Werner Schandor
Heute schon schuhgeplattelt?
Oder:
Die Gendersprache ist der Aluhut des Feminismus.
Essay

Stellen Sie sich vor, rechtskonservative Parteien behaupten, es mache die Heimatliebe sichtbar, wenn man beim Gehen bei jedem zehnten Schritt einen Schuhplattlerhopser einlegt und sich dabei auf die Sohle schlägt.

Wer schuhplattelt, kann etwas für die Heimat tun, heißt es von den führenden Ideologen der Bewegung. Zur Untermauerung der Argumente erscheinen wissenschaftliche Studien, die zum Ergebnis kommen, dass, wer beim Gehen zwischendurch einen Schuhplattlerhopser macht, generell mehr für die Volkskultur übrig hat, und dass dies im Sinne eines proaktiven Heimatverständnisses ist. Ein Gehleitfaden. Handreichung für eine heimatsensible Gehweise wird aufgelegt.

Sobald Sie die ersten Leute auf den Straßen sehen, die bei jedem zehnten Schritt einen Schuhplattlerhopser tun, fühlen Sie sich noch an den Sketch Ministry of Silly Walks der Monty Pythons erinnert und machen sich über die bedauernswerten Geschöpfe lustig, die sich zu diesem Nonsens hinreißen lassen. Aber als nach ein paar Monaten zuerst die Universitäten und dann immer mehr Behörden das Zehn-Schritt-Schuhplatteln ihrer Klientel empfehlen, weil es die Integrationsgerechtigkeit erhöhe – schließlich können dadurch auch Migranten ihre Verbundenheit mit Österreich (Bayern, der Schweiz …) zum Ausdruck bringen –, finden Sie die ganze Angelegenheit schon ein bisschen seltsam.

In den Medien wird das Thema kontrovers diskutiert, doch die Schuhplattlerfraktion schafft es, die Kritiker als gestrig dastehen zu lassen, indem sie ihre Behauptungen unbeirrt bei jeder Gelegenheit wiederholt. Schließlich, so das Argument, entwickle sich das Gehen natürlich weiter; kein Mensch könne bestreiten, dass wir heute anders – schneller – gehen als noch vor fünfzig Jahren, und nur sehr verbohrte Menschen würden sich dem Gehwandel entgegenstemmen.

Immer mehr Leute auf den Straßen, an der Uni und auf Amtswegen bezeugen ihre Loyalität mit der Schuhplattelhopserei, denn Bundes- und Landeseinrichtungen haben mittlerweile Fortschrittsbüros eingerichtet, die über die Durchsetzung des Plattelgehens wachen. In Behördenformularen wird die Einstellung zum Schuhplatteln abgefragt, und öffentliche Förderungen ebenso wie Anstellungen im öffentlichen Sektor werden an das Bekenntnis zur Hopserei gebunden. Als schließlich auch Unternehmen auf diesen Zug aufspringen und ihren Mitarbeitern empfehlen, im Umgang mit Kunden mindestens alle zehn Minuten einen Plattlerschlag auf die Schuhsohle anzudeuten, können Sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jetzt langsam alle durchknallen.

Sie selbst lassen sich zur Sicherheit alle Gründe pro Hopsen immer wieder durch den Kopf gehen, weil doch nicht sein kann, dass so viele spinnen; aber keines der Argumente der Schuhplattelbewegung ist wirklich stichhaltig. Und Sie verstehen immer weniger, dass Leute, die Sie bisher für vernunftgeleitet gehalten hatten, bei dieser Übung mitmachen.

Reiner Irrsinn. War es nicht das gedankenlose Mitmachen, das die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts in Europa ermöglicht hat? Haben nicht unausgegorene akademische Rassentheorien dem Rassenwahn des Dritten Reiches seine vermeintliche Legitimation verliehen? Und war nicht eine Lehre aus dieser Erfahrung, dass sich Universitäten und öffentliche Institutionen keinesfalls vor den Karren von Ideologien spannen lassen sollten?

Doch plötzlich hopsen an den Hochschulen, in Behörden, auf den Theaterbühnen und im Kunstbetrieb alle schuhplattelnd herum, als wären die Erfahrungen aus der Vergangenheit wie weggeblasen. Im Gegenteil: Die Plattler fühlen sich als Speerspitze der gesellschaftlichen Entwicklung und glauben, zur Rettung der Menschheit beizutragen, so wie es vor 100 Jahren Kommunisten ebenso wie Faschisten getan haben. Huch! Wir sind doch die Guten?!

Geh-Empfehlungen

Manche platteln zähneknirschend, aber sie platteln. Andere agieren als Wortführer der immer gleichen Phrasen und wiederholen das Schlagwort von der heimatsensiblen Gehweise, der sich nur Heimatfeinde verweigern würden. Eine arme Sau, wer dabei nicht mitmacht. Als Nichthopser wird man in gewissen Kreisen schief angeschaut und im Umgang mit Behörden, Universitäten und Großunternehmen auch gegen seinen Willen immer wieder zum Hopsen genötigt. Fortschrittsbeauftragte wachen mit Argusaugen über die Einhaltung der Geh-Empfehlungen. Dabei ergibt Umfrage um Umfrage, dass das ganze Gehopse der breiten Mehrheit der Bevölkerung mächtig auf die Nerven geht. Und trotzdem wird weitergehopst, als hinge das Wohl der Gesellschaft davon ab. Wie ist das möglich?

Leider habe ich noch keine Antwort auf die Frage, wie es kommen konnte, dass das nicht minder abstruse Sprachgendern in akademischen Kreisen so breit akzeptiert ist und als fortschrittlich gilt, obwohl neben dem Hausverstand seriöse linguistische und sozialwissenschaftliche Studien darauf schließen lassen, dass die Gendersprache ihr Ziel, zu einer besseren Welt beizutragen, nie und nimmer erreichen kann.

Denn sie geht von falschen Vorstellungen aus, auf welche Weise Sprache unsere Kultur mitprägt: nicht über das generische Maskulinum, die Sichtbarmachung von Geschlechtern oder sonst eine Facette der Grammatik, sondern über Mythen, Erzählungen und Gesetze. Die Auswirkung der Grammatik auf unsere Gesellschaftsordnung ist gleich null, weshalb sich die Eingriffe und Vorgaben der Gendersprache im Grunde nicht rechtfertigen lassen.



Auf gruslige Art ist es faszinierend mitzuerleben, dass sich die Annahme der Genderlinguistik, das generische Maskulinum habe bisher unser gesellschaftliches Leben wesentlich beeinflusst und müsse daher vermieden werden, um Geschlechtergerechtigkeit herbeizuführen, in den Köpfen hochgebildeter Menschen festsetzen konnte, obwohl es keinen belastbaren Beweis dafür gibt, aber zahlreiche gute Gegenargumente. Andererseits ist es auch erschreckend, der von Sprachbürokratinnen mit Nachdruck betriebenen Ausrottung des Maskulinums als Genus commune und der schleichenden sprachlichen Umprogrammierung beizuwohnen, die von einer hohen Konformitätsbereitschaft im Feld der Wissenschaft, der Kunst und im linken Parteienspektrum zeugt. Ein Fall von Gender Brainwashing?

Der Aluhut des Feminismus

Man könnte sich das Gendern sparen, ohne die gesellschaftlichen Anliegen, die damit verknüpft werden, zu schwächen. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass das Festhalten an falschen Vorstellungen einer Sache mehr schadet als nützt.

Die Gendersprache ist der Aluhut des Feminismus. Sie ist, gleich wie das fiktive Schuhplattelgehen eine Symbolhandlung, die zu nichts führt als zur Überzeugung, zu den Guten zu gehören. Die Gendersprache ist insofern auch ein Symptom unserer Zeit, in der das Bekenntnis zu einer Sache – das Flagge-Zeigen – das Nachdenken darüber ersetzt. Die Pose der Sprecher ist wichtiger als der Inhalt des Gesagten. Hauptsache, man kassiert ein Daumen hoch für seine Meinung.

Zur Sicherheit sei es erwähnt: Die Anliegen Geschlechtergerechtigkeit, Vielfalt von Lebensentwürfen und Antirassismus sind unbedingt zu unterstützen. Und sie sind auch breiter Konsens in unserer Gesellschaft, wie aktuelle sozialwissenschaftliche Studien belegen. Die Bevölkerung ist offener und aufgeschlossener denn je zuvor.

Sicher gibt es Gegner der Gendersprache, die ein erzkonservatives oder gar völkisches Weltbild ihr Eigen nennen, an dem ich nicht anstreifen möchte. Dennoch ist es ein Fehler, die Kritik am Gendern und an den Genderklischees des Modefeminismus dem rechten Rand zu überlassen, denn es gibt genug Gründe, diese Themen aus einer aufgeklärten, fortschrittlichen Position heraus zu hinterfragen – ja, die den begründeten Einspruch geradezu notwendig machen.

Denn der von Behörden, Firmen und manchen Medien angewandte Neusprech des Genderns hat sehr wohl Auswirkungen auf unser Zusammenleben, nur leider nicht die beabsichtigten. Er macht die Gesellschaft nicht gerechter, sondern trübt die Urteilsfähigkeit.

Dazu kommt: Indem die Proponenten des Genderns an falschen Vorstellungen festhalten, wie und wodurch Sprache die Gesellschaft formt, und dazu auf oft schlecht gemachte, teils widersprüchliche Studien verweisen, die die vermeintliche Nützlichkeit des Genderns beweisen wollen, nähren sie auch die Wissenschaftsfeindlichkeit. Denn die speist sich nicht erst seit Corona aus dem Verdacht, dass Studien teils einseitig und tendenziös argumentieren. Wenn, wie bei einigen Studien zur Gendersprache, halbe Wahrheiten als ganze ausgegeben werden, ist die Propaganda dahinter klar ersichtlich.

Der schädlichste Aspekt der Gender-Propaganda ist meines Erachtens, dass sie die Fähigkeit zum rationalen, kritischen Abwägen zersetzt, und paradoxerweise konnte sich die Gender-Agenda mit ihren Dogmen ausgerechnet an den Universitäten ungehindert ausbreiten.

Ein weiterer fataler Irrtum der Gendersprache ist, dass sie Kommunikation mit Erziehungsarbeit verwechselt: In liberalen Demokratien sollten die Menschen lernen oder gelernt haben, sich auf Augenhöhe unter Erwachsenen mitzuteilen. Die politische Korrektheit aber verfolgt ein sozialpädagogisches Anliegen – die Gesellschaft verbessern – und verwandelt dadurch jedes Gespräch in eine Erziehungsmaßnahme. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Art des betreuten Sprechens (© Joachim Gauck) zu recht ab.

Da rund 80 Prozent der Menschen den Gendersprech sinnlos finden und die Ablehnung wächst, je mehr gegendert wird, kann nicht ernsthaft von einem Sprachwandel die Rede sein, sondern nur von einer demokratiepolitisch bedenklichen Sprachverordnung gegen den Willen der Sprecher.

Zahlreiche seriöse Studien und Umfragen zeigen, dass es auch innerhalb der linken Wählerschaft eine Mehrheit gibt, die nicht d’accord geht mit der exzessiven Regenbogen-Symbolpolitik und dem politisch korrekten Sprachzauber, der bei ihren Parteien zum guten Ton gehört. Aber diese Mehrheit schluckt ihre Einwände meist stillschweigend hinunter, um nicht als rechts zu gelten. Einige, die vom harten Coronakurs samt Impfzwang verschreckt wurden, wechselten tatsächlich ins rechte Lager, wo sie sich weniger veräppelt fühlen. (Obwohl sie sich damit in falscher Sicherheit wiegen.) Für alle Fälle wird jeder, der kritische Argumente gegen Genderdeutsch, queerfeministischen Quatsch und aus den USA importierten Anti/Rassismus vorbringt, ins rechte Eck einsortiert.

 

Rechte lachen sich ins Fäustchen

Diese Tabuisierung kommt nun jedoch als Bumerang zurück und hat höchst problematische Folgen für die Parteien links der Mitte, die sozialen Ausgleich und ökologisches Einlenken über das wirtschaftliche Wachstumsmantra oder das völkische Reinheitsgebot stellen.

Der Philosoph Robert Pfaller hielt bereits 2017 in seinem Buch Erwachsenensprache fest: Wenn es der postmodernen Pseudolinken gelingen sollte, die Räume der Gleichheit durch Moralisieren und Sprechverbote im Namen diverser Empfindlichkeiten lahmzulegen, dann lacht sich die Rechte buchstäblich ins Fäustchen.

Sieben Jahre später fand Pfallers Befund im Superwahljahr 2024 und bei der Deutschlandwahl 2025 seine Bestätigung an den Wahlurnen. Während die Rechten wissen, wen sie wählen sollen, obwohl ihr politisches Personal in der Regel weder durch Intelligenz noch durch moralische Integrität glänzt, bleibt kritischen Linken wie unsereinem angesichts der gouvernantenhaften Verbissenheit, mit der Linke und Grüne ihre Wähler sprachlich erziehen wollen, nur die Flucht ins Lager der Nichtwähler.

Die jüngsten Wahlen in Österreich und Deutschland haben gezeigt: Immer weniger Menschen schmeckt der rotgrüne Apfel, der in einen Regenbogenwimpel aus recycelten Phrasen eingehüllt ist. Dabei wären Klimawende und soziale Gerechtigkeit die Gebote der Stunde. Nur sind sie mit etlichen Schuhplattlerhopsern wider Willen verbunden.

Könnten die Parteien links der Mitte nicht die Folklore beiseitelassen und wieder auf Augenhöhe mit den Leuten reden, um in der Sache etwas weiterzubringen, ohne in der Sprache so seltsame wie unnötige Verrenkungen zu machen? Könnten sie ihren Sympathisanten nicht wenigstens die Option anbieten, ihre Inhalte auch in konventioneller Sprache zu lesen?!

Bitte lasst uns wählen, wie wir angesprochen werden wollen: politisch hyperkorrekt oder ganz normal. Wer will, kann sich dann weiter am Sternderlsprech ergötzen, ohne dass die große Mehrheit mit technokratischen Begrifflichkeiten a la gebärende Person oder Menschen mit Uterus vergrault wird.

Ohne dieses Zugeständnis droht den linken Parteien das Schicksal von Kakanien, von dem Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften schreibt: Es war ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrundegegangen ist.

Holarä-duliöö!

Der Text ist ein Vorabdruck aus Werner Schandors neuem Buch „Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus“, das sprach- und medienkritische Essays aus den letzten vier Jahren versammelt.

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Werner Schandor

Werner Schandor ist Texter, Autor und Hochschuldozent in Graz. Er studierte Germanistik und Sozialpädagogik an der Uni Graz und ist seit 1995 in der PR tätig. Er hat Lehraufträge am Department „Medien & Design“ der FH Joanneum sowie am Institut für Germanistik der Uni Graz. 2020 erschien sein Buch „Wie ich ein schlechter Buddhist wurde. Essays, Glossen und Polemiken“ in der Edition Keiper. Weitere Infos: www.textbox.at

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