Alois Schöpf
Über Migration,
über die man nicht reden darf,
und über den Sieg der Rechten,
mit denen man nicht regieren darf.
Notizen

Ein Diskutant in Servus TV hat es unlängst nüchtern auf den Punkt gebracht: Solange es den Parteien der Mitte nicht gelingt, das Migrationsproblem zu lösen, werden die Rechtsparteien immer stärker.

Dies gilt für die USA, wo Donald Trump vor der Tür steht. Dessen Anhängerschaft rekrutiert sich nach der exzellenten Analyse von Manfred Bergs Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute zu einem Drittel aus Leuten, die ihm alles glauben, zu einem Drittel aus solchen, die nur ihm zutrauen, das Migrationsproblem zu lösen, weshalb sie seine Lügen billigend in Kauf nehmen, und zu einem Drittel aus Personen, die aus anderen Gründen nie und nimmer die Demokraten wählen würden.

Abgesehen vom letzten Punkt, bei dem eine vielfältigere Parteienlandschaft dem Wähler mehr Möglichkeiten bietet, sind die Zustände in Europa nicht viel anders. Dies beweist die AfD im Osten Deutschlands, die trotz aller Maßnahmen der Berliner Regierung nach Solingen in Thüringen und Sachsen zur großen Siegerin wurde. Und das beweisen in Italien die Fratelli d’Italia mit der zum Glück sehr pragmatischen Giorgia Meloni. Und es beweisen in Frankreich die Anhänger des Rassemblement National.

In Österreich scheinen ausreichend viele Wähler Herrn Kickl seine alternativen Fakten im Hinblick auf Corona zu glauben oder zumindest zu verzeihen, wobei die inzwischen ziemlich scharfen Antimigrations-Maßnahmen von Innenminister Karner mitverantwortlich dafür sein dürften, dass die ÖVP laut Umfragen der FPÖ langsam nahe kommt. All jene aber, denen die Rede über Migration und was dagegen effizient zu unternehmen sei, nicht so richtig über die Lippen kommt, dürfen sich, vergleichbar den Demokraten in den USA, den Rest des Kuchens teilen, was für die SPÖ neben internen Intrigen zu ihrem desaströsen Niedergang führt.

Wie sehr das Thema Migration als unkeusch aus der politischen Debatte ausgeschlossen wird, geht unter anderem daraus hervor, dass der allmächtige ORF es bei den statistisch erhobenen Stichworten zu den wichtigsten Problemen der Österreicher erst gar nicht aufscheinen lässt, sondern unter dem Begriff Sicherheit subsummiert. Das gnadenlose Urteil unserer zum Bobo-Wohlstand aufgestiegenen Medienelite verhindert also durch Zensur genau jene differenzierte Diskussion, durch die man zum Kern des Problems vordringen und, sofern man überhaupt will und es nicht vielmehr auf die ewige Selbstversicherung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, angelegt hat, einer Lösung nahe kommen könnte.

Es ist nämlich blanker Zynismus, einen Begriff zu unterdrücken, um die Gefahr zu bannen, dass die Österreicher wieder einmal ihren Fremdenhass und ihre Ausländerfeindlichkeit gleichsam statistisch unter Beweis stellen können. Und es scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass diese Österreicher im Zuge des Ungarnaufstandes 1956 180.000 Asylsuchende aufgenommen haben,  ca. 100.000 Tschechen und Slowaken, vor allem Künstlern, nach dem Einmarsch der Sowjetkommunisten eine neue Heimat boten,  erneut 90.000 Personen nach dem Jugoslawienkrieg aufnahmen und derzeit keinerlei Einwand gegen die Zuwanderung von 80.000 Ukrainern haben, allesamt Flüchtlinge aus Staaten, die einmal ganz oder zum Teil der k.u.k. Monarchie angehörten. Und genau darin liegt der Unterschied.

Denn zweifelsfrei sind Afghanen, Syrer, Tschetschenen und Somalier im Sinne der Menschenrechtskonvention Österreichern, Ungarn, Tschechen oder Ukrainern vollkommen gleichgestellt. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sie anderen Kulturen, Religionen und insgesamt einer vor allem in Hinblick auf die Geschlechterrollen anderen Lebenspraxis angehören, aus der heraus sie auf jene, von deren Geld sie hierzulande leben, oft mit Verachtung herabschauen, ohne auch nur ein mildes Interesse daran zu zeigen, sich in Österreich zu integrieren und sich als Österreicher zu fühlen. 

Ab einer gewissen Anzahl solcher in einem Staat tatsächlich Fremder fühlt sich eine Gesellschaft überfordert und verschreibt sich der Brutalität von Massenabschiebungen, zu denen sich inzwischen sogar Iran gezwungen sieht, nachdem ca. 8 Millionen Afghanen die 900 km lange gemeinsame Grenze meist illegal überquert haben. Oder man plädiert eben, wie im zivilisierten Europa, mit einem gewissen Recht für die Evaluierung und das Neuüberdenken der Menschenrechte, welche in ihrer sakralen und damit wirklichkeitsfremden Sprache, wie es auch säkulare Religionen so an sich haben, das Faktum der Verschiedenheit ignorieren.

Aus der Kenntnisnahme dieser Verschiedenheit würde sich nämlich die legitime Forderung ergeben, dass im Falle von Migrationsbewegungen aufgrund von Kriegen oder aufgrund der Folgen des zunehmend spürbaren Klimawandels nicht jene Staaten in die Pflicht genommen werden sollten, die auf der in jedem Handy abrufbaren Speisekarte des Wohlstands am attraktivsten aufscheinen, sondern zuerst jene, deren Kultur und Religion der Kultur und Religion der Asylsuchenden und/oder Flüchtlinge am nächsten stehen. Paradigmatisch hat dies etwa Israel als Heimat des weltweit verstreuten und sehr oft verfolgten Judentums vorexerziert. Weshalb nehmen sich die wahrlich stinkreichen und auf Salzsäurebäder spezialisierten Golfstaaten nicht daran ein Beispiel und öffnen ihre Grenzen für ihre sunnitischen Glaubensbrüder, statt sie abseits der Weltöffentlichkeit kaltblütig bei Grenzübertritt abzuschießen?

Das Entsetzen der sehr oft ihr basiskatholisches Liebesgebot spazieren führenden Gutmenschen über das Ansinnen, das Menschenrecht auf Asyl und des weiteren auf weltweite Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf kulturelle und religiöse Inkompatibilitäten einzuschränken, führt im Übrigen zur zweiten entscheidenden Ursache: eine Migrationsproblematik, die, wie angedeutet, ab einer gewissen Zahl auf eine Überforderung durch zu großes Anderssein hinausläuft, führt als Reaktion der Bevölkerung zu einer  immer größeren Zuwendung zu konservativen, auf das Althergebrachte, die gute alte Zeit rekurrierende Parteien. 

All jene nämlich, die ihren Mitbürgern über die Medien ausrichten, sie sollten ihrer tribalistischen Fremdenfeindlichkeit abschwören, tragen damit als Signet ihrer privaten, jedoch in Wahrheit nur selten gelebten Fortschrittlichkeit einen Multikulturalismus vor sich her, der in den Manifestationen des Genderns, der flüssig in englischer Sprache vorgetragenen Nullrede und der Buchstabenfolge LGBT das zeitgeistige, post-68-er Spießertum unter sich zu verbergen hat.

Auch gegen diese Heuchelei und Anmaßung stimmt das beleidigte Wahlvolk, wenn es in Österreich FPÖ, in Deutschland AfD oder die von den dort ansässigen BoBos als Apostatin verachtete Sarah Wagenknecht wählt.



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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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