Claudia Paganini/Vincent Schäfer
Klimaaktivismus – Aggression – Selbstjustiz
Thesen,
die sich als Einladung zur Diskussion verstehen.

Täglich mehren sich die Meldungen von Gewalt gegenüber Klimaaktivisten. Mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Monate ist das nicht überraschend. Denn sowohl auf Social Media als auch in den Wortmeldungen verschiedener Politiker ist die Dynamik der Eskalation schon seit geraumer Zeit sichtbar.

Die Herabwürdigung und Entmenschlichung von – aus den unterschiedlichsten Gründen exponierten – Personen durch verbales Beleidigen war lange Zeit ein Phänomen, das auf rechtsradikale Homepages und kleine Gruppen von Aggressoren, sogenannten Hatern, beschränkt war. 

In den letzten Jahren jedoch hat die Hassrede Social Media erreicht und damit die Mitte der Gesellschaft. Die Wut der Täter entlädt sich in der Regel relativ willkürlich an Menschen, die zufälligerweise zur falschen Zeit das falsche Bild oder den falschen Kommentar gepostet haben.

Eine andere und also in gewisser Weise neue Dynamik zeigt sich dagegen im Zusammenhang mit Klimaaktivisten, die im Netz beständigem, systematischem und zielgerichtetem Hass ausgesetzt sind. Die Körperkraft der Sprache entfaltet ihre verletzende Wirkung nicht nur im Online-Raum, sondern erhöht im nicht-virtuellen Leben die Aggressionsbereitschaft und die Tendenz zur Selbstjustiz. 

Solange sich Klimaprotest primär in gut besuchten angemeldeten Demonstrationen vollzogen hat, bestand diesbezüglich keine große Gefahr, da Hassobjekte wie Greta Thunberg bzw. letztlich jeder einzelne Demonstrant im Normalfall gemeinsam mit einer größeren Gruppe auftraten und insofern geschützt waren. 

Das ändert sich in dem Moment, in dem einzelne Personen Straßenblockaden durchführen: Diese Menschen sind keine Masse mehr, bei der ein Angreifer Angst vor Gegenwehr haben müsste. Die Hemmschwelle vor gerichteter körperlicher Aggression bzw. davor, den eigenen PKW als Waffe einzusetzen, sinkt, was sich umso mehr fatal auswirken kann, wenn Aktivisten sich an der Straße festgeklebt haben und sich weder wehren noch flüchten können.

Man könnte nun erwarten, dass Gesellschaft und Politik auf eine derartige Dynamik mit Sorge und Empörung reagieren. 

Doch das Gegenteil ist der Fall: Während in der Öffentlichkeit eine Art Fatalismus nach dem Motto Selbst schuld den Ton anzugeben scheint, befördern manche Politiker – gedankenlos oder auch bewusst – den Hass, indem sie die Aktivisten als Kriminelle bzw. Verrückte darstellen. Der in diesem Kontext gerne gebrauchte Begriff des Klimaterroristen ist dieser Tage zwar zum Unwort des Jahres 2022 erklärt worden, das ändert aber nichts daran, dass die Dynamik der Diffamierung aktiv fortgesetzt wird.

Eine auf ein friedvolles und inklusives Zusammenleben ausgerichtete Demokratie sollte unserer Meinung nach jedoch die von den Aktivisten (wie jenen der Letzten Generation) gewählten Protestformen aushalten können, d.h. mit Gespräch – was durchaus ein Streitgespräch sein darf – antworten und nicht mit Gewalt. 

Das bedeutet aber auch, dass es unsere gemeinsame Verantwortung ist, für die Sicherheit dieser Menschen zu sorgen, selbst wenn sie gerade im Begriff sind, geltendes Recht zu überschreiten. Eine Gesetzesübertretung seitens der Aktivisten kann keine Legitimation für Gewalt und Selbstjustiz sein. 

Der Politik kommt hier eine besondere Verantwortung zu, einerseits durch das eigene Sprechen nicht die Dehumanisierung der Aktivisten zu befördern und andererseits die geeigneten rechtlichen Mittel zu ergreifen, aktiv gegen die Hassrede im Netz vorzugehen.

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Claudia Paganini

Prof. Dr. Claudia Paganini, 1978 in Tirol geboren, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München, Gastdozentin an den Universitäten Mailand, Athen, Zagreb und Limerick. Autorin von Romanen, Kurzgeschichten und Sachbüchern. Mutter von drei erwachsenen Kindern. Vincent Schäfer, geboren 2003, Aktivist der letzten Generation.

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