Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Eigentum den Eigentümern!
Stichpunkt

Als wir noch kein Internet hatten, traten wir staatsbürgernde Menschen mit unserem Staat dennoch regelmäßig in Kontakt.

In den Lesebüchern sagte er uns, wie wir uns gegenüber der Demokratie zu verhalten haben, nämlich ehrfürchtig. Wir hatten auch im Foyer den Bundespräsidenten hängen, am Wahltag herrschte Wahlpflicht und zur Konzentration auf das Wesentliche bestand ein Alkoholverbot.

In den Parteiblättern, die als Wandzeitung an öffentlichen Plätzen in Schaukästen ausgestellt waren, stand alles Wichtige drin, was unser tägliches Leben betraf. Für Impfungen und Katastrophen hatten wir die Sirenen, die uns darauf hinwiesen, schnell den Staatsfunk einzuschalten, der uns über die paritätische Kommission ausrichten ließ, wie es um uns steht.

Und implizit lagen überall Sprüche und Ermahnungen herum, die uns an den Sinn des Lebens glauben ließen.

Jemand sprach von „Eigentum macht frei“, nahm den Satz aber bald wieder zurück, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem zynischen Nazi-Sager hatte. Ein anderer sagte: „Lass sie Häusl bauen und Kinder machen, dann werden sie brav und fressen dir als Staat aus der Hand!“

Von solchen Sätzen träumten wir ab und zu, und als wir uns nach der Matura für etwas Großes, nämlich unser Leben, entscheiden sollten, waren alle Angebote gleichrangig.

Fremdenlegion
Wir hatten als verebbende Kulturwelle der Nachkriegszeit alle Französischunterricht und manchmal durften Fremdenlegionäre über den Algerienkrieg erzählen und uns berichten, wie demokratisch diese Geheimarmee war. Für ein paar von uns entwickelte sich daraus ein Kontrastprogramm zum Bundesheer, wo Osttiroler und Kärntner als niedrige Chargen unterwegs waren, die wir mit unseren Französischkenntnissen nicht verstehen konnten.

Indien
Nachdem wir alle Hermann Hesses Siddhartha gelesen hatten und Harikrischna-affin waren, zog es eine Handvoll von uns, die zu Hause ein Erbe zu erwarten hatten, nach Indien, wo sie die Zeit bis zum Erbantritt zu verbringen gedachten.

BMW
Eine Alternative zum humanistischen Gymnasium, in dem vor allem gescheiterte Theologen aus Osttirol unterrichteten, war die Option, etwas Technisches zu machen, zum Beispiel bei BMW in der Designabteilung ein sinnliches Gadget zu entwickeln.

UNI
Eine Handvoll ging an die echte Uni, um Medizin zu studieren, eine andere Handvoll hatte zu Hause die Tür zu einer Kanzlei offenstehen und entschied sich für Jus.
Zwei machten Germanistik, weil man dort so gut reden lernen konnte, wie der deutsche Wirtschaftsminister heute noch beweist.

Landhaus
Und einer ging ins Landhaus und sagte offen heraus, dass er dort B-Hofrat werden wolle. (Die A-Hofräte stehen dem Bund zu, ein alphabetisches Verwirrspiel.)

Allen diesen Tätigkeiten und Karrieren lag die Annahme zugrunde, dass man sich durch Arbeit etwas Eigentum schaffen werde, wie einst die Veteranen bei Cäsar, die ja auch überall herumkämpften, um später in den Blütenmeeren Galliens ein kleines Gütchen zu bebauen.

Es ist dann ganz anders gekommen.

Der Staat hat seine fürsorgliche Ansprache eingestellt und hat nicht mehr über seine Beamten, sondern über Werbeagenturen den Kontakt zu seinem Stimmvieh gesucht. Das Internet hat die Verrohung der Kommunikation gebracht, der Staatsfunk hat sich vom Publikum abgewendet und ist in eine eigene Blase voller Selfies geschlüpft. Und das Eigentum hat sich auf feudale Rituale zurückgezogen.

In der Krone fragt ein Leserbriefschreiber völlig unverhohlen: Wer soll denn noch arbeiten gehen, wenn es kein Eigentum mehr zu erwirken gibt?

Eigentum gibt es natürlich genug, aber es dürfen nur mehr jene ran, die schon eines haben. Nach der jüngsten Richtlinie für die Vergabe von Wohnungskrediten fällt wieder eine ganze Kohorte von Menschen heraus, die auf eine Eigentumswohnung gespitzt hätte.

Es wird nicht mehr lange dauern und wir haben wieder das feudale Wahlrecht. Wählen darf nur mehr jener, der auch Grund und Boden hat. Und die Wahlbeteiligung unter fünfzig Prozent wird sich auf jenes Drittel absenken, das Eigentum besitzt und daran interessiert ist, dass der Staat in ihrem Sinn funktioniert.

Bis zum finalen Abschöpfen des Eigentums und seiner Verteilung auf die bereits Besitzenden müssen wir den Kids noch ein paar saftige Parolen vor die Nase halten, damit sie wissen, warum sie auf der Welt sind.

– Mach mit beim Pflegewettbewerb: Putz zweihundert Hintern am Tag und halte am Abend eine sterbende Hand, die dich für alles belohnt!

– Werde Soldatin und lass dich an der Grenze von jemand illegal Übertretenden ins Gesicht schlagen, weil du eine Frau bist.

– Werde Koch und tische dem Allergiker aus Brüssel ein Schaf auf, das der Wolf für ihn gerissen hat.

– Es muss nicht immer Eigentum sein, das glücklich macht.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar