Walter Plasil
Politisch interessiert, philosophisch orientiert
Eine Philosophie-Leseliste

Wenn man als an Philosophie Interessierter dranbleiben möchte, muss man die alten Schinken, trotz aller Liebe zu ihnen, einmal beiseite stellen. Ja, die Schriften der Weisen aus dem Orient, jene der alten Griechen und Römer, der Revoluzzer aus der Zeit der Aufklärung und dem Beginn der Moderne: Das ergibt eine schier endlose Liste von Namen und Werken, die mir bis heute Eindruck machen.

Begonnen damit, so etwas zu lesen, habe ich in den 1970-er Jahren. Der erste Autor war Marcuse (Welche Sprache war das? Jedenfalls eine neue!) und fortgesetzt habe ich mit damals aktuellen revolutionären Stimmen Cohn-Bendit, Meinhof, Dutschke.

Dann aber habe ich etliche Klassiker nachgeholt und bin über Spinoza bei den Aufklärern länger hängengeblieben. Hume, Montesquieu, Montaigne, die köstlichen Bekenntnisse Rousseaus oder Schopenhauers. Dann kamen Freud und Schrödinger mit größter Ehrfurcht vor deren Wissen und Schreibstil, um wieder bei damals Lebenden zu landen, zum Beispiel bei Popper.

In der Retrospektive hört sich das für philosophisch kontaminierte Leser sehr banal an. Aber auch wenn das heutzutage ermüdend klingt: es bleiben unvergessliche Zeitdokumente und Leseerlebnisse in meinem Leben.

Hier möchte ich ein Stopp einlegen: Wittgenstein! Für mich immer noch ein steter Quell der Freude. Ganz besonders deswegen, weil über sein Leben 2021 eine neue hervorragende Biografie von Ray Monk (690 Seiten) erschienen ist. Ein absolutes Ausnahmebuch!

Und weil ich schon beim Aufzählen einiger Werke bin, muss ich noch die lange Reihe religionskritischer Werke hervorheben, die in den letzten Jahren durch Deschner, Dawkins, Onfray, Möller oder Schmidt-Salomon weitergeführt wurden.

Ich möchte hier nicht, was man mir unterstellen könnte, als Leser glänzen, sondern auf etwas hinweisen: Nämlich auf die Frage, welche Art von Philosophie es ist, die uns in den aktuell stürmischen Zeiten zum Nachdenken bringen kann. Die alten Schmöker sind wohl wertvolle Grundlagen. Immerhin: Die neuere philosophische Literatur scheint sich auch wieder intensiv mit gesellschaftspolitischen Analysen zu befassen. Die Frage ist, ob davon etwas in der denkenden Gesellschaft ankommt. Und wenn ja, was und wie?

Philosophie ist ja nichts anderes als Nachdenken über das Leben und den Wandel. Nun scheint durch die Gegenwartsgeschichte geradezu eine Sturzflut des Wandels über uns hereinzubrechen. Wobei gilt: Alles, was wir dabei besser verstehen, können wir auch besser meistern.

Ein Freund von mir pflegte immer zu betonen, es gäbe nichts Praktischeres als eine gute Theorie.

Anhang mit Anregungen: Ein kleiner Auszug von Titeln aus der Liste von Büchern, deren Autoren ich zuvor kurz genannt habe und in denen ich immer noch manchmal nachlese:

Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, Der eindimensionale Mensch
Baruch de Spinoza: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes
David Hume: Traktat über die menschliche Natur
Montesquieu: Vom Geist der Gesetze
Michel de Montaigne: Essays
Jean-Jacques Rousseau: Bekenntnisse
Artur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung
Sigmund Freud: Fischer Studienausgabe
Erwin Schrödinger: Geist und Materie, Was ist ein Naturgesetz
Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit, Vortrag über Ethik
Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Band 1-10
Richard Dawkins: Der Gotteswahn
Michel Onfray: Wir brauchen keinen Gott
Philipp Möller: Gottlos glücklich
Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus
Ray Monk: Wittgenstein


Aktuell lege ich den Interessierten noch drei Bücher ans Herz:

Slavoj Zizek: Der neue Klassenkampf – Die wahren Gründe für Flucht und Terror. 2016

Der Autor gilt als Hegelianer, der sich auch auf Jaques Lacan bezieht. Lacan gründete seine Ideen wieder stark auf die Arbeit Sigmund Freuds. Eine interessante Mischung von bekanntem Unterbau mit neuem Aufbau an aktuellen Sichtweisen. Und im konkreten Fall ist dabei eine äußerst praktische Handlungsanweisung heraus gekommen. Eine Mischung, die von Rezensenten als philosophisch-psychoanalytisch beschrieben werden kann.

Alle Welt interessiert sich dafür, mehr über die Flüchtlingsproblematik zu wissen. Die Gemengelage ist komplex. Zizek meint, die wahren Gründe liegen im globalen Kapitalismus.

Ganze Weltregionen sind von Wohlstand und Teilhabe ausgeschlossen. Große Gesellschaften brechen auseinander und religiöse Terroristen drängen in unser Land. Es sind ökonomische Gründe, die Flüchtlingsströme antreiben. Und mit reiner Nächstenliebe werden wir diese Krise nicht bewältigen.

Stattdessen müssen wir unsere gefährdete liberale Demokratie verteidigen und neue Utopien entwickeln, um die katastrophalen Auswirkungen des globalen Kapitalismus einzubremsen. Dabei dürfe man auch bei Fragen über Eigentum und Verteilung nicht vor großen Schritten zurückschrecken. Letzteres scheint mir der interessanteste Aspekt zum Thema zu sein.


Byung-Chul Han: Die Austreibung des Anderen – Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute. 2016

Hier schreibt ein Koreaner, der in Europa lebt und lehrt. Der Autor meint, die Wucherung des Gleichen mache heute die pathologische Veränderung des Sozialkörpers aus. Das Andere weicht dem Gleichen. Dieser Vorgang gibt sich als Wachstum aus.

Nicht die Repression durch das Andere, sondern die Depression durch das Gleiche sei das Kürzel des Heutigen. Mit der Verwendung der Wörter Gleich und Anders durch den Autor muss man sich erst anfreunden. Was krank macht in der Gesellschaft, sagt er, sei Überkommunikation, Überinformation, Überproduktion und Überkonsumation.

Die heutige Gesellschaft werde von Angst, Globalisierung und Terror gekennzeichnet.Der Autor spürt in seinem Buch diesen Phänomenen nach.


Byung – Chul Han: Undinge – Umbrüche der Lebenswelt. 2021

Unsere Lebenswelt, schreibt der Autor, sei von Google und Internet beherrscht. Und das seien eben keine Dinge, sondern Undinge. Wir leben im Informations – und Konsumrausch. Die Undinge verdrängen die Dinge. Die künstliche Intelligenz setzt da noch eines drauf.

Die Magie der Dinge und die Stille gehen in der Informationsflut verloren.

Soweit einige Empfehlungen.
Wäre interessant, zu erfahren, wie die schoepfblog-Leser und die Kollegenschaft der Autoren zum Thema Philosopie stehen. Brauch ma des?


 

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

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