Gabriela Kompatscher:
„Human-Animal Studies“ untersuchen die Beziehungen zwischen dem Menschen und anderen Tieren.

Wenn Sie bei der Lektüre des Titels des vorliegenden Artikels über das Wörtchen „anderen“ gestolpert sind, befinden Sie sich in bester Gesellschaft: Wer nicht gerade als Naturwissenschaftlerin tätig ist, wird sich durch den Hinweis, dass es sich auch bei Menschen um Tiere handelt, trotz besseren Wissens leicht irritiert fühlen. Die Zoologie hat aber mittlerweile den Menschen von seinem Thron als Herrscher über die Welt gestoßen, als der er sich gemäß der vermutlich falsch interpretierten Bibelstelle „Genesis 1,28“ gern sehen würde. Daraus folgt, dass es die Grenze, die in vielen Kulturen (aber nicht in allen) zwischen Menschen und anderen Tieren angenommen wird, gar nicht gibt, sondern lediglich schmalere, manchmal passierbare Übergänge zwischen unterschiedlichen Tierarten inklusive des Menschen.

Und schon fühlen wir uns gekränkt! Unsere Ratio kann die Tatsache zwar akzeptieren, dass ein Schimpanse uns ähnlicher ist als etwa einem Gorilla (der Unterschied im Erbgut von Schimpanse und Mensch beträgt ca. 1,5%). Unser durch antike Philosophie und christliche Religion geprägtes Ego allerdings verträgt diese vermeintliche Herabsetzung nicht. Dazu kommt, dass die Akzeptanz derartiger Tatsachen drastische Folgen in allen unseren Lebensbereichen hätte. Also ignorieren oder leugnen wir sie lieber.

Es gibt keine naturwissenschaftliche Rechtfertigung dafür, eine Sonderstellung des Menschen innerhalb des Tierreiches anzunehmen: Der Mensch ist hier ein Gleicher unter Gleichen. Und dennoch versuchen wir Gründe dafür zu finden, warum wir doch etwas „Besseres“ seien: Da wird die Religion vorgeschoben („Machet euch die Erde untertan“) und die Wirtschaft (dabei gibt es immer mehr Fleischhersteller, die mittlerweile große Gewinne mit pflanzlichen Produkten einfahren). Auch die Tradition muss herhalten („Tiere wurden immer schon geschlachtet“). Tatsächlich steht die Angst dahinter, etwas bequem Gewordenes aufzugeben, nämlich die Ausbeutung von Tieren, und sich auf eine neue Perspektive einzulassen, etwa wie sie die Human-Animal Studies entwickelt haben.

Neben einer fälschlich angenommenen Mensch-Tier-Grenze pflegen wir eine willkürliche Einteilung von Tieren in Kategorien wie „Nutztiere“ oder „Haustiere“. Wir Menschen machen also Tiere entweder zu einem Lebewesen, das man streichelt, oder zu einem, das man isst, dem man die Haut abzieht, das man für Experimente verwendet. Dies kann von Kultur zu Kultur variieren: Meerschweinchen sind bei uns Haustiere, die meist armselig in Käfigen in Kinderzimmern dahinvegetieren, aber immerhin nicht getötet und gegessen werden. In manchen südamerikanischen Ländern gelten sie als ein Tier, das man isst. Es gibt also – in fast allen Kulturen und zu fast allen Zeiten – eine Zwei-(oder Mehr-)Klassengesellschaft. Ein Tier kann auch von einer Klasse in die andere wechseln, wie das z.B. bei Esther, the Wonderpig, der Fall ist: Ursprünglich ein Tier, das zur Schlachtung gedacht war, nach seiner Flucht aber das Glück hatte, von einem tierliebenden Paar adoptiert zu werden.

Durch solch einen Kategorienwechsel ändert sich vieles: Das Tier erhält einen Namen, eine Biographie, liebevolle Zuwendung, mitunter auch kostspielige ärztliche Versorgung, es wird nicht zu einem bestimmten Zweck getötet, sondern nur, um es zu „erlösen“. Tatsächlich passt das alles nicht zusammen. Durch Tradition, Kultur, Erziehung übernehmen wir einfach bestimmte Ansichten bezüglich der Tiere, meist kritiklos. Viele Menschen verspüren inzwischen jedoch eine gewisse Beklommenheit und auch ein schlechtes Gewissen, wenn sie Tiere essen, z.B. bei Kälbern, die ja mit ihren großen Augen sehr niedlich aussehen. Auch bei Schweinen, da man mittlerweile weiß, dass auch sie Schmerzen empfinden und andererseits sogar noch intelligenter als Hunde sein sollen (Kleiner Exkurs: Die Intelligenz der Tiere wird meist nach menschlichen Maßstäben gemessen, was den kognitiven Fähigkeiten von Tieren nicht gerecht wird).

Zwei konträre Vorstellungen treffen da in unserem Denken aufeinander: Wir wollen nicht, dass Tieren geschadet wird, wir wollen aber ihr Fleisch essen. Das bezeichnet man nach Leon Festinger als „Kognitive Dissonanz“. Diesen unangenehmen Zustand versuchen wir aufzulösen, indem wir die Bilder aus Massentierhaltungen, von Tiertransporten und Schlachtungen, die wir alle kennen, verdrängen, indem wir uns von Pseudo-Labeln und Bildern von Kühen auf Wiesen einlullen lassen, und indem wir Tiere als dumm und empfindungslos abwerten.

Human-Animal Studies wollen den Blick gezielt auf diese Mechanismen richten und nach alternativen Herangehensweisen suchen. Bei den Human-Animal Studies handelt es sich um ein relativ neues interdisziplinäres Forschungsfeld, das Mensch-Tier-Beziehungen auf eine neue, auch den Tieren angemessene Weise untersucht.
Dabei werden Tiere nicht mehr als Objekte, sondern als Subjekte und als Individuen mit eigenen Erfahrungen, Interessen, Perspektiven, Empfindungen und Vorlieben gesehen. Sie sind nicht mehr stumme Lebewesen zweiter Wahl, sondern sie werden als Akteure mit Wirkungsmacht eingestuft (man denke nur an das eigene Haustier daheim, nach dessen Pfeife wir tanzen, oder die Kuh, die deutlich macht, dass sie kein Interesse hat, geschlachtet zu werden und aus dem Schlachthof ausbricht).
Die Vermenschlichung von Tieren wird nicht mehr kategorisch verpönt, sondern in wissenschaftlichem Rahmen zugelassen. Denn tatsächlich haben wir Menschen viele Ähnlichkeiten mit anderen Säugetieren und Vögeln (Emotionen, Stimmungen, Sprach- und Werkzeuggebrauch, Kultur, Sozialverhalten u.v.m.). Kulturelle, philosophische und gesellschaftliche Glaubenssätze und Konstruktionen werden analysiert, kritisch hinterfragt und bei Bedarf dekonstruiert (siehe Mensch-Tier-Grenze; Kategorisierung von Tieren etc.). Gleichzeitig werden die Unterschiede zwischen verschiedenen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren anerkannt, beachtet und möglichst berücksichtigt (Anerkennung und Inklusion von Differenz). Human-Animal Studies plädieren also dafür, eine rein anthropozentrische Perspektive – der Mensch als vermeintlicher Mittelpunkt der Welt – zu überwinden und stattdessen die Perspektive der Tiere miteinzubeziehen. Sie stellen die Fragen: Wie sieht das Tier auf die Welt? Wie stellen sich Mensch-Tier-Beziehungen für die Tiere dar, etwa bei tiergestützten Therapien?

Human-Animal Studies versuchen, jeglichen Speziesismus zu überwinden; dabei handelt es sich um eine Analogie-Bildung zu Sexismus, Rassismus oder Ageismus, Einstellungen, die die Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausbeutung eines Lebewesens auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bezeichnen. Und sie bemühen sich um eine tiergerechte Sprache. So werden in unserer Kultur identische Vorgänge, Körperteile, Eigenschaften, Zustände etc. bei Menschen und Tieren mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt: essen / fressen, Leichnam / Kadaver, schwanger / trächtig, gebären / werfen, sterben / verenden. ÖkolinguistInnen und VerhaltensforscherInnen weisen jedoch darauf hin, dass damit vermeintliche Unterschiede zwischen Menschen und anderen Spezies zementiert werden, statt dass das Gemeinsame hervorgehoben wird.

Human-Animal Studies haben letztendlich die Aufgabe, die Gesellschaft in Bezug auf ihren Umgang mit Tieren zu sensibilisieren und zu einer Verbesserung der Verhältnisse beizutragen. Wie dies konkret aussieht, wird in Veröffentlichungen, Vorträgen, Veranstaltungen und Vorlesungen dargestellt.
Alle interessierten sind herzlich willkommen ist: https://www.uibk.ac.at/projects/has/index.html.de

Gabriela Kompatscher Gufler ist außerordentliche Professorin für Lateinische Philologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Ihre Forschung konzentriert sich auf lateinische Texte des Mittelalters, wobei der Themenkomplex „Mensch und Tier im Mittelalter“ einen besonderen Schwerpunkt bildet (Tiere als Freunde im Mittelalter, 2010, zusammen mit A. Classen und P. Dinzelbacher; Partner, Freunde und Gefährten. Mensch-Tier-Beziehungen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit in lateinischen Texten, 2014, zusammen mit F. Römer und S. Schreiner). Sie ist Mitbegründerin des Innsbrucker Human-Animal-Studies-Teams und als solche im Bereich der Human-Animal Studies und speziell der Literary Animal Studies tätig.

Gabriela Kompatscher

Gabriela Kompatscher Gufler ist außerordentliche Professorin für Lateinische Philologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Ihre Forschung konzentriert sich auf lateinische Texte des Mittelalters, wobei der Themenkomplex „Mensch und Tier im Mittelalter“ einen besonderen Schwerpunkt bildet (Tiere als Freunde im Mittelalter, 2010, zusammen mit A. Classen und P. Dinzelbacher; Partner, Freunde und Gefährten. Mensch-Tier-Beziehungen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit in lateinischen Texten, 2014, zusammen mit F. Römer und S. Schreiner). Sie ist Mitbegründerin des Innsbrucker Human-Animal-Studies-Teams und als solche im Bereich der Human-Animal Studies und speziell der Literary Animal Studies tätig.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Gabrielle Otto

    Folgende drei Beiträge machen ergänzend deutlich, daß FürSorge, Anerkennung von Verwundbarkeit und Recht auf Staatsbürgerschaft für nichtmenschliche Lebewesen, die wir Tiere nennen (1) zwar utopisch klingt, doch dass aus kulturanthropologischer Perspektive dieser Paradigmenwechsel als zuvorderst notwendig ist:
    I.) Was in den Zucht- und Schlachtanstalten der sogenannten zivilisierten Nationen geschieht, gehört, alles erwogen, zu dem wohl größten Verbrechen, das zurzeit auf Erden zu registrieren ist; es gehört mit zu einem Problem von allergrundsätzlichster Bedeutung. (2)
    II.) Die Einführung des Vegetarismus hat schon vor knapp 140 Jahren, als er zur Bewegung wurde, alles Mögliche für sich gehabt, nicht zuletzt auch den mampfenden Hohn der Idioten, derer Taschenbacken sich unfehlbar zum Feixen verziehen, wenn eine der primitiven Ideologien, von deren Ertrag sie sich mästen, ins Wackeln gebracht wird.
    Aber seither sind die Gründe ins Erdrückende gewachsen, und es sind sogar nicht nur moralische, lebenstheoretische Gründe, sondern höchst praktische, die selbst der dickfelligsten Habsucht einleuchten müßten, nämlich hygienische und ökonomische – wer’s nicht weiß, setze sich auf den Hosenboden und mache sich mithilfe der einschlägigen Literatur sachkundig. (3)

    III.) https://www.earthlings.de (4)

    (1) Derrida, J. (1997). Das Tier, das ich also bin. Passagen, Wien.
    (2) Wollschläger H. (2002). Tiere sehen dich an. Wallstein Verlag. Göttingen. 10.
    (3) Wollschläger H. (2002). 11.
    (4) Monson S. Earthlings. Dokumentation über den Konsum von Fleisch und die Nutzhaltung von Tieren. (2005). USA.

  2. Walter Rom Veronika Rom-Erhard

    Sehr geehrte Frau Prof. Kompatscher!
    Mit viel Freude haben wir Ihren Blogeintrag gelesen und haben uns ein paar persönliche Gedanken dazu gemacht.
    Mensch und Tier bestehen beide aus grobstofflicher Materie. Was ist dann eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Spezien? Es kann nur die Intelligenz des Menschen bzw. der Instinkt der Tiere sein, die das eine vom anderen unterscheidet.
    Intelligenz, gepaart mit der Möglichkeit sich auszudrücken, kann Segen aber auch Fluch sein. Fluch vor allem dann, wenn die Wahrheit zur Lüge und das Gute zum Bösen verdreht wird. So eine Verdrehung findet beispielsweise statt, wenn uns in der Werbung fröhliche und glückliche Tiere auf grünen Wiesen gezeigt werden, in der Realität allerdings sogenannte Nutztiere, die nie eine Wiese oder die Sonne gesehen haben, in Tierfabriken gemästet und im Akkord oft mit unzureichender Betäubung geschlachtet werden.
    Würde der Mensch seine Intelligenz zum Nutzen aller einsetzen, würde die gesamte Menschheit ein friedliches Leben führen können. Keine vor Hunger sterbenden Kinder, keine verbrannte Erde, keine Kriege, kein Völkermord würde das Leben vieler bestimmen, sondern Friede und ein Leben im Einklang mit der Natur wären die Folge. Nähme man die Billionen von Dollar in die Hand, um statt Waffen und Kriegsmaterial die Wüsten fruchtbar zu machen und Nahrungsmittel für alle anzubauen und eine faire Wirtschaft zu entwickeln, könnte die gesamte Menschheit ohne existentielle Sorgen und Ausbeutung von Tieren in einem gehobenen Wohlstand leben. Die Welt in diesem Sinne zu entwickeln, müsste doch für die Krone der Schöpfung möglich sein.

  3. Chris Geiser

    Der Artikel von Fr. Dr. Kompatscher ist sehr treffend. Vielen Dank für die generelle sehr wertvolle Arbeit im Bereich Tierschutz bzw. Tierrechte!

  4. Reinhold Zust

    Sehr geehrte Frau Professor,
    bitte um Vergebung, dass ich über die einleitenden Worte Ihres interessanten Forschungsberichtes nicht einmal „gekränkt“, sondern höchstens verwundert bin, da ich bisher annahm, ein Mensch zu sein. Ob ich mich auf Grund der in Ihren Studien angeblich „fälschlich“ angenommenen Mensch-Tiergrenze nun als menschliches Tier oder als tierischer Mensch fühlen sollte, ist mir nicht ganz schlüssig und man könnte vermuten, dass Sie im Sinne der „Human-Animal Studies“ u.a. auch nichts gegen unappetitliche Zustände, wie z.B. Katze am Esstisch oder Hund im Bett des Menschen einzuwenden haben.
    Dass ich von Ihnen wegen dem gelegentlichen Verzehr von Tierfleisch möglicherweise als Kannibale eingestuft werde und es dem Sinn der „Studies“ entsprechen könnte, den Tieren, auf Grund der bestehenden „Gleichheit“, den Verzehr von Menschenfleisch zuzugestehen und dieses Mahl dann auch nicht als „Fressen“, sondern als deren „Essen“ zu bezeichnen, schiene mir mehr als gewagt, und ich kann auch sämtliche den Tieren gegenüber gebräuchliche Vergleiche ähnlicher Bezeichnungen, als für diese „diskriminierend“ und „herabwürdigend“, nicht ganz ernst nehmen.
    Ausführliche Studien über den nicht oder doch vorhandenen eindeutigen Unterschied zum Menschen, nämlich dass sich Tiere gegenseitig, um zu überleben, auffressen – oder gleichmacherisch ausgedrückt – „aufessen“, was beim Menschen höchstens so weit geht, dass sich diese zwar leider nicht selten gegenseitig umbringen, jedoch normalerweise nicht verspeisen, sollte man hervorheben.
    Müsste ich mir demgemäß beim Verzehr meines Frühstückseis sogar vorwerfen, einen Embryo aufzufressen und bei dem – schon auf Grund des Preises – eher seltenen Genuss von Kalbfleisch ein Fototo mit den traurigen Augen eines Kalbes zum Besteck legen? Der Appetit könnte einem dann tatsächlich vergehen, ganz im Sinne der Studies.
    Anderen Studien ist allerdings zu entnehmen, dass für eine gesunde Ernährung des Menschen ein maßvoller Fleischgenuss zumindest erlaubt ist.
    Interessant wäre auch noch einen Bezug der Studies zur Zoonose zu erfahren, in welcher wahrscheinlich eine Rache des Tierreiches erkannt wird. Nicht viel anders verhielte es sich ja bei den „Killerkühen“, Bären, Wölfen in unserer Heimat, deren Angriffe auf die Menschen als Rache gegen Belästigungen in ihrem Reich zu betrachten sind, welche zumindest mit dem Versuch, diese Spezies zu Tode zu trampeln oder gar „aufzuessen“ geahndet wird.
    Gegen die ordentliche Haltung von Tieren und Tierschutz ist überhaupt nichts einzuwenden, Vernachlässigung und Massentierhaltung sind als Verbrechen gegen diese Lebewesen einzustufen. Die Aufgabe dieser Studies darin zu sehen, zu einer Verbesserung im Umgang mit Tieren beizutragen ist anzuerkennen, aber auf die Einhaltung gewisser fix zu ziehender Grenzen zwischen Mensch und Tier ist doch mehr Wert zu legen. Trotzdem werde ich mit einer diesbezüglichen „kognitiven Dissonanz“ beruhigt weiterleben in der Hoffnung, dass dafür allgemeines Verständnis aufgebracht wird.

Schreibe einen Kommentar