Walter Plasil
Deutsch ist eine fantastische Sprache.
Wie ich von den Jungen sprechen lernte.
Notizen
Dieser Tage findet in Graz die Tagung der Internationalen Vereinigung für Germanistik statt. Bei diesem Kongress der IVG soll das Thema Sprache und Literatur in Krisenzeiten beleuchtet werden. Es wird gefragt, wo die Herausforderungen liegen und wie die Chancen der internationalen Germanistik stehen.
Angemerkt wurde schon anlässlich der Einladung, dass ja unsere gesamte Gesellschaft, auch die Politik, sprachbasiert sei. Sprache und Gesellschaft seien eben miteinander verwoben.
Copilot, der kleine Helfer aus der Welt der KI, bringt es auf den Punkt:
Mit ihrem Klangreichtum, der Präzision der Begriffe und der spielerischen Vielfalt lädt die Sprache dazu ein, immer wieder neue Ausdrucksformen zu entdecken.
Was Copilot nicht anmerkt – weil ich nicht danach gefragt habe – ist, dass im Alltag des Sprachgeschehens ziemliche Turbulenzen herrschen. Da gilt es, hinter die Kulissen zu schauen, und es stellt sich die Frage, ob sich unsere edle, schöne, fantastische deutsche Sprache tatsächlich in einer Krise befindet.
Ich beschloss, bei den Jungen nachzufragen. Der Einfachheit halber begann ich damit in meinem persönlichen Umfeld. Zunächst wollte ich einige meiner Nachkommen einem Test unterziehen, von dem sie aber nicht wissen sollten, dass es einer ist. Ich stellte ihnen gut getarnte, harmlose Fragen, wie: Erzählt mir doch, wie es euch geht. Oder: Was habt ihr denn so gemacht die letzte Zeit? Und auch die beliebte Smalltalk-Frage: Was gibt’s Neues?
Die Antworten kann sich jeder vorstellen, der Nachkommen hat. Ich erhoffte zwar insgeheim tiefgründige Aussagen, bekam aber nur zu hören: Nix besonderes – ging so – ist eh alles gut oder – weiß gar nicht mehr genau.
Dann fragte ich nach dem Leseverhalten der letzten(?) Generation.
Gelesen werde nur das, was nicht über einen Satz hinausreicht, und im Übrigen nur, wenn es gar nicht verhinderbar ist. Gelernt wird mit dem System: learning by doing. Was man nicht weiß, wird schnell am Handy abgefragt.
Ich insistierte und frug nach besonderen Begebenheiten oder aufregenden Erlebnissen. Damit war ich dann mehr erfolgreich. Da bekam ich Antwort. Da sprudelten die neuen deutschen Begriffe nur so heraus. Da spürte ich, wie man heutzutage denkt, wie edel man sich ausdrücken kann und wie sich das alles aufs Gemüt schlägt.
Am Ende bewahrheiteten sich meine bescheidenen Thesen zur in den letzten Jahren stattgefundenen Reifung der Sprache. Es stimmt eben, was auch die KI sagt: Die deutsche Sprache wandelt sich ständig und bleibt dabei doch unverwechselbar. Dabei verliert sie nie ihre Grandezza – setze ich mit erhobenem Haupt sogar noch dazu!
Und wer auf sich hält, sich laufend weiterbildet, wer nicht als antiker Grufti bezeichnet werden will, muss mit dem Strom schwimmen. Wenn sich die Sprache ändert, müssen sich auch die eigenen sprachlichen Formulierungen dem Zug der Moderne anpassen. Alles Alte ist per se zum Untergang verurteilt. Und das ist gut so.
Oder wünscht sich jemand etwa den Telefonhörer zurück, weil dessen Haptik so aufregend war? Oder den Geldbriefträger, den man zum Dank für sein Erscheinen auf ein Schnapsl einladen musste? Oder möchte jemand noch im großen Brockhaus die Volksgruppen der Mongolei nachschlagen? Das alles ist so skurril geworden, wie nach der Schreibweise von Champagner im gelben Duden zu blättern.
Oder denken wir an Texte, zum Beispiel solche von Schiller oder Goethe. Wer würde heute noch so sprechen?
Schiller in einem Brief an seinen Freund:
Hochwohlgeborner Herr, hochzuverehrender Herr Geheimer Rath!
Beiliegendes Blatt enthält den Wunsch einer, Sie unbegrenzt hochschätzenden Gesellschaft, die Zeitschrift, von der die Rede ist, mit Ihren Beiträgen zu beehren, über deren Rang und Werth nur Eine Stimme unter uns sein kann. Der Entschluß Euer Hochwohlgeboren, diese Unternehmung durch Ihren Beitritt zu unterstützen, wird für den glücklichen Erfolg derselben entscheidend sein, und mit größter Bereitwilligkeit unterwerfen wir uns allen Bedingungen, unter welchen Sie uns denselben zusagen wollen.
Wer, um alles in der Welt, würde heute noch so sprechen oder gar schreiben?
Stattdessen habe ich mir angewöhnt, sobald ich mich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs im modernen Leben beteilige, die wichtigsten Korrekturen meines früheren Sprachgebrauchs umzusetzen. Dazu haben mich meine Nachkommen ertüchtigt, weil ich von ihnen gelernt habe. Nein, nicht immer lernen die Jungen von den Alten, es kann auch mal umgekehrt sein! Um es auf den Punkt zu bringen: In keinem meiner Sätze fehlt inzwischen eines der neuen deutschen Wörter. Und ich rate allen nicht mehr ganz Jungen, meinem Beispiel zu folgen, wenn sie nicht für jenseitig gehalten werden möchten.
Hier eine kleine Auswahl von Begriffen, die ich von meinen Nachkommen gelernt habe und die mittlerweile zum Standardrepertoire der deutschen Sprache zählen. Ja, auch im Alltag haben sie sich fest eingenistet. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, kann das bestätigen.
Geil, Krass, Cringe, Lost, Cool, alle Kombinationen mit Mega, Ultra, Giga (ist im Kommen) Irre, Chillen, Talken, Flexen, Wahn, Nerd, Bobo, Alter, …
Wer da noch zögert, diese Wörter zu verwenden, dem sei gesagt: Allein das Wort Cool bei allen passenden und sonstigen Gelegenheiten einzustreuen, stellt die Mindestanforderung für korrekt deutschsprechende Menschen dar. Zugewanderte lernen es heutzutage im Deutschkurs. Aber Achtung: Geil zu sagen, gilt bei manchen als Nachweis für Unterschichtler oder Menschen mit Ganzkörper-Tattoos.
Kommunikation der Oberschicht hört sich da viel nobler an. Ein Beispiel: Hey, Alter: Die Texte von Wittgenstein, die sind nicht nur krass, sondern auch megacool. Nichts zum Chillen, aber ein Wahn zum Flexen!
Das bin ich jetzt noch schuldig: Die Übersetzung des Briefs Schillers an Goethe, damit man versteht, worum es da ging:
Joe-Wolfi, du alter Nerd!
Da gibt’s coole People bei einem News-Paper, die haben einen geilen Club und möchten, dass du Member wirst. Die Typen sind krass, vielleicht ein wenig Lost, keine Bobos, aber Giga-Irr. Kannst du für die Freaks mal was texten? Eine geile Story zum Flexen oder zum Chillen vielleicht? Kann auch Cringe sein! Die nehmen alles!
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Hochmögender Walter Plasil,
eine fürtreffliche Zergliederung des sprachlichen Geschehens, fürwahr!