Thomas Nußbaumer
Eine berechtigterweise bejubelte Premiere
von Verdis "Falstaff" am Tiroler Landestheater
Besprechung
Regisseur Tobias Ribitzki richtet den Fokus konsequent auf das Werk und nicht auf eigene Regieeinfälle, sodass der zeitlos gültige Stoff, der geniale Sprachwitz und Esprit des Librettisten Arrigo Boito und natürlich Verdis Musik zur Geltung kommen.
Jacob Phillips (Ford), Johannes Maria Wimmer (Falstaff) © Birgit Gufler
Im Mittelpunkt steht Sir John Falstaff, der versoffene Lebemann in der Blüte seines Spätsommers, wie es im Libretto heißt, der die Zeichen und den Zahn der Zeit verkennend sich noch immer für unwiderstehlich und besonders schlau hält, jedoch grandios über seine eigene tölpelhafte Intrige stolpert.
Am Ende triumphieren die Frauenzimmer, die er aufs Kreuz legen wollte, auf ganzer Linie, indem sie nicht nur ihm, sondern en passant auch einem intriganten Ehemann und dessen Möchtegern-Schwiegersohn eine Lektion erteilen. Am Schluss jedoch hält der schroff brüskierte Falstaff der wütenden Menge und dem Publikum den Spiegel vor und Verdis letzte Oper endet mit einem Lachchor, der allem und jedem gilt.
Jacob Phillips (Ford), Cristiana Oliveira (Alice Ford), Abongile Fumba (Mrs. Quickly), Camilla Lehmeier (Meg Page) © Birgit Gufler
Um dem Werk Raum zu gewähren, benötigt Ribitzki nur eine eher reduktionistische Bühne. Ein leicht ansteigender Bretterboden mit einer Falltür, dezent-dunkel tapezierte Wände mit Wandleuchtern, ein Zwischenvorhang mit einem versteckten Fenster, eine Wäschetruhe, in der Falstaff versteckt gehalten und eingeseift wird, und ein Paravent, der hingegen ein schlechtes Versteck ist, sowie etwas Mobiliar bilden das Interieur.
Cristiana Oliveira (Alice Ford), Jason Lee (Bardolfo), Oliver Sailer (Pistola), Jacob Phillips (Ford), Camilla Lehmeier (Meg Page), Abongile Fumba (Mrs. Quickly), Anastasia Lerman (Nannetta), Chor © Birgit Gufler
Zum Rendezvous erscheint Falstaff mit Rosen, die sich wie Dartpfeile in den Boden und an die Wand pflanzen lassen. In der Geister- und Feenszene wird die Bühne nach hinten geöffnet, wo ein Glitzersternekosmos vor sich hin funkelt. Sowohl die Bühne als auch die sehr ansprechenden Kostüme, die wechselweise an Fin de Siècle, Al Capone und Sherlock Holmes erinnern, stammen von Stefan Rieckhoff.
Die Personenführung korreliert bestens mit dem pointenreichen, slapstickartigen Text und der ebenso komisch-grotesken, fröhlich, dunkel, melancholisch, lyrisch und majestätisch in allen Farben des romantischen Orchesters schillernden Musik Verdis. Die szenische Darstellung ist durchgehend schlüssig und witzig. Und wenn Falstaff von seinen wütend singenden Widersachern und der großartigen Statisterie des Tiroler Landestheaters nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum gesucht wird, ergibt sich eine Unmittelbarkeit der Begegnung mit den Heldinnen und Helden.
Camilla Lehmeier (Meg Page), Alexander Fedorov (Fenton), Anastasia Lerman (Nannetta), Jacob Phillips (Ford), Jakob Nistler (Dr. Cajus), Cristiana Oliveira (Alice Ford) © Birgit Gufler
Unter jenen gebührt die größte Aufmerksamkeit dem Hauptdarsteller Johannes Maria Wimmer, der mit seiner höchst differenzierten Stimme, die jede Nuance zwischen intimer Lyrik und voluminöser Wirkmacht erfasst, der Titelrolle Fleisch und Blut verleiht. Dieser Falstaff ist ein echter Typ mit gegensätzlicher Persönlichkeitsstruktur, einerseits unverschämt, unbescheiden und überheblich, andererseits abergläubisch und hasenfüßig; einerseits primitiv und gewalttätig, andererseits ein echter Philosoph, alles in allem aber ein Haudegen, der sich nicht unterkriegen lässt. Wimmer ist nicht nur ein fein abstufender Bassist, sondern zudem ein begnadeter Schauspieler.
Sein Antagonist Jacob Phillips als Ford spielt die Verkörperung der Empörung mit schöner, vollklingender Baritonstimme. Er wie auch Alexander Fedorov als Fenton, dessen strahlender Tenor zur Hochform aufläuft, fokussieren ihr Begehren auf Nannetta, die von Anastasia Lerman dargestellt wird, aus unterschiedlicher Perspektive: Fenton will sie heiraten, Ford – ihr Vater – will sie an seinen Freund Dr. Cajus verheiraten.
Alexander Fedorov (Fenton), Anastasia Lerman (Nannetta), Jakob Nistler (Dr. Cajus), Oliver Sailer (Pistola), Jacob Phillips (Ford), Jason Lee (Bardolfo), Camilla Lehmeier (Meg Page), Chor © Birgit Gufler
Anastasia Lerman singt ihre Partie mit strahlender Bravour und berührt in der Feenszene durch ihren lyrischen, schwebenden Gesang. Jakob Nistler als gescheiterter Freier Dr. Cajus überzeugt ebenso durch stimmliche und schauspielerische Präsenz wie Jason Lee als Bardolfo und Oliver Sailer als Pistola – die beiden verräterischen Diener Falstaffs.
Die Riege der wehrhaften Frauen steigert das hohe Niveau der Premierenvorstellung beträchtlich: Cristiana Oliveira (Sopran) ist eine brillante Mrs. Alice Ford, Camilla Lehmeier (Mezzosopran) eine nicht minder ausdrucksvolle, starke Mrs. Meg Page und die komödiantische Abongile Fumba mit ihrer auch in tiefer Lage expressiven Stimme hat als Mrs. Quickly stets die Lacher auf ihrer Seite.
Oliver Sailer (Pistola), Johannes Maria Wimmer (Falstaff), Jason Lee (Bardolfo), Camilla Lehmeier (Meg Page), Jacob Phillips (Mr. Ford), Jakob Nistler (Dr. Cajus), Chor © Birgit Gufler © Birgit Gufler
Als Gitarrist der Rendezvous-Szene von Falstaff und Alice Ford wirkt Daniel Müller stimmungsvoll auf der Bühne. Der Chor des Tiroler Landestheaters und die Damen des Extrachors treten effektvoll und stimmlich prägnant in Erscheinung.
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Matthew Toogood trägt durch inspirierte Spielweise und transparenten Klang wesentlich zum Erfolg der Premiere bei, wobei sich der Klangkörper im Laufe des Abends lautstärkemäßig immer besser auf das singende Personal einzustellen vermag. Toogood als musikalischer Leiter versteht es, Verdis bildhafte, nahezu veristische Musik in all ihren Klang- und Rhythmusschichtungen nachhaltig zu vermitteln.
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