Walter Plasil
Lucas Cranach der Ältere und ich
im Innsbrucker Dom
Eine Kunstbetrachtung

Der Tiroler Tageszeitung vom 06.06.2025 entnahm ich die frohe Botschaft. Das sogenannte Gnadenbild Mariahilf, das eine Madonna mit dem Kinde darstellt, wurde aus der Höhe des Kirchenschiffs des Innsbrucker Doms für wenige Tage auf das Niveau der Kirchenbesucher heruntergesetzt. Man möchte es damit den zu erwartenden Pilgerströmen im Heiligen Jahr 2025 vor Augen führen.

Der Kunst der Malerei bin ich praktisch lebenslang schon zugeneigt. Also musste ich das Werk unbedingt sehen. Ein echter Lukas Cranach d. Ä.! Und dann genau dieses Bild, dessen Qualität Dom-Besucher bisher nur aus der Ferne erahnen konnten! Also nichts wie rein in den Dom und schnell in der Hoffnung nach vorne eilen, damit die anstehende Kolonne der Besucher nicht zu lang sei.

Im Dom befanden sich allerdings nur ein paar herumwandelnde Besucher. Allem Anschein nach eine Mischung aus Touristen unterschiedlicher Herkunft und zwei ältere Damen, die im Gebet versunken waren. Vor dem berühmten Bild, das sich in einem schützenden Glaskäfig befindet, herrschte kein Andrang. Ich war der Einzige, der dieses sensationellen Werkes zu dieser Zeit ansichtig wurde.

Ich hatte den berechtigten Eindruck, dass an diesem Freitagnachmittag niemand in der Kirche war, außer mir, dem überhaupt aufgefallen ist, was da zu sehen ist. Damit komme ich zum Thema Sehen.

Wirklich sehen konnte ich von Cranachs Werk praktisch gar nichts. Der Glaskasten ist so situiert, dass er zumindest bei Tag vom Licht der weit oben gelegenen Kirchenfenster angestrahlt wird. Das Licht spiegelt sich in der Glasscheibe. Ob man davor etwas weiter weg ist oder näher hingeht: wenn man einen scharfen Blick auf Cranachs Meisterwerk erhaschen möchte – es gelingt nicht.

Man sieht etwas im Glaskasten, es ist ein Bild mit goldenem Rahmen, aber das, was man sieht, ist unbefriedigend. Dabei bin ich genau deswegen gekommen. Um näher hinzukommen, um mir die feinen Details des Bildes ganz genau ansehen zu können, darum ging es ja.

Was man üblicherweise vom Bild zu sehen bekommt, ist ja nur ein ferner Eindruck. Man sieht nur, dass da ein Bild hoch über dem Hochaltar hängt, 20 oder 50 Meter entfernt. Das könnte ein ixbeliebiges Gemälde sein, sogar eine Fälschung. Umso mehr interessierte es mich, das Werk einmal aus der Nähe bewundern zu können.

Enttäuscht las ich den mitgebrachten Artikel aus der Tageszeitung nochmal in Ruhe durch. Er enthält die Beschreibung des Bildes von einem Dompropst. Beim Betrachten dieses Bildes sei, so sagte er, die Zärtlichkeit Gottes spürbar. Mit der Ausstellung wolle man den Versuch wagen, die Menschen einzuladen, Vertrauen auf Gott zu haben und innere Zuversicht zu schöpfen. Das Ganze sei eine Aktion, um den Menschen im Heiligen Jahr 2025 Orte der Hoffnung zu öffnen.


Lieber Herr Domprobst! 

Da ist aber etwas ganz schön danebengegangen. Meine Hoffnung war es nämlich, einem bedeutsamen Kunstschatz der Malerei der Renaissance nahe zu kommen. Und die wurde nicht erfüllt.

Also denke ich, dass zuallererst die Aussteller des wertvollen Bildes gefordert sind, es so aufzustellen, dass man ihm überhaupt optisch nahekommen kann. Das ist das Mindeste, was man erwarten darf. Das erwarte ich auch als Nicht-Mitglied der Kirche. Auch als Atheist bin ich anteilig Finanzier der katholischen Kirche. Die staatlichen Zuwendungen und das Zugeständnis von vielen Privilegien ermächtigen mich als Staatsbürger dazu. Und so einen Kunstschatz (und unzählige andere) auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sehe ich als eine moralische Verpflichtung der Kirche an.

Außerdem möchte ich vorschlagen, dass dieses Kunstwerk nicht nach wenigen Tagen in uneinsichtige Höhen entschwebt, und man es nicht wieder am obersten Punkt des Kirchenschiffs montiert, wo niemand genau hinsehen kann. Nach meiner Meinung könnte man diesen Glaskasten behalten, ihn aber optimiert neu situieren. Dann hätten alle etwas davon.

Von Zärtlichkeit Gottes, vom Einladen der Menschen, von Vertrauen auf Gott, der Inneren Zuversicht und der Hoffnung zu sprechen, wenn es nur darum geht, ein wunderbares Kunstwerk dem einfachen Kirchenbesucher nahezubringen, ist für mich absolut entbehrlich.

Selbst wenn es Gläubige gäbe, die in den zitierten priesterlichen Plattitüden Sinn erkennen – was für mich kaum vorstellbar ist – lassen sich diese Worte mit dem gezeigten Kunstwerk nur schwer in Verbindung bringen.

Nun arbeite ich an einem Plan, der es mir doch noch möglich machen könnte, einen scharfen Blick auf Cranachs Malerei zu erhaschen. Vielleicht klappt es, wenn ich während eines Gewitters in den Dom eile, weil dann die schwarzen Wolken die Fenster verdunkeln. Müsste ich ausprobieren.

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Helmut Schiestl

    Ja vielleicht kommt es dann noch zu einem Bekehrungserlebnis, wenn Sie bei einem heftigen Gewitter den Dom betreten, so etwas soll ja schon öfters vorgekommen sein. Vielleicht aber können Sie auch schon die Abenddämmerung benutzen, wo die Lichtverhältnisse auch besser sein dürften im Dom. Ich aber sehe in der momentanen Kunstintervention etwas anderes, was aber wahrscheinlich von den dafür Verantwortlichen gar nicht gemeint war: nämlich den Weg der christlichen Madonnenmalerei hin zur Abstraktion. Wenn man nämlich seinen Blick auf den Hochaltar des Domes richtet, wo ja normalerweise das Cranach-Bild hängt, sieht man zurzeit ein rotes Tuch, leider kein direktes Quadrat, eher ein Rechteck, aber dem kunstgeschichtlich Interessierten fällt dabei sofort Kasimir Malewitsch ein, der mit seinem berühmten Schwarzen Quadrat ja bekanntlich Kunstgeschichte geschrieben hat. Nun darf man dabei nicht außer Acht lassen, dass Malewitsch ursprünglich von der Tradition der russischen Ikonenmalerei kommt, und er in einem Interview sogar gesagt hat, dass „ich die nackte Ikone meiner Zeit gemalt habe“ https://de.wikipedia.org/wiki/Kasimir_Sewerinowitsch_Malewitsch.

    Und Malewitsch hat dann in weiterer Folge ja nicht nur ein schwarzes, sondern auch ein rotes Quadrat gemalt und damit den Suprematismus geschaffen, eine der bekanntesten Stilrichtungen der klassischen Moderne. Wir können jetzt also als Gläubige oder Ungläubige am Hochaltar des Domes ein peripheres rotes Quadrat sehen, also den Beginn der Moderne, umgeben natürlich vom Gold und Glanz des Barock, und das Madonnenbild von Lukas Cranach ist dabei diskret zur Seite getreten für einige Wochen oder Monate. Übrigens konnte man das Bild schon vor ein paar Jahren mal bei den Kunstinterventionen zur Fastenzeit an einem Seitenaltar platziert sehen. Es ist natürlich wunderschön und verdient unsere Aufmerksamkeit auch fernab von religiöser Verehrung.

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