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Bettina Maria König
Von Wurstfressern und Safari-Kletterern
Short Story

Da war ich also wieder zuhause, um eine erste Auslandserfahrung reicher, auf die ich mir ziemlich etwas einbildete, besonders wegen meines neuen Looks. Um den beneidete mich sogar die coole Bea, und er schien bei Männern sehr gut anzukommen. Mit der kleinen, aber doch nicht unbedeutenden Einschränkung, dass ich innen drin immer noch mehr oder weniger die Gleiche war.

Trotz meiner neuen, schicken Hülle war ich immer noch das reichlich unsichere, wenn auch ein bisschen älter gewordene und um ein paar Erfahrungen reichere Mädchen vom Land, das nach der großen Liebe suchte. Und ich war wieder mal Single. Das war einerseits sehr erleichternd und aufregend. Kein Franz, der an mir klebte, alle Möglichkeiten standen mir offen. Naja, theoretisch zumindest. 

Andererseits ergaben sich  wieder viele Leerläufe in meinem Leben, die auch Bea nicht übertünchen konnte und wollte. Umso mehr, als sie bald nach meiner Rückkehr den Mann ihres Lebens kennenlernte. Und das meine ich jetzt nicht so, wie das bei mir und IHM der Fall war. Denn der gute Julian wusste ja noch gar nichts davon, dass er der Mann meines Lebens war. Und noch weniger wusste er offensichtlich, dass ich die Frau seines Lebens war. Nein, bei Bea war natürlich alles anders. Hier beruhte dieses Gefühl selbstverständlich auf Gegenseitigkeit. Bea ist eben Bea und macht immer Nägel mit Köpfen, im Gegensatz zu mir. Aber eines nach dem anderen.

Bea und ich hatten an dem Abend, an dem es passierte, wie so oft eine Runde durch die Lokale der Stadt geplant. Das lief nach einem festgefahrenen Ritual ab: Bea kam in meine Studentenbude – sie wohnte etwas außerhalb der Stadt – bewaffnet mit Ausgeh-Outfit; oder sagen wir besser mit Teilen davon. Den Rest lieh sie sich regelmäßig von mir aus, und seit meinen Shopping-Exzessen in Italien umso mehr. Nicht immer zu meiner Freude, vor allem, wenn Strümpfe zerrissen und Blusen beschmutzt zurückkamen. Für Bea waren das Peanuts, die an unserer Freundschaft nicht rütteln durften. Und da wollte ich natürlich nicht kleinlich sein. Auch wenn ich mich ab und zu fragte, warum immer ich leihen und sie ausleihen musste und nie umgekehrt? Und warum die beschädigten oder beschmutzten Dinge immer nur aus meinem Besitz stammten und niemals ersetzt bzw. vor der Rückgabe vielleicht gewaschen wurden? Solche Gedanken schob ich sofort beschämt zur Seite. Bea war schließlich meine beste Freundin, und sie hatte natürlich wie immer recht: Das WAREN Peanuts.

Nach dem Styling des Outfits waren noch Make-up und Haare dran. Selbstverständlich lieferte ich auch hier die notwendigen Utensilien. Da mein Vater eine Drogerie besaß, war ich reichlich gesegnet mit diesen Dingen. Und Bea sah es deshalb als gegeben an, dass sie von meinem „Reichtum“ mitprofitierte. Und ich? Wie schon gesagt: Ich wollte alles sein, nur nicht kleinlich. Zum Heben der Stimmung wurde dieses Feintuning stets von einem oder mehreren Gläschen Sekt begleitet, auch dies eine großzügige Gabe der Hausherrin. Laut Bea war es meine heilige Pflicht, sie als Gast zu bewirten. Wo käme man hin, meinte sie, wenn der Gast auch noch selbst die Getränke anschleppen müsse… Dieses Argument leuchtete mir ein, und so tranken wir – MEINEN Sekt.

Wenn wir dann schließlich nach mehreren Stunden mit uns selbst als Gesamtkunstwerk zufrieden waren, verließen wir das Haus und fuhren Richtung Altstadt. Ich glaube, ich muss nicht extra erwähnen, dass wir das in meinem Auto taten, das sich laut Bea viel besser für unseren geplanten Auftritt eignete als ihres. Meine Eltern hatten mir einen dunkelblauen Ford zur Verfügung gestellt, und der passte nach Beas Bewertung IMMER besser zu unseren Outfits als ihr quietschroter kleiner Peugeot. Auch das leuchtete mir ein: Rot ist eine Farbe, die schwierig zu kombinieren ist.

Die Ausgehrunde war von Vornherein festgelegt: Zunächst ein Aperitif in einem In-Studentenlokal, dann die Haupt-Session im angesagtesten Lokal der Stadt, dem „Filou“, das ich seit meinem Erlebnis mit Viktor nicht mehr frequentiert hatte, da ich fürchtete, ihm dort wieder zu begegnen. Vielleicht hätte er mich wegen mangelnder Wohnungsreinigung belangt. Zuletzt folgte ein Absacker in einer kleinen, aber feinen Bar, die man über ein paar Kellerstiegen erreichte.

In diesem dritten Lokal trafen wir auf eine Gruppe Studenten, von denen ich einen flüchtig kannte. Leider. Denn so hatten die Jungs einen Vorwand, uns anzusprechen. Und weil es für sie offensichtlich nicht das dritte, sondern das wohl 15. Lokal war, in dem sie ein Bierchen kippten, war ihr Verhalten leider nicht mehr so respektvoll, wie wir uns das normalerweise erwartet hätten. „Hoi ihr Süßen, kommt ihr mit uns auf unsere Studentenbude?“, nuschelte einer von ihnen, ein untersetzter, kurzgeschorener Typ, der sicher für gewöhnlich seine Abende im Fitnessstudio verbrachte, so wie er aussah. Ich deutete ein Kopfschütteln an und blickte zu Boden. „Jetzt stellt euch doch nicht so an, ihr Tussen!“, wurde das Nuscheln lauter. Bea und ich blieben die Antwort schuldig und drehten uns zur Bar. Aber die vier Burschen hatten auf einmal so viele Hände, dass es jemanden wie mich, die ich dem Biologieunterricht mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt war, wirklich erstaunen konnte. Ich war sprachlos ob so viel Unverschämtheit, Bea wie immer ein wenig weniger. „Pfoten weg!“, sagte sie scharf. Aber es nützte nicht viel.

Da löste sich plötzlich von der Theke eine große, schlanke Gestalt im lässigen Safarilook, den Kopf voller blonder Locken, und stellte sich zwischen uns und die Gruppe junger Männer. „Abflug!“, sagte der Große leise, aber mit drohendem Unterton in der Stimme zu den Jungs, die sich sofort abwandten und etwas von „Gehen wir lieber eine Wurst fressen“ murmelten. Und weg waren sie schon.

Bea und ich waren beeindruckt. Das heißt, ich war beeindruckt, Bea hingerissen. Denn der Blondschopf war genau ihr Typ. Das merkte aber nur ich, weil ich nach Jahren der gemeinsamen Männerjagd – ok, sie jagte und ich stand daneben – genau ihre Reaktion in solch einem Fall kannte. Nach außen hin gab sie sich nämlich stets betont cool und reserviert. Das ist eine Sache, die ich nie geschafft habe. Sobald mir ein Mann gefällt, bin ich hin und weg. Und alle um mich herum, einschließlich des angepeilten Objektes, bekommen das auch unmissverständlich mit. Taktisch nicht günstig. Das ist kein Futter für den Jagdinstinkt, den die angeblich stärkere Hälfte der Menschheit immer noch tief in sich drin hat, 20. (oder 21.) Jahrhundert hin oder her.

Bea drehte sich also ohne jede Eile nach dem Jüngling im Safarihemd um und sagte knapp: „Danke! Hätten wir alleine auch geschafft, aber so ging es schneller!“ Und sie wandte sich demonstrativ wieder ihrem Getränk zu. Das ließ der Retter in der Not aber nicht gelten, denn er hakte gleich ein: „Hey, wir kennen uns doch! Von einer Party bei meinem Freund Alex – die Gartenparty im Juli…“. In Beas Augen blitzte es einen winzigen Moment auf – aber auch das registrierte wieder nur ich. Dieser Alex war nämlich ein sehr angesagter Typ, und seine Partys legendär. Und er lud stets nur die Crème de la crème der Stadt ein (ich stand übrigens noch nie auf seiner Einladungsliste). „Daran müsstest du mich aber erinnern!“, provozierte Bea schnippisch. „Aber gerne doch. Das tue ich mit dem größten Vergnügen“, konterte der Große sofort. Und schon waren die beiden in ein Gespräch verwickelt. Natürlich ohne mich. Ich machte noch ein paar schüchterne Versuche, mich in ihren Schlagabtausch einzuklinken. Aber weil mich beide mehr oder weniger ignorierten, warf ich das Handtuch, Bea eine Kusshand zu und ging nach Hause.

Was soll ich sagen? Beas Strategie der Coolness ging auf. 100prozentig. Gleich am nächsten Tag rief der große Blonde an. „Stell dir vor, er ist BWL-Student im letzten Semester! Und sein Vater hat eine Wirtschaftsberater-Kanzlei!“ berichtete mir Bea atemlos nach dem Telefonat. Da wusste ich, dass es um sie geschehen war. Und richtig: Es dauerte nur wenige Wochen, da waren Paul und sie unzertrennlich.

Schön für die beiden. Weniger gut für mich. Denn nun stand ich vor dem Problem, wie ich meine Abende und Wochenenden füllen sollte. Als Single. Wobei die Wochenenden eigentlich weniger schlimm waren. Denn Paul war nicht nur ein ambitionierter BWL-Student, sondern auch ein passionierter Kletterer, und es zog ihn in jeder freien Minute mit seinem Kletterkameraden in die Berge. Kein Gipfel war ihm hoch genug, keine Wand zu steil. Und kein Ziel zu fern. Bevorzugt zog es ihn an den Gardasee, nach Arco, wo sich die Kletterelite aus dem weiteren Umkreis für gewöhnlich traf.

Da Bea in diesem Punkt (noch) nicht mithalten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich am Wochenende mit meiner Gesellschaft zu begnügen. Sehr zu ihrem Missvergnügen, denn was war ich schon gegen Paul? Was sie mich auch spüren ließ. Aber egal – ich war glücklich, wenigstens an einigen Tagen der Woche  Gesellschaft zu haben. Schlimm hingegen waren die Abende unter der Woche. Ich musste mir dringend wieder eine Beschäftigung, einen neuen Kreis von Menschen suchen. Und – es war wohl wieder einmal Zeit – einen neuen Mann.

Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

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