Helmuth Schönauer
Statistikscherze
Stichpunkt

Wer fleißig die Pandemiestatistiken studiert, kann feststellen, dass Österreich von einem Tag auf den anderen ein Minus in der Impf-Statistik hinkriegt. Dabei ist die Rechnung sehr einfach: Wenn die, welche am Vortag geimpft worden sind, über Nacht sterben, gibt es ein Plus bei den Todesfällen und ein Minus bei den Geimpften. Je nachdem, wer zuerst die Listen ausfüllt.

Natürlich kann auch Schlamperei eine Rolle spielen. Die österreichische Bürokratie ist auf der ganzen Welt berühmt dafür, dass sie mit dem Daumensprung arbeitet. Und der alte Metzger-Satz „darf´s ein bissl mehr sein“ ist vor allem in der Landeshauptstadt Innsbruck noch allen in guter Erinnerung, als die Künstler und Christkindl-Umzieher plötzlich massenhaft Geld kriegten, weil die Wurstmaschine der Bürgermeisterin auf dickere Förderungsscheiben eingestellt war.

Seit in den Altersheimen wieder viel Platz ist wegen vorgezogener Todesfälle, sind bösen Gerüchten zufolge immer öfter Kammerjäger unterwegs, welche Senioren samt Rollator vom Gehsteig herunterholen und in die nächstbeste Residenz verfrachten. „Wir stehen mit den Kosten an der Wand“, heißt es, „wenn wir nicht ständig nachfüllen, müssen wir dicht machen.“

Das will niemand, denn dann müssten alle plötzlich wieder die Alten zu Hause übernehmen. Da füllt man lieber freiwillig die Einrichtungen wieder auf.

Apropos „An der Wand“. Einer historischen Legende zufolge soll in Österreich die Todesstrafe nur deshalb abgeschafft worden sein, weil es ständig zu Falscheinträgen auf diversen Listen gekommen ist. Die schlauen Beamten haben nämlich die Hinzurichtenden als tot eingetragen, aber nie jemanden hingerichtet.

Um diese skandalöse Diskrepanz zwischen Statistik und Realität aufzuheben, hat man sich schließlich dazu entschlossen, überhaupt niemanden mehr hinzurichten. Seither ist Österreich ein Quell der Humanität. Aber auch das kann natürlich ein Fehleintrag sein.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar