärgert über das, was man uns nun in allen bereichen aufzwingen will. eine wahl zwischen einreichungsformen analog und digital müsste doch zu verwirklichen sein – bei etwas gutem willen der verantwortlichen. also bitte …

Schreibe einen Kommentar