Anlässlich des Internationalen Literaturfestivals Sprachsalz
vom 13. bis zum 15. September 2024 in Kufstein:
Michael Stavarič
Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit
Gedichte
Besprechung von Helmuth Schönauer

Wir verhielten uns wie Grasbüschel, die überall dort auftauchten, wo es ihnen gefiel. In den Fugen zwischen den Betonplatten. (27)

Michael Stavarič gilt als Meister fragiler Texte über das vergebliche Heimisch-Werden zwischen Orten und Kulturen. Nach seiner Theorie kann ein Individuum noch innerhalb des Ortsschildes zu einem ausgestoßenen Wesen werden, während es andererseits an einem Ort, an dem es noch nie gewesen ist, bodenständig werden kann. Diese migrantische Bewegung gilt auch für literarische Genres. Der Autor ist überall zu Hause und doch nirgends sesshaft abgelegt.

Die Gedichte sind selbst Fabelwesen der Literatur, wenn sie von einem Wir berichten, das in erster Linie einen getragenen, suchenden Ton vor sich herschiebt. Diesen Kommentar-Ton kennen wir aus Reisedokumentationen im Fernsehen, wenn Redakteure sich auf fremden Hochzeiten in entlegenen Ländern mit Einheimischen verbünden, um im kollektiven Wir zu berichten, dass auf Reisen alle optimistisch gelaunt sind.

Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit gleicht einem solchen Reisebericht, der Locations aufzeigt, an die man lyrisch reisen kann, ohne Schaden zu nehmen oder anzurichten. Die Suche setzt sich aus fünfzig, meist eineinhalbseitigen, nummerierten Abenteuern zusammen, sowie dem Kapitel einundfünfzig, das auf sechs Seiten der Zukunft gewidmet ist.

Als Prosa durchkomponiert erhalten die Kleinodien durch die Aufsplittung in Drei-Zeiler einen hybriden Touch, das Auge empfindet sie als Lyrik, der lesende Mund als Geschichte. –Im Grundplot fährt ein Wir immer wieder an den Ozean oder träumt sich an seine Küste.
Aus dem Wasserhahn im Zimmer nebenan strömte der Ozean. (7)
Wir haben die Jukebox zum Strand getragen und Muschelgeld eingeworfen. (8)
An manchen Tagen schien die Sonne 24 Stunden lang (36) / während wir stundenlang auf Flaschenpost warteten (40)

Die Gedichte vertragen es, dass man ihre Segmente austauscht, ergänzt oder zu einer eigenen Geschichte umformt. Die innere Logik lässt es auch zu, Zeiten zu verschieben, auf Orten herumzureiten wie mit einer Maus auf Maps, oder die Grenze zwischen Leben und Tod zu verwischen. Mit dem Tod ließ das Gedächtnis nach, wir unterhielten uns nur noch über naheliegende Dinge. (16)

Tagebücher werden in einer Waschmaschine gewaschen, bis sie von falscher Erinnerung gesäubert sind, ein an den Strand gespülter Wal ist innen aufgebaut wie ein Mehrfamilienhaus und hat einen zweiten und dritten Stock, im Vorgarten wird Salz verbrannt, während jemand nach einer Fahrt über den Highway fette Insekten von der Windschutzscheibe seines Fahrzeugs kratzt.

Das Wir tritt dabei als Arbeitsgemeinschaft von Lesenden und Autor auf, die Gedichte sind Platzhalter für diverse Phantasien, welche wahlweise zwischen Helden, Rezipienten und Protagonisten eines kontinentalen Erzählwerks eingeflochten werden.

Wir lasen apokryphe Texte über uns selber ( 44), heißt es aufschlussreich, offensichtlich gibt es einen offiziellen Kanon, der mit diesen Gedichten durchbrochen wird, die apokryphen Phantasien werden außerhalb der lyrischen Correctness verhandelt.

Bäume im Vorgarten sind als Dirigenten aufgestellt, die mit Stäbchen die Welt regieren, und wer denkt dabei nicht an das Kafka-Bild, wonach die Bäume abgesägt in den Schnee gesteckt worden sind. Die apokryphen Bilder schlängeln sich zwischen den kanonisierten hindurch.

Zwischendurch ist ein Text ins Englische übersetzt, um zu schauen, ob sich dort die Bilder günstiger mit der Erfahrungswelt der Poesie verknüpfen lassen. Dieser Switch zwischen den Sprachen ist eine Pflichtübung für alle zwischen Kulturen migrierenden Charaktere.

Lyrik hat immer auch mit Vögeln zu tun, keine Gedichtsammlung ohne Vogel! Das lyrische Wir kümmert sich im konkreten Fall um Flugtiere, die im Winter an den Füßen frieren. Aus einem poetischen Katalog werden Vogel-Fußwärmer herausgesucht und bestellt. (78)

An anderer Stelle wird die Kraft der Vögel für das eigene lyrische Wirken untersucht. Wir versuchten unsere Körper gegen Vogelgesang einzutauschen, was uns weitere Ideen einbrachte: Wir schliefen fortan unter freiem Himmel […] (61)
Und dann wird alles aufgeboten für Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit. Die Zukunft schien kaum noch von Bedeutung, wir versuchten sie in Wasserkochern zu erhitzen, doch brachten wir sie nie zum Sieden. (90)

Vielleicht ist das der Ausweg aus der Klimakrise, Michael Stavarič ist es zuzutrauen, dass seine Gedichte für und gegen alles helfen. – Grotesk optimistisch.

Michael Stavarič: Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit. Gedichte.
Innsbruck: Limbus 2023. 96 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-99039-237-9.
Michael Stavarič, geb. 1972 in Brno, lebt in Wien.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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