Brief aus der Schweiz
Urs Heinz Aerni:
Ehrlichkeit ist sympathisch.
Es lohnt sich, genau hinzuschauen, auf das Treiben in den Straßen. So wie vor ein paar Tagen auf der Fahrt zwischen zwei Dörfern im Schweizer Mittelland.
Gemeindeangstellte bearbeiteten eine Grün- und Schotterinsel. Wir fuhren aus Rücksicht etwas langsamer. Eine Szene überraschte uns. Ein Gemeindearbeiter besprühte Pflanzen mit einem Vertilgungsmittel der chemischen Sorte. Wir konnten es nicht fassen: dies in der Zeit, in der das Artensterben in aller Munde ist.
Firmen verzichten zugunsten von Naturwiesen auf den Rasen, Kirchen berücksichtigen mehr einheimische Pflanzen auf den Friedhöfen, Bau- und Wohnungsgenossenschaften gestalten ihre Umschwünge mit naturfreundlichen Strukturen u. a. mit Teichen und Totholz, und immer mehr Private verzichten auf Neophyten, Schottergärten und auf das samstägliche Rasenmähen, um bedrohten Pflanzen, Insekten und Vögeln eine Überlebenschance zu geben.
Und was sehen wir da? Gemeindearbeiter sprühen Gift, das jeglichem Leben den Garaus macht. Was tun? Anhalten und schimpfen?
Ich entschied mich zu einer offiziellen Anfrage bei der Gemeinde, höflich formuliert, denn vielleicht hätte es auch Wasser sein können oder sonst etwas Erlaubtes. Einen halben Tag nach der Anfrage rief mich der verantwortliche Gemeindearbeiter an. Ich lehnte mich zurück und dachte: Jetzt kommt die große Rechtfertigungsrede. Das Gegenteil war der Fall.
Er gab zu, eine Restmenge noch verbraucht zu haben. Er gab zu, dass dieser Entscheid ein Fehler gewesen sei und er die Verantwortung auf sich nehme. Er gab zu, dass er ein Befürworter der Biodiversität sei und gegen ungewünschten Bewuchs nur mit Heißwasser und Feuer ankämpfe. Elemente der Natur also. Mit ehrlichen Worten sagte er mir, dass seine Entscheidung, das Gift noch zu verwenden statt es fachgerecht zu entsorgen, ein Fehler gewesen sei. Für diese Ehrlichkeit und Offenheit dankte ich ihm mit der Überzeugung, dass er nie mehr Gift in unsere Welt spritzen wird.
Und die Lehre daraus?
Hm … mit offenem Blick durch die Welt fahren und als mündiger Bürger kritisch nachfragen statt gleich öffentlich anzuprangern? Und vielleicht auch Respekt bezeugen, wenn ein Mensch ohne Wenn und Aber einen Fehler zugibt.
Ersterscheinung „Reussbote“ (Schweiz)
Der passende Buchtipp: „Wir können das! Fehler machen und zugeben“. Ein Kinderbuch zum Erlernen sozialer Kompetenzen von Christian Tielmann, Carlsen Verlag.
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