Alois Schöpf
Nachwahlbetrachtung
Gesiegt hat nicht Herbert Kickl,
sondern die Denkverweigerung der anderen.
Notizen

Wahlforscher Christoph Hofinger, der die Motive der Wähler untersuchte, fasst laut Der Standard vom 30.9.2024 seine Erkenntnis im Satz zusammen: Die zentrale Botschaft der FPÖ ist nicht Migration, sondern die „Eliten“ haben keine Empathie mit euch! Eine weitere Beobachtung, ebenso entnommen dem Der Standard vom selben Tag, bezieht sich darauf, dass im Hinblick auf die Beweggründe, eine Partei zu wählen, Herbert Kickl als Person nur für 2 % der FPÖ-Wähler ausschlaggebend war.

Beide Thesen zusammengenommen zeigen eindrücklich, auf welch schwierige Situation unser Land zusteuert.

Alles begann mit dem Aufstieg des Politstars Sebastian Kurz, dessen Wahlerfolg das linksliberale Spießertum vor allem der Bundeshauptstadt Wien im höchsten Ausmaß alarmierte, da sich hier eine neue Ära anzukündigen schien, die nach einer gewissen Zeit sicherlich dazu geführt hätte, dass zu viele Futtertröge der Republik gefährdet gewesen wären. Genehme Hofdichter hätten wohl nicht mehr 700.000 € für ihren garantiert wertlosen Vorlass erhalten, so mancher Job an Theatern, auf den Universitäten, in den Medien und in zahllosen anderen geheimnisvollen Einrichtungen wäre aufgrund budgetärer Auszehrung dem Sparstift zum Opfer gefallen.

Also musste Kurz weg, bevor er noch richtig Wurzeln schlagen konnte, eine staatsputschartige Intrige, an der unter dem Motto Ibiza politische Gegner, Mainstream-Medien und der ehemals marxistische, agnostische und grüne, inzwischen protestantische und kaunertalerische Präsident beteiligt waren. Alle drei konnten mit der aktiven Mithilfe vieler das trostlose Mittelmaß nicht übersteigender ÖVP-Granden rechnen, deren provinzielle Ehre es nicht zuließ, sich von einem Jüngling aus dem fernen Wien etwas anschaffen zu lassen.

Für diese ihre unsägliche Feigheit und Dummheit, sich ihr seit Jahrzehnten einziges Polittalent abschießen zu lassen, hat die ÖVP nun die Rechnung präsentiert bekommen, indem sie etwa in Tirol 14 % der Stimmen gleich an die FPÖ weitergeben musste, die nun mit 28 % knapp hinter den 31 % der Tiroler ÖVP zu liegen kommt. Einerseits kann man dazu nur sagen: Es lebe die Demokratie, die so viel Unfähigkeit abstraft. Andererseits muss man ebenso hinzufügen: So sehr es Sebastian Kurz gelungen ist, einen Gutteil der Wähler des potentiellen Narrensaums in der Mitte des politischen Spektrums zu halten, so sehr gelang es nun Herbert Kickl, diese durch den intriganten Hinausschmiss von Kurz frustrierten Wählermassen an sich und an eine nicht nur aufgrund ihrer Affinität zum Nationalsozialismus fragwürdige FPÖ zu binden. Gratulation!

Der einzige Trost bei diesem Erfolg ist, wie schon oben erwähnt, dass die Persönlichkeit Kickls in den allerwenigsten Fällen wahlentscheidend war, was im Umkehrschluss bedeutet, dass eine innerparteiliche Zurückstufung auf die Position eines untergeordneten Parteisekretärs, und mehr ist er von seiner Persönlichkeit her nicht, keinerlei Palastrevolution hervorrufen, jedoch eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ermöglichen würde.

Denn selbstverständlich ist jemand wie Kickl, der trotz hoher Intelligenz in Sachen Corona von seinen wissenschaftsfeindlichen Verschwörungstheorien niemals abrückte und darüber hinaus dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Putin-Russlands in die Ukraine neutral gegenübersteht, was ihm Werner Kogler in der ORF-Elefantenrunde brillant unter die Nase rieb, als offenbar gespaltene Persönlichkeit oder verantwortungsloser Zyniker in einer führenden Position unseres Staates absolut untragbar. Das hat Karl Nehammer durchaus richtig erkannt.

Was der hölzerne Kurz-Nachfolger aus dem fernen Niederösterreich jedoch inklusive seiner obergescheiten PR-Berater nicht und was Christoph Hofinger nunmehr sehr wohl erkannt hat, ist die Tatsache, dass es bei dieser Wahl eigentlich nicht um Herbert Kickl und die FPÖ ging, sondern schlicht darum, dass Österreichs linksliberale Spießerelite in ihrem oft aus Staatsfinanzen geschaffenen Wohlstand und einer nach allen Seiten hin sich absichernden Moral nach dem Motto Rede links, lebe rechts! die wichtigsten Anliegen des sogenannten Volkes, zu dessen kabarettistischem Volkskanzler sich Herr Kickl aufschwingen möchte, nicht nur ignoriert, sondern geradezu verhöhnt hat.

Reaktionen auf solche Verhöhnungen ziehen sich wie ein roter Faden auch durch die Themen des schoepfblog, der für sich in Anspruch nimmt, im klassischen Sinn liberal zu sein und damit die Anliegen der sogenannten Normalos, der Normaldenkenden, was umgehend als Unwort abqualifiziert wurde, der Anhänger des common sense also, um es perzeptionskompatibler auszudrücken, ernst zu nehmen.

Dies reicht, wie schon angedeutet, von elitären Themen wie der Bereicherung schlechter Schriftsteller oder dem Missbrauch von Theaterstücken oder Opern genialer Autoren und Komponisten zur höheren Selbstdarstellung halbgebildeter Regisseurinnen über das sich an den Zeitgeist anschmiegende, sprachzerstörerische Gendern durch Universitätsangestellte bis hin zur sogenannten Migration, die nicht nur eine sozialpolitisch kaum noch bewältigbare Zuwanderung unqualifizierter und religiös mehr als nur katholisch verwirrter Personen betrifft, sondern auch auf die Enteignung einer Identität hinausläuft, die von einer vor allem konservativen Landbevölkerung als sogenannte Heimat empfunden wird, und innerhalb derer man sich vergleichsweise komisch vorkommt, wenn man nicht ununterbrochen in LGBTQIA+-Kategorien denkt und dabei nicht fließend englisch spricht.

Entsprechend hat die FPÖ unter dem Motto Migration am Land abgeräumt, obgleich es dort keine Migranten gibt. Ganz in diesem Sinne ist auch das Konzept Nehammers, sich von Kickl, den ohnehin niemand liebt, als Person zu distanzieren, erfolglos geblieben. Er hätte sich vielmehr, wenn er schon von sich behauptet, Vertreter der Mitte, und gleich im Nachsatz: Vertreter der Vernunft zu sein, mit aller intellektuellen Schärfe dieser Vernunft bedienen und Kickl aggressiv nachweisen müssen, dass er seine Partei neben viel richtig Beobachtetem und Kritisiertem mit vollkommen inakzeptablen Wahnideen in Geiselhaft nimmt und viele sogenannte vernünftige FPÖ-Funktionäre, wie etwa den Tiroler FPÖ-Obmann Markus Abwerzger, dazu zwingt, aus parteitaktischen Gründen zu all seinem Unsinn den Mund zu halten, woraus folgt, dass er auch innerparteilich als Führungspersönlichkeit ungeeignet ist.

Leider war Nehammer dieser intellektuellen Herausforderung nicht gewachsen, weshalb er sich nach durchschnittlich 12 Prozent Verlusten für seine Partei, statt Magnus Brunner nach Brüssel zu entsorgen, besser in die Wälder Niederösterreichs zurückziehen sollte. Das wird er allerdings so wenig tun wie Kickl auf den Parteivorsitz verzichten, weshalb Österreich vor weiteren Jahren der Stagnation steht.

Wenn die Wahlverlierer ÖVP und SPÖ mit Unterstützung der NEOS nämlich eine Koalition bilden, was ziemlich wahrscheinlich ist, und damit Kickl den Grund liefern, als Ausgeschlossener endgültig in die Rolle eines politischen Rumpelstilzchens zu verfallen, wird er weiterhin mit ausfälligen Redensarten der neuen Regierung das Denken ersparen, weil es ausreicht, gegen jemanden, der sich aufgrund von Verschwörungstheorien fundamental disqualifiziert hat, lediglich zu protestieren, statt endlich über Argumente, also über die Probleme unseres Landes, die zum Wahlsieg der FPÖ geführt haben, seriös nachzudenken.

Probleme werden nur durch seriöses Nachdenken gelöst.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Hannes Hofinger

    Lieber Alois,
    besser kann man den Wahlausgang und die derzeitige Lage des Landes nicht kommentieren und erklären.
    SUPER!

  2. Karlheinz Veit

    Bei aller blauer Euphorie sollte nicht vergessen werden , dass über 70% (!) des Wahlvolkes nicht blau gewählt haben…..!!!

    1. Reinhard Kocznar

      …und 80% nicht rot, und 92% nicht grün.

  3. walter kainrath

    “ schoepfblog “ – Ansichten eines rechtsliberalen Journalisten ?

    walter kainrath
    6176 völs

  4. Robert Muskat

    Um diesen Beitrag auf einen kurzen Nenner zu bringen: Zwei Studienabbrecher an der Staatsspitze innerhalb kurzer Zeit verträgt die Republik nicht.
    Ein Prolet als Kanzler, der die „Mumie in der Hofburg“ dazu auffordert, ihn zum Regierungschef zu ernennen, das verkraften weder die Bevölkerung noch die anderen Staaten.
    Aber auch weiterhin ganz Österreich an die Leine von Wirtschaftsbund, Bauernbund und Industriellenvereinigung zu legen, ist auch nicht das Wahre!

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