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Josef Christian Aigner
Die problematische Anbiederung der Kirche
an junge Menschen
Essay

Vor einiger Zeit gab es eine Aktion der Diözesen Wien, Graz-Seckau, Feldkirch, Gurk-Klagenfurt und Salzburg, mit der Schülerinnen und Schülern vor der Matura auf digitalem Weg ein Segensgebet (Be Blessed) zukam, die den Prüflingen himmlischen Beistand versprach – nebst einem Kerzerl, das den Segen von oben stärken sollte. Kein Witz!

Ich erinnere mich, dass wir einst als Klosterschüler mit entsprechender religiöser (Ver-)Bildung auch (und nur) vor Schul- oder Matura-Arbeiten schnell ein frommes Knickserl in der Stiftskirche gemacht hatten. Dies aber in den 1960-ern, fernab heutiger Kritik solcher Rituale. Der Grazer Theologieprofessor Kurt Remele bezeichnete diese Aktion deshalb als Ausdruck einer völlig veralteten Theologie (DerStandard v. 29.4.).

Nun ist es kein Zufall, dass so etwas in Zeiten schwindenden Zulaufs junger Menschen zur Kirche passiert. Offenbar suchen Kirchenverantwortliche halt irgendwie Anschluss an die junge Generation. Dabei ist diese Matura-Frömmelei im Vergleich zu anderen Anbiederungsversuchen relativ harmlos: Bedenklicher scheint die weithin beobachtbare Tendenz mancher Kirchenspitzen, diesen Zulauf nicht durch eine weltoffene, sich aktuellen Themen stellende Haltung zu erreichen, sondern durch Hinwendung zu fragwürdigen charismatischen Erneuerungs-Bewegungen, die wegen klarer, dogmatischer Glaubensinhalte bei verunsicherten Jugendlichen eine gewisse Attraktivität haben: sie versprechen in komplexen Zeiten offenbar Halt und Orientierung. 

Diese im katholischen und evangelischen Bereich auftretenden evangelikalen Gruppen – und ihre Lehrherrn – zeichnen sich durch eine extrem konservative Haltung gegenüber anderen Religionen, gegenüber Sexualität, Partnerschaft und Familie sowie gegen die Gendertheorie ( die es nicht gibt) aus. Das Böse sitzt dabei besonders im Sex, der sündenfrei weder vorehelich, solo- und homoerotisch noch trans* sein darf!

Bedenklich dabei ist nicht so sehr die realitätsferne Frömmigkeit (die sei jedem/er unbenommen), sondern die politisch klar nach rechts tendierenden und von dort eifrig umworbenen Einstellungen: da geht es in völkischer Weise um die bedrohten Werte des christlichen Abendlands, das vor östlichen Einflüssen und westlicher Dekadenz bewahrt werden müsse, gegen die Ehe für alle oder gegen LGBTQIA , die wie die Transsexuellen nur die gottgewollte Geschlechtlichkeit auflösen wollten. 

Da gibt es zum Beispiel auch Reinheitsschwüre Jugendlicher auf den Verzicht auf all diese todsündhaften Verfehlungen. So etwa bei den Jugendtreffen im steirischen Pöllau, die Bischof Krautwaschl heuer losgeworden ist, bei denen ein Pfarrer zur strengen Keuschheit ermahnte, auch wenn die ganze Hölle dagegen anrennt – wozu auch Gleichstellungsgruppen von Frauen, Homosexuelle und andere Unzucht gehörten.

Zurück zu meiner ehemaligen Klosterschule: nachdem man in Pöllau keine Räume mehr zugestand, gibt nun der Abt des Benediktinerstiftes Kremsmünster, Ambros Ebhart, diesen Jugendtreffs für Juli 2024 in Oberösterreich eine Bühne – zum Missfallen des Linzer Diözesanbischofs Scheuer, der sich aber wegen der Autarkie von Äbten machtlos zeigte (warum nun die Bischofskonferenz einen derart umstrittenen Event mitfinanziert, bleibt ein Rätsel…). 

Auch sonst pflegt man dort eine sehr konservative Jugendpastoral, etwa bei Treffpunkt Benedikt, wo z.B. ein Mitglied von Das Werk referierte, ein Orden, der auch im Zusammenhang mit spirituellem Missbrauch in der Literatur auftaucht. Jedenfalls scheint es mehr als obskur, eine die Sexualität derart dämonisierende Veranstaltung an einem Ort abzuhalten, der vor 12 Jahren wegen Missbrauchsfällen massiv in Verruf geraten ist – wo man doch weiß, dass Missbrauchsfälle vornehmlich in einem derartigen Klima gedeihen.

Ähnliche religiöse Gruppen beschäftigten auch schon die österreichische Innenpolitik: erinnert sei an das kollektive Gebet für Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle im Jahr 2019, als ein illustrer australischer Prediger Kurz unter dem Jubel tausender Evangelikaler als einen von Gott gesandten Politiker lobpries. Braucht die Kirche diesen Nachwuchs?

Diesen Rechtsdrall scheint es auch in Institutionen wie dem sehr erfolgreichen Augsburger Gebetshaus zu geben, das von Theologen wegen seiner Zusammenarbeit mit sehr konservativen Gruppen und wegen sektiererischer Züge kritisiert wird. Dessen Gründer Johannes Hartl hat etwa zu einer christlichen politischen Kampfschrift der Gabriele Kuby – einer ultrakonservativen, recht homophob und gegen den Verfall aller Sexualmoral auftretenden Autorin – eine Würdigung verfasst: er habe das Buch mit Begeisterung gelesen

Braucht die Kirche eine solche Begeisterung?

Statt krampfhaft Nachwuchs in solch umstrittenen Kreisen zu suchen, seien die Kirchenoberen an die päpstliche Vision einer armen Kirche erinnert – selbst ärmer an Mitgliedern als jetzt schon. Dafür aber fokussiert auf das gerade für Papst Franziskus zentrale Movens: den Beistand und die Solidarität gegenüber den Ärmsten auf dieser Erde und die Sorge um das gemeinsame Haus, das wegen weltweiter ökonomischer Ausbeutung und rücksichtsloser Profitgier politisch und ökologisch massiv gefährdet ist. 

Die Vermittlung dieser Sorge an Jugendliche in Wort und Tat wäre ohne antiquierte Sexualmoral sicher für mehr junge Menschen, als sich gegenwärtig in der Kirche engagieren, attraktiv.

Ersterscheinung: Die Presse. Wien. 07.06.2024

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Josef Christian Aigner

Geboren am 5.10.1953 in Grieskirchen, Oberösterreich. Matura am Stiftsgymnasium Kremsmünster, Studium der Psychologie und Pädagogik an der Universität Salzburg. 1982-1994 als Psychologe und Universitätsassistent in Bregenz tätig. Dann Wechsel an die Universität Innsbruck, Habilitation im Jahr 2000; Berufung zum Professor für psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck 2005. Verheiratet, zwei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder.

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