Helmuth Schönauer bespricht:
Martin Kolozs
Kreuzwege
Lebensbild der Jesuiten
P. Johann Schwingshackl und P. Johann Steinmayr
Herausgegeben vom Jesuitenkolleg Innsbruck

Alle Menschen unterliegen biographischen Kreuz-Wegen, wenn sich eigene Lebenslinien mit solchen anderer Zeitgenossen kreuzen. Im religiösen Ambiente versteht man unter Kreuzweg eine leidende Auslegung des Schicksals, im strengen katholischen Ritual hat sich daraus das Genre des Kreuzwegs herausgebildet: dabei werden in vierzehn Episoden die Leidensstationen Christi auf seinem Weg hin zur Kreuzigung nachempfunden und nachgebetet.

Martin Kolozs greift in seiner Biographie Kreuzwege zur Dramaturgie dieses Genres, indem er das Schicksal der Tiroler Jesuiten Johann Schwingshackl und Johann Steinmayr miteinander verschränkt und sie anschließend durch die politische Zeit des Nationalsozialismus begleitet, dem sie schließlich zum Opfer fallen: Beide werden hingerichtet.

Die Dramaturgie als Kreuzweg ermöglicht es, die beiden Lebenswege fallweise zu einer politischen Haltung zu verdichten, die sich als roter Faden durch die Zeitgeschichte zieht.

Die beiden Porträtierten sind 15 km voneinander entfernt in der Gegend zwischen Bruneck und Innichen als Bauernbuben geboren, ihre Familienbilder sind als Ikonographien einer bergbäuerlichen Welt am Ende der Monarchie gestaltet, die markanten Eigenschaften der Buben als Kinder sind rebellisch beziehungsweise schwächlich. Mit diesen beiden Eigenschaften wird das Ungewöhnliche beschrieben, das sie aus der Eigenschaftsmasse von Bergbauernkinder hervorstechen lässt.

Als Erweckungserlebnis werden einerseits die Volksmission Brixen und andererseits die unendlichen Fragestellungen auf einem Hof genannt, Fragen, auf die die Landwirtschaft keine ausreichende Antwort geben kann. Die beiden landen im Ersten Weltkrieg: der eine kann sich über das Lazarett loseisen und in Innsbruck ein Gelübde ablegen, der andere muss von Galizien aus in die Kriegsgefangenschaft. Die Berufung, künftig als Jesuiten zu agieren, fußt auf dem Erlebnis von unendlichem Leid im Kriegsgeschehen, sowie tröstlicher Lektüre in der Kriegsgefangenschaft.

Die politischen Umstände der Zwischenkriegszeit liefern für die beiden genügend Motivation, in der Volksmission tätig zu werden und Orientierung und religiöse Zielrichtung anzubieten. Zuerst sind es erbauliche Weihespiele und Dramulette, die für die Jugendlichen damals so etwas wie TikTok von Influenzern darstellten. Später kommt es zum offenen Widerstand gegen das NS-Regime, die Gestapo Innsbruck richtet einen Spitzeldienst ein und die beiden stehen unter Beobachtung.

Knapp vor Kriegsende kommt es dann zu Schauprozessen, die der gefürchtete Roland Freisler als Präsident des Volksgerichtshofes inszeniert. Die Hinrichtung der beiden Tiroler erfolgt 1944 bzw. 1945, ihre späte Bestattung erfolgt in Bad Schallerbach und Magdalena Gsies.

Entsprechende Gedenktafeln sind enthüllt, die jetzige Biographie dient der Würdigung der beiden Widerstandskämpfer und Märtyrer.

An dieser Stelle sei auch die Erzählkraft des Martin Kolozs gewürdigt. Mit dem Genre faktenbasierte Biographie arbeitet er in einem Segment, das Religionsferne als hagiographische Firmengeschichte empfinden könnten.
Die Spielregeln sind klar, Auftraggeber (die Jesuiten) und Autor fungieren aus einer transparenten Position heraus, die Erzählform lotet das Individuelle in den Leitlinien einer Religion aus. Eine Fülle von Zitaten, Vorwörtern und Zeitzeugen-Aussagen verankert das Erzählte im Erinnerungsstrom, der sich noch einmal durch die NS-Zeit schlängelt. Das Leben der beiden Priester wird dadurch mit den Dokumenten für eine Seligsprechung ausgestattet, die vielleicht am Ende des Projektes Realität werden könnte.

Für Außenstehende zeigen die Kreuzwege freilich einen ungewöhnlichen Pfad auf, den einige politisch motivierte Menschen zu gehen imstande waren, freilich mit furchtbarem Ende. So tauchen Johann Schwingshackel und Johann Steinmayr als Zeitzeugen vor unseren Augen auf, sie sind plötzlich mit Stimme und Leben ausgestattet und berühren mit der Gewissheit, dass sie auf der richtigen Seite gestanden sind. Ein wichtiges Gedenkbuch also.

Martin Kolozs: Kreuzwege. Lebensbild der Jesuiten P. Johann Schwingshackl und P. Johann Steinmayr. Herausgegeben vom Jesuitenkolleg Innsbruck.
Wien: Kyrene 2024. 167 Seiten. EUR 12,-. ISBN 978-3-902873-95-8.
Martin Kolozs, geb. 1978 in Graz, aufgewachsen in Innsbruck, lebt in Wien.

Johann Schwingshackl SJ, geb. 1887 in Ried-Welsberg, hingerichtet 1945 in München-Stadelheim. / Johann Steinmayr SJ, geb. 1890 in St. Magdalena-Gsies, hingerichtet 1944 in Brandenburg-Görden.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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