Thomas Nußbaumer bespricht:
Drittes Symphoniekonzert des
Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck
unter dem Motto „Paradies“
Paradies lautete das Motto des dritten Symphoniekonzerts des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck (TSOI) in der Saison 2024/25. Mit Emilie Mayers Faust-Overtüre, Max Bruchs Violinkonzert Nr. 1 in g-Moll und Felix Mendelssohn-Bartholdys 3. Sinfonie (Die Schottische) präsentierte sich das Orchester unter der Leitung der venezolanischen Gastdirigentin Glass Marcano in Bestform. Als Solistin des Violinkonzerts brillierte Annedore Oberborbeck.
Das großartig zusammengestellte Programm umfasste drei Werke der deutschen Romantik mit unterschiedlichen Facetten der Epoche. Da erklang zunächst die Faust-Ouvertüre für großes Orchester der aus dem mecklenburgischen Friedland stammenden Emilie Mayer (1812–1883), eine der wenigen Komponistinnen dieser Zeit, die sich in ihrem Spätwerk von 1879 gleich wie Robert Schumann, Hector Berlioz, Franz Liszt oder Charles Gounod der Begeisterung für Goethes epochales Drama hingab.
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, in der Mitte die Soloviolinistin Annedore Oberborbeck © Chó/wefeel.art
Es folgte das erste Violinkonzert ihres viel jüngeren Zeitgenossen Max Bruch (1838–1920), der immer ein wenig darunter litt, dass er an den Erfolg dieses 1867 vollendeten Werks, das romantischen Tiefgang mit glänzender Virtuosität verbindet, nie mehr anschließen konnte. Nach einer Pause galt die Aufmerksamkeit Mendelssohns Schottischer, vollendet 1841/42, einer Symphonie, in der der Komponist die Eindrücke seiner Schottlandreise von 1829 verarbeitete. Im halbverfallenen Holyrood Castle von Edinburgh mochte er sich wie an einem romantischen Paradies- und Sehnsuchtsort gefühlt haben.
Symphonische Musik zwischen Faust und Schottland also umrahmte den solistischen Teil des Abends mit Annedore Oberborbeck, der Konzertmeisterin des TSOI, die nun im Kreise ihres Orchesters im Mittelpunkt stand und mit Bruchs erstem Violinkonzert eine technisch höchst versierte und musikalisch innige Performance hinlegte.
Annedore Oberborbeck interpretiert Max Bruchs erstes Violinkonzert © Chó/wefeel.art
Zwischen den markant formulierten doppelgriffigen Passagen des rhapsodischen Einleitungssatzes und dem feurig-schnellen Laufwerk des Schlusssatzes lag die Hochlandebene eines flächigen, schillernden Adagio-Satzes, eines aus tiefem Atem schöpfenden Gesangs, den Oberborbeck mit Kantabilität an der äußersten Grenze vortrug – so könnte man vielleicht dieses Musikerlebnis beschreiben.
Eindrucksvoll war auch das punktgenaue Zusammenspiel mit dem klanglich homogen dosierten Orchester, das zu einem wohl großen Teil der hervorragend koordinierenden Gastdirigentin Glass Marcano geschuldet war. Oberborbecks herzliche Umarmung für sie nach dem Schlussapplaus war wohl aufrichtig gemeint. Ehe sie die Bühne freimachte, bezauberte sie noch mit Grażyna Bacewiczs exaltiertem Polnischen Cappricio als Zugabe.
Schon bei der Interpretation von Emilie Mayers Faust-Ouvertüre, dem eindrucksvollen, beeindruckend instrumentierten und sowohl formal als auch musikalisch bestechenden Werk dieser nach ihrem Ableben weitgehend vergessenen Komponistin, zeigte Glass Marcano auf, worauf es ihr ankommt: auf ausgewogene klangliche Balance und präzise Koordination der Einsätze.
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Glass Marcano am Pult des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck © Chó/wefeel.art
Ihre wohl nur kurze, aber offensichtlich fruchtbringende Arbeit mit dem TSOI offenbarte sich auch bei der Wiedergabe von Mendelssohns Schottischer. Der enigmatisch vorgetragenen Einleitung, in der der Komponist wohl über das erwähnte Holyrood Castle, das nach seinen Worten zerbrochen, morsch darniederlag, während der heitere Himmel hineinschien, folgte in fließender, schlüssiger Form eine Idee der nächsten, wuchs ein Bild aus dem anderen.
In dieser Darbietung erschien die 3. Sinfonie wie eine interessante, epische Erzählung, in der zwei temperamentvolle Sätze, der eine vivace, der letzte vivacissimo vorzutragen, mit der Tiefgründigkeit des ersten Satzes und der bukolischen Lyrik des Adagio-Satzes kontrastieren. Gute Gedanken flogen einem auf dem Nachhauseweg zu.
PS: Das Konzert wird übrigens heute Abend, 17.01.2025, 20.00 im Saal Tirol des Congress Innsbruck wiederholt.
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