Print Friendly, PDF & Email

Franz Mathis
Umdenken? – Fehlanzeige!
Notizen

Zwei so unterschiedliche Dinge wie die Bekämpfung der Pandemie auf der einen Seite und die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene auf der anderen führen uns schmerzlich vor Augen, wie schwer es offenbar für viele Menschen ist, ihre Meinung zu ändern. Dies gilt für die Politik ebenso wie für die Gesellschaft als Ganzes.

Spätestens seit dem Spätsommer müsste allen klar geworden sein, dass allein mit gutem Zureden die Impfverweigerer nicht zum Impfen zu überreden sind. Offenbar sind sie trotz aller gegenteiliger Aufklärungs- und Überzeugungsversuche – auch wenn diese noch so gut empirisch und wissenschaftlich untermauert sind – nicht bereit, von Ihrer Meinung und/oder Angst, dass ihnen die Impfung schaden könnte, abzulassen.

Und doch wird auf allen Ebenen und von allen Seiten immer noch geglaubt, man könnte die Impfbereitschaft mit Verständnis, Aufklärung und Überzeugung erhöhen, als ob dies nicht schon seit Monaten versucht worden wäre. Dies grenzt nicht nur an Realitätsverweigerung, sondern ist tatsächlich eine solche!

Diese Resistenz gegenüber jeder Vernunft erinnert mich an eine Prüfungssituation, die ich vor einigen Jahren an der Universität erlebte. Auf meine Frage, warum viele Länder der Welt insgesamt eher arm geblieben, andere dagegen reich geworden sind, erhielt ich als Antwort den Hinweis auf die Ausbeutung der einen durch die anderen.

Als ich replizierte, dass ich diese These in der Vorlesung widerlegt und andere, empirisch abgestützte Gründe für die unterschiedliche Entwicklung vorgebracht hätte, erklärte die Studentin ihre Antwort damit, dass sie die These von der Ausbeutung in der Schule so gelernt habe. Offenbar hatte sich die von mir als falsch dargelegte These so sehr in ihr Gehirn eingebrannt, dass sie meine Argumente nicht vom Gegenteil überzeugen konnten. Dass es dafür vielleicht eine neurobiologische Erklärung gibt, habe ich erst kürzlich in einem Buch des bekannten Neurobiologen und Philosophen Gerhard Roth gelesen. Mehr dazu später.

Zuvor sei an eine ähnliche Realitätsverweigerung aus dem Bereich des Verkehrs erinnert. Wie uns fast täglich mitgeteilt wird, nimmt der LKW-Transit durch Tirol seit Jahren und trotz aller Versuche und Maßnahmen, ihn zu reduzieren, ständig weiter zu. Dennoch spricht unsere stellvertretende Landeshauptfrau noch immer davon, ihn – bis wann auch immer – auf die Hälfte (!) reduzieren zu wollen.

Dies widerspricht aller bisher gemachten Erfahrung, dass die Frächter trotz aller gegenteiligen Appelle offenbar nicht bereit sind, ihre Transporte auf die Bahn zu verlagern – es sei denn, sie würden dazu gezwungen. Dass sich dazu bei den zuständigen Regierungen und der EU weit und breit keine Bereitschaft abzeichnet, müsste inzwischen klar geworden sein.

Es mutet diesbezüglich geradezu naiv an, wenn unser neuer Bundekanzler nach einem Gespräch mit der EU-Kommissionspräsidentin meint, dass es für die Tiroler Bevölkerung „ganz besonders wichtig sei, in einer Form der Mediation Österreich und Bayern zueinanderzubringen, da sie unter dem LKW-Transit in einer unglaublichen Art und Weise belastet ist (TT vom 16.12.).“ Schön, wenn sich das Problem so einfach lösen ließe!

Dasselbe gilt für den privaten PKW-Verkehr. Wie an anderer Stelle dieses Blogs bereits erwähnt, machen trotz aller Staus auf den Straßen und trotz aller auch hier gut gemeinten Appelle die etwa 120.000 Öffistammkunden in Tirol gerade einmal 16 % der Bevölkerung aus. Weniger als 1 % (!) hat sich inzwischen ein Klimaticket für das ganze Jahr zugelegt.

Angesichts dieser klaren, mehrheitlichen Vorliebe für das Auto ist es einfach nur weltfremd und illusorisch, auf eine entscheidende Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene zu hoffen – so sehr er auch vom Autor dieser Zeilen als sinnvoll angesehen wird. Angesichts dieser nicht zu leugnenden Vorliebe sollte – wie ebenfalls an dieser Stelle bereits vorgeschlagen – in eine möglichst umwelt- und menschenschonende Verwendung des Autos mindestens ebenso viel investiert werden wie in den Ausbau der Eisenbahn. Allerdings ist dieser Schluss wegen der mangelnden Bereitschaft zum Umdenken bei allzu vielen Entscheidungsträgern noch nicht angekommen.

Wenn nun aber die rationale Einsicht, die sich aus den geschilderten Fakten ergeben müsste, nicht in der Lage ist, eine einmal gefasste Meinung zu ändern, bietet sich laut Gerhard Roth folgende Erklärung an. Er meint, dass in unserem Gehirn die Ebene der unbewussten, emotionalen Betroffenheit, die sich unserem Einfluss weitgehend entzieht, stärker ist als die kognitiv-kommunikative Ebene des bewussten Denkens.

Im Falle der Impfverweigerung sind die unbewusste Angst vor möglichen Nebenwirkungen, die mangelnde Bereitschaft, andere über den eigenen Körper verfügen zu lassen oder das fehlende Vertrauen in die Politik offenbar stärker als die Argumente der Vernunft.

Die Hoffnung, sie dennoch von der Sinnhaftigkeit der Impfung überzeugen zu können, kommt wahrscheinlich aus dem ebenfalls emotional bestimmten Glauben an das Gute im Menschen, auch wenn dieser Glaube in den fast täglichen Demonstrationen im buchstäblichen Sinn mit Füßen getreten wird.

Dies geht sogar so weit, dass die Politik in einer Art Kniefall vor den „ach so guten“ Ungeimpften ihnen noch insofern entgegen kommt, dass sie den über sie verhängten Lockdown lockert und zu Weihnachten und Silvester auch für sie Besuche und Ausgang zulässt.

Die aus der bisherigen Erfahrung gespeiste Einsicht, dass es in erster Linie die Ungeimpften waren, die uns den letzten Lockdown für alle bescherten, spielt bei dieser Entscheidung offenbar keine Rolle. Der Appell, sich vor den Besuchen testen zu lassen, könnte zu wenig sein, um die Notwendigkeit eines weiteren allgemeinen Lockdowns zu verhindern.

Im Fall des Verkehrs könnte die Realitätsverweigerung mit den tatsächlichen oder auch nur vermittelten, in jedem Fall aber negativen, emotionalen Erfahrungen zu erklären sein, die mit den schädlichen Auswirkungen des Straßenverkehrs auf Mensch und Umwelt (Lärm, Schadstoffe, Unfallgefahr) einhergehen. Sie lassen bei manchen in erster Linie auf eine Besserung durch die Bahn hoffen und blenden die Möglichkeit eines durchaus denkbaren, verträglicheren Autoverkehrs weitgehend aus.

Bei der Frage der Entstehung von armen oder reichen Ländern dürfte ebenfalls eine durchaus nachvollziehbare, emotionale Betroffenheit eine rationale Erklärung behindern. Sie speist sich aus der tatsächlichen und über die Medien täglich sichtbaren, millionenfachen Armut, die sie dann etwas vereinfacht mit dem Reichtum der anderen begründet, statt nach den empirisch feststellbaren, strukturellen Bedingungen in den betroffenen Ländern zu suchen.

Die emotionale Betroffenheit legt nahe, dass ein von der Natur oder von wo auch immer bereit gestellter „Kuchen“ ungleich verteilt wird. Sie übersieht – wie eine genauere Analyse ergeben würde –, dass der Kuchen dank unterschiedlicher Bedingungen in den Ländern selbst unterschiedlich groß ausfällt und daher die einen einen größeren Kuchen genießen können, die anderen dagegen unter einem kleineren Kuchen zu leiden haben.

Wie auch immer, für jemanden, der in seinem Beruf gewohnt war, seine Thesen auf empirisch belegten Fakten statt auf persönlichen Befindlichkeiten aufzubauen, ist es fast zum Verzweifeln, wenn er tagtäglich erleben muss, wie wenig seine Mitmenschen trotz erdrückender „Beweislast“ zum Umdenken bereit sind.



Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Franz Mathis

Geboren in Hohenems (Vorarlberg) 1946, Studium der Geschichte und Anglistik an der Universität Innsbruck, Mag. phil. 1971, Dr. phil. 1973, Habilitation aus Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1979, ordentlicher Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte seit 1993. Forschungsaufenthalte in England und den USA, Gastprofessor an den Universitäten Salzburg, New Orleans (USA), Trient und Bozen. Studiendekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, Rektorsbeauftragter der Universität Innsbruck für die Partnerschaft mit der University of New Orleans, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für historische Alpenforschung, Schriftleiter der Tiroler Wirtschaftsstudien. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: vergleichende Stadtgeschichte, vergleichende Unternehmensgeschichte, Dritte Welt, allgemeine Wirtschaftsgeschichte Zusammenhänge und Grundlagen sozio-ökonomischer Entwicklung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Thomas Raggl

    …zum Thema Impfverweigerer und Corona hilft vielleicht auch ein differenzierter Ansatz um die Verhaltensweise zu verstehen…
    die psychische Grundstruktur solcher Menschen besteht nicht darin die Wahrheit herauszufinden, sondern diese Menschen wollen nur Recht haben, das sind zwei gänzlich unterschiedliche Motive, und wenn jemand partout recht haben will macht ein Gespräch keinen Sinn – diese Menschen hätte in der Folge nämlich ein Problem mit ihrem Selbstwertgefühl – daher hilft nur mehr der Zwang –
    diese Menschen wollen nur Recht haben und sind für Argumente nicht mehr zugänglich…
    etwas differenzierter würde ich auch die Situation mit dem „reichen“ Norden und dem „armen“ Süden sehen – hier wäre allerdings ein etwas längerer Diskurs notwendig – nur ist es wirtschaftswissenschaftliches Allgemeinwissen, dass der Wohlstand der industrialisierten nördlichen Länder auf der gleichzeitigen Ausbeutung des Südens beruht und diese Situation sich auch in den letzten Jahren nicht verbessert hat…,
    es sind nämlich nicht die strukturellen Bedingungen in den armen Ländern per se, sondern vielmehr die bewusst von den Ländern der nördlichen Hemisphäre so erstellten bilateralen Verträge, die einen solchen „erwünschten“ Zustand erst ermöglicht haben…

  2. Otto Riedling

    Mit den „Impfverweigerern“ ist es genauso wie mit den „Integrationsverweigerern“ – sie sind ein harter Kern, der das System extrem fordert und alle Anderen in Bedrängnis bringt. Ich glaube, jede Demokratie muss solche Leute „aushalten“. Die einzige Möglichkeit ist, die Hürden für die Teilnahme am öffentlichen Leben weiter zu erhöhen.

Schreibe einen Kommentar