Helmuth Schönauer
Lärm als Statussymbol
Stichpunkt

1.
Lärm ist nicht gleich Lärm. Den gepflegten Lärm muss man sich leisten können. Ein guter Lärm ist also ein Machtinstrument, um möglichst viele Mitmenschen von der eigenen Kapazität der Existenz zu überzeugen.

Die Klassiker solchen Lärms sind:

Rasenmäher
Nur wer eine entsprechende frei verfügbare Fläche zum Ausbringen von Rasen zur Verfügung hat, kann sich einen solchen leisten.

Klavier
Wer sich in der Stadtwohnung ein Zimmer abzwacken kann, um darin durch stundenlanges Klavierüben der Welt zu zeigen, dass man gebildet ist, hat es geschafft, mit Hass wahrgenommen zu werden.

Blasinstrumente

Hinter jeder Blasmusik steckt eine Rotte von Übenden, die daheim die Umgebung terrorisieren, indem sie für die nächste Musikprobe ihre Partituren einstudieren. Ursprünglich als Musik für das weite Land gedacht, auf dem man herum plärren konnte, herrschen bei der oft dichten Verbauung mittlerweile ähnliche Hassgefühle der Umgebung vor, wie sie in der Stadt Klavier-Übenden entgegengebracht werden.

Motor-Bike

Ausfahrten mit dem Bike sind durchaus der Aufführung eines Musikstückes vergleichbar, wo es ja auch laute und leise Stellen gibt, die meist nur der Tonproduzent selbst wahrnimmt, für alle anderen ist es einfach laut und lärmig.
Motor-Bikes sind folglich keine Verkehrsmittel, sondern Musikinstrumente für ausgewiesen-selbstbewusste User.
(Man stelle sich nur die Hells Angels auf Akku-Bikes vor oder in den Öffis, wie es die Grünen propagieren.)

Jet
Bei vielen geht die Urangst um, dass im Urlaub nichts los ist. Um allen zu zeigen, dass man jetzt auf Urlaub fährt, wird gerne ein Jet benützt, der die Zurückbleibenden ordentlich am Boden erregt, während man mit vollem Schub abhebt.
Im Premium-Segment des Urlaubens werden Flugpassagiere vom Flughafen aus hinter verdunkelten Scheiben ins Hotel gebracht, damit sie nicht Face to Face den empörten Anrainern ihre lautstarke Landung im Urlaubsort erklären müssen.


3.
Die Auswirkungen dieses Bobo-Lärms, wie der sozial hochstehende Ausstoß von Schallwellen genannt wird, sind extrem kreativ, weil sie auf den ersten Blick oft nicht auf den Lärm zurückzuführen sind.

Verkauf

Im Themenbereich Rechte beim Hauskauf wird gerne ein Paradefall aus Kärnten zitiert, wo sich in einer wohlbestallten Einfamilienhaussiedlung zwei Immobilienuser in die Haare geraten sind.
Im einen Haus wohnte ein behindertes Kind, das oft wochenlang rund um die Uhr durchgeschrien hat, im Nachbarhaus ein beamtetes Ehepaar, das Ruhe einklagen wollte.
Da das Recht Durchzuschreien höher eingestuft wird als das Recht auf Ruhe, blieb dem Ehepaar nichts anderes übrig, als ihr Haus zu verkaufen, um irgendwie aus dem Lärm herauszukommen. Der Versuch, die Wertminderung des Hauses wegen das Geschreis des Nachbarkindes einzuklagen, scheiterte ebenfalls. Lärm kann also auch in sozial hochgestellten Personenlagen zu Verdruss führen, wenn ein schreiendes Kind im Spiel ist.

Therapie

Seit Covid werden landauf landab allerhand Therapien und Beratungen angeboten, um den Lärmgeschädigten aus dem Home-office halbwegs Linderung entgegenzubringen. Fast alle Home-officer erklären nämlich, dass das Schlimmste zu Hause jener Lärm ist, der von Nachbarn durch die Wände dringt. Gerade das Bemühen, wenigstens selbst leise zu sein, lässt diese Lärmgeschädigten oft unerwartet in Massaker-Manier explodieren.

Berufsunfähigkeit

In Deutschland macht gerade die sogenannte Lärm-Kita-Studie die Runde, wonach der Anteil der psychisch Erkrankten unter den Kita-Pädagoginnen im Spitzenfeld aller Berufsgruppen liegt. Das permanente Schreien der Kids, wenn sie sich von einem Spiel zum nächsten bewegen, macht die Pädagoginnen wahnsinnig. Denn längst ist der Berufslärm durch die Kids stärker als die eingeübten Selbstschutzmaßnahmen, die auf den Pädagogischen Akademien gelehrt werden.

Unfruchtbarkeit

Fertilitätsspezialisten berichten, dass der größte Teil der misslungenen Zeugungsversuche auf die Vorstellung der Agierenden zurückzuführen ist, dass aus dem Zeugungsakt unendlicher Lärm entstehen wird, wenn die Kids später ständig unmotiviert schreien.

Abwahl

Die Lärmempfindlichkeit der Bevölkerung ist mittlerweile so groß geworden, dass Politiker noch vor der Wahl abmontiert werden, wenn sie nicht genügend Lärmschutz versprechen. Als der BM-Kandidat der Innsbrucker ÖVP ein einziges Mal den Mund aufmachte, und die Erweiterung des Flughafens versprach, wurde er quasi noch vor der Wahlzelle abmontiert und in die Wüste geschickt.

Lärm als soziokulturelles Phänomen sollte unbedingt ernst genommen werden, denn Lärm ist jenseits seiner kulturellen Leistung vor allem eine Waffe, die wie ein gezücktes Messer jeden wehrlos in die Knie zwingt.
Ein Streetworker fasst es zusammen: Die Underdogs haben ihre Messer, die Wohlhabenden ihren Lärm, um sich Respekt zu verschaffen.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Reinhard Kocznar

    In den 70ern des vergangenen Jahrhunderts thematisierte eine Serie Cartoons den Weltschmerz der zukünftig Abgehängten urbaner Provenienz, derer, deren 25ster vorbei war und der 30ste am Horizont das Ende der gestundeten Zeit sichtbar werden ließ.
    Der Titel dieser Cartoons lautete ‚Die Frustrierten‘.

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