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Reinhold Knoll
Nachtrag zu Baumeister Lugner
und seinem Begräbnis
Eine nie gehaltene Grabrede

Wien hält am Jahrmarkt-Verhalten fest. Also zählen Schauen und schamloses Zuschauen zur Wiener Frivolität. Die Neigung zu Neugier und Schauen ist ein beliebter Topos für die Lyrik Josef Weinhebers. Das Schauen erhält in den Letzten Tagen der Menschheit von Karl Kraus seinen bitteren Kommentar. Im Wiener Schauen ist Schadenfreude und befriedigende Bosheit enthalten, weil auch Hausherren sterblich sind. Und zum Leidwesen der Wiener gibt es immer weniger zu schauen. 

Beim Donau-Insel-Fest ist wegen Licht- und Lärminstallation für die 250.000 Besucher nicht viel zu sehen. Der in der Ersten Republik gewaltige Mai-Aufmarsch der Sozialisten zieht heute kaum Schaulustige an, noch weniger die aus barocker Tradition stammenden kirchlichen Umzüge zu Fronleichnam. An diesen hat früher Bundespräsident Kirchschläger wie einst der Kaiser teilgenommen. Man fragt sich in Wien, ob nicht die Touristen den Wienern das Schauen stehlen.

So gibt es nur noch die traditionelle Nekrophilie der Wiener für Begräbnisse mit einer schönen Leich´. Sie befriedigt die Schaulust. Der größte Leichenzug Wiens war 1913. Dem Sarg des ermordeten Franz Schuhmeier folgten eine halbe Million Wiener. Am Friedhof wurde der Nachruf von Leo Trotzki verlesen. Und der Heldenplatz war bei der Verabschiedung von Engelbert Dollfuß so gut besucht wie der berühmte Auftritt Hitlers am gleichen Platz.

So musste man bis 1989 warten bis wieder eine schöne Leich´ für Aufsehen sorgte. Ausgerechnet die verstorbene Kaiserin Zita ließ alle republikanischen Vorbehalte und zeremonielle Schlichtheit vergessen. Zehntausende Schaulustige säumten den Weg vom Dom zur Kapuzinergruft. Die kaiserliche Karosse für den Marche Funèbre zogen zwölf Rappen – wie zuletzt beim Kaiser Franz Joseph. Seither wird der Dom als Versammlungsbau für laizistische Trauergemeinden genutzt – zuerst für den sozialdemokratischen Bürgermeister Helmut Zilk 2008. Das letzte Geleit gab ein Fackelzug bis zum Zentralfriedhof und den Sarg zog eine vierspännige schwarze Kutsche. 

Der verewigte Niki Lauda vereinigte 2018 die Elite der Automobilbranche im Dom. Der agnostische Bundespräsident van der Bellen leitete die Verabschiedung in der gotischen Halle ein. Und Zehntausende Schaulustige bedrängten den Auszug der Automobilweltmeister und behinderten den Trauerkondukt. Und der Dom wurde endgültig zur multifunktionalen Aufbahrungshalle für Trauerfälle anlässlich des verstorbenen Richard Lugner 2024, einem durch Medien hochstilisierten Opernballbesucher. Die Trauerredner verkörperten bereits das kommende politische Kulturmodell: populistisch

Sofort hatten sich nach dem Tod des Baumeisters Lugner die Bildmedien angeboten, eine ähnliche Übertragung der Trauerzeremonie live zu bieten, die in der Planungsphase nur geringfügig kürzer gewesen wäre als die Reportagen der Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene englische Königin. Es sollte die liebenswerte Seite des Populismus sein. Der pompöse Trauerkondukt sollte dann über die Ringstraße geführt werden, natürlich an der Oper vorbei, vorbei an der Lugner-City in der Gablenzgasse, um über eine der Ausfallstraßen zum Grinzinger Friedhof zu gelangen. Und es war ein Nationalratspräsident, der noch in der Aufbahrungshalle, ehemals Stephanskirche, eine schwarze Fahne an der Oper einmahnte.

Und so war es auch. So wurde ohne geforderte posthume Ehrung der wichtigste Gast eines zweifelhaften Ballvergnügens an der Oper vorbeigekarrt wie Tausende Touristen in den Hop on-Hop off-Bussen.

Nun ist das Beerdigungsereignis des bekannten Baumeisters eine weitere Geschichte für die Beispiele der mediengesteuerten Meinungsbildung. Das hatte dereinst nach Absprachen zwischen einer kleinformatigen Zeitung und Gerd Bacher als Generalintendant des reformierten ORF begonnen. Gemeinsam hatte man vereinbart, auf der großen neuen Medienorgel vierhändig zu spielen. Damit war der Ausschluss von Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 zum Anlass eines Medienexperiments genommen worden. Empörte und Schaulustige sollten entlang der Strecke vom Flughafen Schwechat bis zum Bundeskanzleramt mobilisiert werden- Und? Schranz war dann am Balkon erschienen, war enthusiastisch gefeiert und gleichzeitig war die Parole ausgegeben worden, keinen Mautner-Senf zu kaufen – da Manfred Mautner gerade Präsident des österreichischen Olympischen Komitees war. Bruno Kreisky war das ganze Getue furchtbar peinlich.

Die Bildmedien, die Theater, wie auch die Institute der Kulturverwaltung haben seither die Grenze zwischen Obszönität und Aktualität, Geschmacklosigkeit und Moderne verwischt. Wahrscheinlich war der Einzug des Obszönen ins Burgtheater der Grund für die Schließung des Moulin Rouge. Die Nackten waren dort schon ab halb acht zu bewundern, nicht erst nach Mitternacht wie in der Wallnerstraße. 

Für diesen Wandel war der verstorbene Baumeister ein willfähriger Gehilfe gewesen, der erbarmungslos als Muster der Liederlichkeit, der peinlichen Entäußerung und wie eine Figur einer Moliere´schen Komödie vorgeführt wurde. Die Peinlichkeiten werden in diversen Talk-Shows mit Inbrunst ab Nachmittag zelebriert, wo eine Schamgrenze grundsätzlich übertreten wird. Also kann man Lugner als Opfer seines Narzissmus bezeichnen, der offenbar nicht wusste, wie sehr das Humanum in der grauslichen Serie Die Lugners verletzt wurde. Er hatte nicht verstanden, dass er zum Argument für die Verächtlichkeit und Dummheit des Menschen benutzt wurde. 

Da war er dauernd in seine unappetitlichen Affären verstrickt, war fürs Indiz missbraucht worden, dass Frauen als törichte Gespielinnen in ihrer Gier zu demaskieren sind, dass Sexualität die Funktion der Domestikation erfüllt und wie ein alter Mann zum Lustgreis avancieren kann. Es war schon bei den Opernball-Reportagen keiner Regie eingefallen, diesen Mann vor sich selbst zu schützen. 

Da sind in Österreich die Bildmedien in vorderster Reihe. Hier wird keine Schamlosigkeit ausgelassen, keine Geschmacklosigkeit vermieden und dafür diente Lugner als trade mark. Mag er in seinem Arbeitsleben tüchtig und einzigartig gewesen sein, – das war nie von öffentlichem Interesse – so verblassten seine Herkunft und der berufliche Erfolg in der peinlichen Maskerade zum Operetten-Casanova, den nur Jopie Heesters oder Peter Alexander erfolgreich gespielt hatten. 

So war der Höhepunkt des Wiener Spotts am Lebensende erreicht, als Zylinder, Spazierstock und Handschuhe von Komparsen auf den Sarg gelegt wurden, die Accessoires für den Komparsen seiner selbst. Und die Trauergemeinde, bestehend aus Mausis und Töchtern, wichtigen Männern, die sich als Stützen für Trauernde anboten, verlor im Nu ihren angeblichen Wiener Charme. Sie mauserten sich zu frivolen Schildbürgern, als wären alle, auch Toni Faber als Dompfarrer, dem Lale-Buch von 1597 über die Großtaten der Lalen zu Laleburg, vulgo Schildbürger, entsprungen.

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Reinhold Knoll

Reinhold Knoll, geb. in Wien 1941. Gymnasium und Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. A.o. Hörer an der Akademie der Bildenden Künste. Promotion 1968 mit dem Thema „Früh- und Vorgeschichte der christlich-sozialen Partei bis 1907" (gedruckt). 1969 bis 1972 innenpolitischer Redakteur im ORF. 1973 am Institut der Soziologie an der Univ. Wien. Habilitation zur „Österreichischen Geschichte der Soziologie", gedruckt, mit Beiträgen von Helmut Kohlenberger 1988. A.o. Prof. für Soziologie ab 1989; Letzte Publikationen: The Revelation of Art-Religion, New York 2018; Letters to my grandchilden, New York 2021; und Beitrag zu Joseph von Sonnenfels, 2024.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. stephan eibel

    ich danke dem professor, weil ich immer wieder neues erfahr. beispielsweise, dass mautner präsident des österreichischen olympischen komitees war. ich litt fürchterlich ob des boykotts meines liebling-senfs! glücklicherweise kaufte ihn meine mutti trotzdem. das mit dem schranz war mir egal, obwohl ich für den karli oft die daumen gedrückt hab.

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