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Literarische Korrsespondenz
Elias Schneitter
Brief aus Aflenz

Es ist Sonntag und da will ich telefonisch nicht stören, sondern ein paar Zeilen schreiben. Ich tue im Moment nicht viel, schau nur hinaus ins Regenwetter und warte am Fensterplatz neben der Waschmaschine, bis die Ladung eines anderen fertig ist und ich an der Reihe bin. In meinem Stock ist nur eine Maschine und die ist meistens besetzt, und einigemale bin ich schon erfolglos abgezogen. Aber diesmal kommt mir niemand mehr in die Quere. Immer wieder tauchen Mitpatienten auf, aber ich lasse mich nicht verdrängen. Ich will saubere Wäsche.

Schlechtwetter (ist Regenwetter eigentlich so schlecht?) ist mir persönlich meist angenehmer als ein blöder blauer Himmel, wo ich immer ein schlechtes (nicht allzu sehr) Gewissen habe, weil man ja in diese gottverdammte nichtsnutzige Natur hinaus sollte. Ich bin kein Naturfetischist mehr.

Ehrlich gestanden bin ich mit sehr gemischten Gefühlen über die Autobahn und durch die vielen Tunnels in die Steiermark in das SKA, das Reha-Zentrum Aflenz gefahren, und nicht nur einmal habe ich mir überlegt, umzukehren, ich bin ein alter Knochen und was soll denn der ganze Zinnober bezüglich Therapien und all dem Wellness-Zirkus? Aber dann bin ich doch hier gelandet und hab die erste Nacht verdammt schlecht geschlafen, weil am nächsten Tag die ganzen medizinischen Untersuchungen anstanden und da weiß man ja nie. 

Jetzt gleich vorweg: Der nächste bösartige Journalist, der mir über meine geliebte Sozialversicherung meckert, schimpft oder kritisiert, dem werde ich höchstpersönlich eine gewaltfreie Watschen antragen. Die SKA-Aflenz ist ein wunderbares, riesiges Gebäude, mitten im Grünen, und vor allem kann ich das nach zwei Wochen behaupten: großartig organisiert, ein ausgeklügeltes Therapieprogramm, unheimlich freundliches Personal, fast ausschließlich Frauen. Nur zwei Steirer-Buam, eher resch und kurz angebunden, eigentlich so wie ich es mag.

Dann dreimal täglich ein gesundes, nicht zu üppiges, kalorienbewusstes Essen serviert zu bekommen, ist heutzutage doch enormer Luxus. Auch habe ich bemerkt, dass die Teller immer leer gegessen werden. Ja, es kommt halt immer auf die Portion an. Ein großes Handicap sind natürlich die Masken, der Abstand und die Hygiene, auf alles wird peinlich genau geachet, eh klar. Natürlich schränkt das die Kommunikation ein, auch beim Essen müssen wir ziemlich weit auseinandersitzen. Am lustigsten gehts draußen im Freien in einem eigenen Bereich bei den Rauchern zu!

Alle im Haus haben (es ist ja eine Sonderkrankenanstalt, eine Reha und keine Kur) mehr oder weniger einen medizinischen Knacks und das verbindet in gewisser Hinsicht. Heute hatten wir psychologische Betreuung, eine Art Gruppentherapie: Einer hat Folgendes erzählt: als junger Mensch ist ihm die Mutter Gottes erschienen und hat ihm aufgetragen, mittwochs und freitags nur Wasser und Brot zu sich zu nehmen. Er war spindeldürrr und hat sich an den Auftrag gehalten, bis er seine spätere Frau kennengelernt hat. Die hat am liebsten Pizzas gegessen und darum hat er auch Pizzas gegessen und hat auf die Gottesmutter vergessen und zugenommen. Dann haben sie geheiratet (sie haben inzwischen acht Kinder) und damit ihm seine Frau überhaupt das Ja-Wort gab, musste er mit dem Rauchen aufhören. Die Maria hat das nicht von ihm verlangt. Er hat es sein lassen (nur hin und wieder hat er heimlich eine geraucht) und dann ist er mit dem Gewicht hinaufgeschossen, wegen dem Rauchen und weil er auch eine Schwiegermutter dazubekommen hat, die nichts lieber tat als kochen. Eines Tages hatte er ein so hohes Gewicht erreicht, dass er nicht mehr leben wollte. Da hat er sich wieder an die Gottesmutter erinnert und dann ging es wieder ein wenig mit dem Gewicht herunter. Aber inzwischen leidet er an Diabetes. Hier sind viele schwere Diabetiker, und was ich da mitbekomme, sind das ganz arme Schweine. Messen messen, spritzen spritzen, scheiße! Interessanterweise sind aber diese Diabetiker meist ganz hagere Typen. Der zweite Teil sind dann wir, die Kaliber. Und einige sind wahre Kaliber. Wir nehmen zwar alle ab, aber das ist so wie bei einem Panzer: Wenn da vier Schrauben fehlen, merkt man auch nichts.

Als Kind war ich zweimal in der Sommerfrische in Grafenhof, einer ehemaligen Lungenheilanstalt in Salzburg, wo nach dem Krieg Thomas Bernhard behandelt wurde. Ich wurde vom Gesundheitsamt dorthin geschickt, weil mein Vater Tbc hatte und ich kam zur Sommerfrische für sechs Wochen. Jeden Freitag hatten wir Abwaage und derjenige, der am meisten zugenommen hatte, war der Wochensieger. Der Sommersieger, daran erinnere ich mich noch gut, brachte neun Kilo mehr auf die Waage. So ändern sich die Zeiten.

So, jetzt muss ich mich wieder der Wäsche widmen. Jetzt drängt sich niemand mehr vor. Schönen Sonntag und hoffentlich regnet es den ganzen Tag, weil dann bleib ich in meinem Zimmer, höre Ö1, weil ich mag nicht nass werden, außer unter der Dusch

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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