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Stephan Eibel
dreijähriger erschießt sich selbst.
gedicht

erziehungsberechtigter verletzt aufsichtspflicht
ließ geladene pistole am tisch liegen
was selten ist – meist verstaut er sie

der dreijährige analphabet beobachtete seinen
erziehungsberechtigten ganz genau, wusste
von seiner nachlässigkeit

als der märz in diesem jahr wie der februar
und der jänner
temperaturrekorde erzielten und
er schon im april nackt im garten herum lief

war für ihn klar: vergiss es!

der erziehungsberechtigte wird von
jeder schuld frei gesprochen
weil der dreijährige hochintelligent –

tat, was hochintelligente, die nicht in den wahn – wie hölderlin –
flüchten wollen, tun. sie erschießen sich
und nicht jemand anderen

Stephan Eibel

Stephan Eibel wurde 1953 in Eisenerz in der Steiermark geboren und lebt seit 1979 als freier Schriftsteller in Wien. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und studierte Soziologie. Zuerst arbeitete er als Lohnverrechner, ab 1976 war er als Leiter der Autorensendereihe „Literatur im Untergrund“ für den niederösterreichischen Rundfunk tätig. Er ist Autor von Lyrik, Erzählungen, Romanen und Theaterstücken, zuletzt erschienen: Sofort verhaften! (Roman, 2008) und Licht aus! (Lyrik, 2012).

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