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Alois Schöpf
Zu satt, zu ignorant und zu selbstbezogen
Fortsetzung: 2. Für das Theater: Peter Handke, Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard
Essay

Jeder Musikliebhaber soll selbst beurteilen, wie ihm die Werke eines Pierre Boulez gefallen. Über YouTube sind sie jederzeit mit wenigen Klicks zugänglich. Dies gilt in abgewandelter Form auch für die literarischen Werke eines Peter Handke, einer Elfriede Jelinek und eines Thomas Bernhard, die in zahlreichen Publikationen vorliegen bzw. im Falle von Elfriede Jelinek sogar über eine eigene Homepage abgerufen werden können.

Es geht hier also weniger darum, die literarische Qualität der genannten Autoren zu beurteilen. Dies soll den Leserinnen und Lesern selbst vorbehalten bleiben. Es geht vielmehr um die Auswirkungen, welche die eigenartigen Karrieren der Genannten und ihre oft unverdaulichen und beleidigenden Werke auf das Image der Kulturschaffenden speziell im Bereich des Konzertlebens, der Oper und des Theaters hatten und haben. Denn nur wer zu begreifen imstande ist, in welchem Ausmaß, unterfüttert mit der Macht staatlicher Subventionen und einzementiert im Sendeschema staatlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten ein breites und im Prinzip gut- und lernwilliges Publikum durch Leute wie Boulez, Handke, Jelinek, Bernhard und ihre zahllosen Replikanten vor den Kopf gestoßen wurde, kann nachvollziehen, dass die Corona-bedingten ökonomischen Nöte vieler Kulturschaffender, die nicht das Glück hatten, ein Angestelltenverhältnis zu ergattern, auf wenig Empathie stoßen und daher gesellschaftspolitisch nicht wahrgenommen werden.

Dennoch sei, was die literarischen Qualitäten eines Peter Handke betrifft, auf den Beitrag Egyd Gstättners verwiesen, der am 28.10.2020 im vorliegenden schoepfblog von seinen quälenden Leseerfahrungen berichtet, denen er bei der Lektüre der ersten 28 Seiten des Romans „Die Obstdiebin“ ausgesetzt war. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle auch meine eigene Analyse von „Versuch über den Stillen Ort“, ein ziemlich groteskes Büchlein, in dem sich der Autor seinen auch in diesem Fall äußerst dürftigen und verschrobenen Erfahrungen auf oder in verschiedenen Toilettenanlagen der Welt widmet. Die Analyse erfolgte in meinem Buch „Wenn Dichter nehmen“, einer Darstellung des korrupten österreichischen Literaturbetriebs und hier insbesondere des Handels mit sogenannten Vorlässen, also Nachlässen zu Lebzeiten des Dichters, aus denen Handke, als einer der tüchtigsten von allen, bereits vor der Zuerkennung des Nobelpreises in Deutschland und Österreich an die 700.000 € an öffentlichen Mitteln lukrierte.

Damit sind wir jedoch bei der zentralen Qualifikation nicht nur dieses Dichters angelangt. Was Handke betrifft, so bewies er sein Marketinggenie bereits im April 1966, als er bei Erscheinen seines ersten Romans „Die Hornissen“ in Princeton die älteren Schriftstellerkollegen der Gruppe47 anflegelte und der Beschreibungsimpotenz bezichtigte. Besonders im Fokus stand dabei Hans Werner Richter, Initiator und graue Eminenz der Gruppe 47, von dem ich aus persönlicher Leseerfahrung nur sagen kann, dass er mich mit seinem Kriegs-Roman „Die Geschlagenen“ wesentlich nachhaltiger beeindruckte, als es je einem der Werke Peter Handkes gelungen ist, die biedere realistische Erzählung über die Mutter des Autors „Wunschloses Unglück“ miteingeschlossen. Handkes Auftritt verursachte im Feuilleton jedenfalls genau jenen Sturm im Wasserglas, der notwendig war, um seiner im Juni desselben Jahres erfolgenden Premiere „Publikumsbeschimpfung“ die notwendige Resonanz zu verschaffen. Ab diesem Zeitpunkt war Handke als der dichtende Schatten einer ganzen Generation inthronisiert. Stammelnd, narzisstisch, sprachzweiflerisch, sprachverzweifelt und ununterbrochen auf der Suche nach sich selbst nahm er es von nun an gleichsam als ein Christus der 68-er Revolutionäre auf sich, mitten im Wirtschaftswunder und somit durch die Gnade der Geburt vom Kreuzestod befreit, über Frauen, Beziehungskisten, Scheidung, den Status des alleinerziehenden Vaters, des seine ursprüngliche Heimat Wiederentdeckenden, als Diktatorenfreund Missverstandener und Wütender den Marsch seiner Generationskollegen und Generationskolleginnen durch die Institutionen bis zuletzt als immer versponnenerer, esoterischerer Gartenlaubeautor zu begleiten.

Wenn man schon bei Peter Handke nur noch ungläubig den Kopf schütteln kann, wie ein solch mittelmäßiger Autor jemals den Nobelpreis zugesprochen bekommen konnte, ist das Erstaunen bei Elfriede Jelinek noch größer. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, wie auch in der Wiener Zeitung vom 1.1.2020 festgestellt wird, dass die präzise recherchierte Reportage der schwedischen Autorin Matilda Gustavsson „Klubben“ (deutsch: Der Club) bislang noch keinen deutschsprachigen Verleger fand, wird darin doch ein Blick hinter die Kulissen einer Schwedischen Akademie geworfen, in der bis zu ihrer Reform im Jahr 2019 sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung waren und die Nominierung von Preisträgern von den Intrigen besonders dominanter Jurorinnen und deren Gatten abhängig war. Nur wer diesen korrumpierten Sumpf einer offenbar vollkommen abgehobenen schwedischen Literaturszene miteinberechnet, ist nicht weiter über Entscheidungen erstaunt, aufgrund derer Schriftsteller und Schriftstellerinnen den höchsten literarischen Preis erhielten, deren Format etwa im Verhältnis zu einem Alexander Solschenizyn, der den Preis im Jahre 1970 zugesprochen bekam, nur noch als zwergenhaft eingestuft werden kann. Wer dies im Hinblick auf Elfriede Jelinek bestreitet, möge von einem ordentlichen Gericht dazu verurteilt werden, 100 Seiten von einem jener Texte zu lesen, die als Mahnmal manifester Logorrhö unter https://www.elfriedejelinek.com/ einsehbar sind.

Jelinek Karriere entwickelte sich aus den zeitgeistigen Freifahrtscheinen Kommunismus, Antifaschismus, Feminismus und professionelle Selbstpräsentation als aparte, um nicht zu sagen schöne Deutsche Dichterin und endet zunehmend aufgrund der Wertminderung des ersteren und letzteren in immer größerer Verbitterung. So bedeutungslos sie am Buchmarkt wurde, für das Theater taugt sie noch immer, sind ihre Textflächen und Montagen doch willkommene Benefits für Regisseure, die entweder nicht in der Lage oder zu faul sind, sich ihre Stücke selbst zu schreiben, es zugleich jedoch als Zumutung empfinden, sich als erhabene Geistesgrößen der logisch voranschreitenden Handlungsführung eines Autors, der sie nicht selbst sind, unterzuordnen. Das politisch korrekte Gebrabbel der Dichterin bietet Ihnen die willkommene Gelegenheit, den Fundus aller inzwischen bis zum Abwinken bekannten Trivialitäten des Regietheaters noch einmal auf ein Publikum loszulassen, das, linksliberal, spießig, siebengescheit und sich für gebildet haltend, vor allem um Zwecke des Get-togethers und Distinktionsgewinns im Zuschauerraum sitzt und nicht, um irgendetwas Neues über die Welt und ihre meist ohnehin als rechtsradikal abqualifizierten Zeitgenossen zu erfahren.

Wenn Thomas Bernhard aufgrund seiner Krankheit nicht viel zu früh gestorben wäre, hätte wohl er und nicht Handke oder Jelinek den Nobelpreis erhalten. Er hätte ihn jedenfalls mehr verdient. Durch seine unglaublich musikalische Sprache und sein kreisförmiges Insistieren auf existenziellen Problemen, dieses In-sich-selbst-verbohrt-sein, das die meisten Menschen von jenen Wachträumen her kennen, mit denen sich etwa eine Grippekrankheit ankündigt, oder von denen viele Menschen auch untertags gequält werden, wenn sie etwa mit einer gefährlichen Krankheitsdiagnose konfrontiert wurden und nun plötzlich in einer Mischung aus Abwehr und Zurkenntnisnahme dem eigenen Lebensende gegenüberstehen: dieser aus großem sprachlichen Können, oberösterreichischer Melancholie und einer durch die eigene lebenslängliche Krankheit gekennzeichneten Selbstbefragung und Selbstbeobachtung entwickelte unverwechselbare Duktus ließ Bernhard zweifelsfrei zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der letzten Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum werden. Was ihn zudem von Handke und Jelinek unterscheidet, ist sein Humor und seine Selbstironie, durch die etwa ein Roman wie „Holzfällen“ nicht nur zu einer gnadenlosen Abrechnung mit einer läppischen, eitlen Kulturszene wird, sondern auch zu einem humoristischen Meisterwerk, in dem sich der Autor selbst genauso wenig schont wie die übrige feine Abendgesellschaft.

Dennoch liegt es auf der Hand, dass Bernhard, der im Grunde ein ganzes Leben lang nur einen einzigen Monolog fabrizierte, den er je nach Bedarf mit der Schere durchtrennte und für den Verkauf als Roman oder für die Bühne freigab, kein einziges Stück geschrieben hat, das auch nur ansatzweise die üblichen und über Jahrhunderte bewährten dramaturgischen Bedingungen eines Theaterstücks erfüllt. Es ist auch nicht bekannt, dass er mit seinen Stücken eine auch für andere Schriftsteller gültige Revolution einleiten wollte. Nein, in gleicher Weise wie Handke, der inzwischen nur noch Anleitungen dafür gibt, in welcher Weise sich Schauspieler unter welchem esoterischen Aspekt und mit welcher Körperhaltung von links nach rechts auf der Bühne zu bewegen haben, und in gleicher Weise wie Jelinek ihre Textflächen abliefert, um einem Regisseur die Gelegenheit zu bieten, sich auszutoben, in genau dieser Weise kreierte auch Bernhard Schwatzköpfe, die sich einen ganzen Abend lang über die Kunst oder über das angeblich immer noch nationalsozialistische Österreich auszulassen haben, eine unendlich sich dahinziehende Qual, der ich mich bei der Uraufführung des Stücks „Die Jagdgesellschaft“ am Burgtheater in Wien 1974, von Fernsehübertragungen abgesehen, zum ersten und letzten Mal unterzog. Dass Bernhard angesichts solch qualitativer Mängel in gleicher Weise ein charakterlich angreifbarer und ganz bestimmt geldgieriger Karriereplaner und Marketingstratege war, – bekannt ist die Anekdote, dass ihm zum Tod Heimito von Doderers lediglich der Ausspruch einfiel: Gott sei Dank, jetzt bin ich der Erste! – geht nicht nur aus dem Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld hervor. Auch der Immobilienmakler und Ferkelhändler Karl Ignaz Hennetmair schildert in seinem sehr lesenswerten Buch „Ein Jahr mit Thomas Bernhard“ eindrucksvoll, wie bei der Uraufführung des Stücks „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ am 29. Juli 1972 im Salzburger Landestheater im Rahmen der Salzburger Festspiele durch die Forderung, auch die Notbeleuchtung auszuschalten, ganz bewusst und auf mieseste Art ein Theaterskandal provoziert wurde, der am Markt der Aufmerksamkeit wesentlich größere Wirkung erzielte als das wiederum fadäugige und gegen alle Regeln der dramaturgischen Künste heruntergeschriebene Stück.

Zentrale Figur bei all diesen Theateraufführungen der Handkes, Bernhards und Jelineks war Claus Peymann, der es gemeinsam mit seinen Autoren als geradezu paradigmatischer Fall für den Marsch durch die Institutionen zuletzt schaffte, am selbsternannten bedeutendsten Theater deutscher Sprache, dem Burgtheater in Wien, die Führung zu übernehmen. In erstaunlicher Parallele zu einem Pultstar wie Herbert von Karajan, der als Opportunist des Naziregimes seine Karriere begann und sich dennoch in der Nachkriegszeit große Verdienste um die klassische Musik erwarb, gelang es auch dem Hamburger Lehrersohn Claus Peymann, gleichsam spiegelbildlich, als Opportunist der linksradikalen Szene von RAF-Sympathisanten gemeinsam mit Peter Zadek und Peter Stein das Theaterleben Deutschlands ab seiner Intendanz in Bochum ab 1979 mit großartigen Aufführungen zu revolutionieren. Mit ihm und seinen Kollegen hielt das Regietheater in den deutschen Landen Einzug. Aus der ursprünglich durchaus verständlichen und löblichen Absicht, die Lüge vom deutschen Geistesadel und, wie schon gesagt, einer durch kein Drittes Reich unterbrochenen Tradition vom „Volk der Dichter und Denker“ bloßzustellen, entwickelt sich mit zunehmendem Erfolg dieses Ansatzes auf Basis von Stücken, die keine waren, eine alles beherrschende und durch staatliche Subventionen vor dem Absturz gesicherte Theatermarotte. Wo zuerst die Stücke, von Sophokles über Shakespeare bis zur Gegenwart, mit antifaschistischem und antikapitalistischem Engagement auf den Verdacht nationalsozialistischer, später auch antifeministischer Valenzen hin untersucht wurden, ging in inquisitorischer Hemmungslosigkeit jeder Respekt vor der Arbeit längst verstorbener, aber auch noch lebender Autoren verloren. Dies führte soweit, dass auf ihre Mitwirkung bald überhaupt verzichtet werden konnte. Entsprechend hat es die Dritte Generation der Regietheaterregisseure und Intendanten in der Nachfolge ihrer Gründerväter inzwischen geschafft, Zeitgenössisches von Autoren, die sie nicht selbst sind, in die Keller und Lusterböden ihrer subventionierten Musentempel abzudrängen, damit nicht der Vorwurf erhoben werden kann, sie hätten für zeitgenössische Literatur nichts übrig. Für die mittelgroßen und großen Bühnen schreiben sie sich, wenn nicht von Jelinek oder allfälligen Nachfolgerinnen Textflächen zur Verfügung stehen, die Stücke inzwischen lieber selbst. Oder sie bearbeiten, was weniger Aufwand bei gleichzeitig ähnlich hohen mit dem Regiehonorar kombinierten Autorenhonoraren erfordert, Romane zum Beispiel eines Dostojewski oder erfolgreiche Filme für das Theater, was zur Folge hat, dass der Spielplan der meisten Theater oft bis zur Hälfte aus Bearbeitungen von Werken besteht, die ursprünglich nicht für das Theater verfasst wurden. Die Klage von Theaterautoren, sie müssten aufgrund der Corona-Pandemie des Hungers sterben, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, sterben sie doch schon seit Jahren aufgrund der Ignoranz von Theaterintendanten und Regisseuren.

Thomas Bernhard:
Der Ignorant und der Wahnsinnige. Drama. 1972 (UA bei den Salzburger Festspielen, Regie Claus Peymann)
Die Jagdgesellschaft. Drama 1974 (UA am Burgtheater Wien, Regie Claus Peymann)
Holzfällen. Eine Erregung. Roman 1984

Matilda Gustavsson:
Klubben (Der Club) 2019

Peter Handke:
Die Hornissen. Roman 1966
Publikumsbeschimpfung. 1966 ((UA Theater am Turm, Frankfurt am Main, Regie Claus Peymann)
Wunschloses Unglück. 1972
Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp Berlin 2012
Die Obstdiebin. Suhrkamp Berlin 2017

Elfriede Jelinek:
https://www.elfriedejelinek.com/

Karl Ignaz Hennetmair:
Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972. Residenz Verlag Salzburg 2000

Hans Werner Richter:
Die Geschlagenen 1949

Alois Schöpf:
Wenn Dichter nehmen. Limbus Verlag Innsbruck 2014

Fortsetzung 22.01.2021
3. Zerstörte Künste, zerstörte Künstler

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. dr.eibel

    ein meisterschreiber wird zum meisterdenker und ich zum meisterschreiber-und meisteredenkerdanker.

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