Thomas Nußbaumer bespricht:
„Die Ausflüge des Herrn Brouček“
von Leoš Janáček
Premiere am Tiroler Landestheater
Nach Jenůfa (2012), Das schlaue Füchslein (2013), Die Sache Makropulos (2016) und Káťa Kabanová (2020) wird am Tiroler Landestheater auch in der Ära Irene Girkinger die Pflege des Opernwerks von Leoš Janáček (1854–1928) fortgesetzt.
Am Sonntag, 2. November 2025, ging im Großen Haus die Premiere der zweiteiligen burlesken Oper Die Ausflüge des Herrn Brouček über die Bühne – für viele im Publikum eine Herausforderung, nicht nur wegen des an Absurditäten reichen Librettos (von Leoš Janáček nach dem Roman von Svatopluk Čech), sondern auch wegen einer Musik, die die Sprachmelodie – die Übersetzung des gesprochenen Wortes in Musik – in den Mittelpunkt stellt.

Alexey Sayapin (Mazal), Florian Stern (Matěj Brouček), Anastasia Lerman (Piccolo) & Hazel Neighbour (Malinka)
Arien oder längere kantable Passagen fehlen fast völlig, dafür ist die Orchestermusik von außergewöhnlicher Klangfarbigkeit und Dichte. Vorweg darf festgehalten werden, dass musikalische Leistung und Inszenierung – unter der Regie von Tobias Ribitzki, mit den Videoeffekten von Paul Barritt – insgesamt sehr gelungen und anregend sind.
Im Zentrum der zwischen 1908 und 1917 entstandenen satirischen Oper, die wegen ihrer zwei inhaltlich unterschiedlichen Teile auch als Doppeloper bezeichnet wird, steht Matĕj Brouček, ein bequemer, selbstzufriedener Bürger, der am liebsten allein in seiner Stammkneipe sitzt, Bier trinkt und Knackwurst verzehrt.

Hazel Neighbour (Etherea), Florian Stern (Matěj Brouček), Erwin Belakowitsch (Zauberlicht) & Chor
Die Welt um ihn herum ist ihm gleichgültig, Mitgefühl oder soziales Engagement sind ihm fremd. Die Oper verbindet zwei Episoden aus seinem Leben, an deren Ende Brouček jeweils wieder in seiner Kneipe erwacht: Seine Ausflüge auf den Mond und in das Prag des Jahres 1420, am Vorabend der Schlacht zwischen den Hussiten unter Jan Žižka und dem Belagerungsheer König Sigismunds, sind wohl Träume oder Albträume.
Im ersten Teil eckt Brouček bei einer abgehobenen Mondgesellschaft an, weil er das Werben der göttlichen Etherea missachtet und durch seine irdischen Gelüste nach Bier und Fleisch Anstoß erregt – kaum eine Oper spricht so häufig vom Bier. Im zweiten Teil landet Brouček im Lager der Hussiten und wird gezwungen, mitzuziehen. Wegen seiner Feigheit vor dem Feind droht ihm nach der Schlacht der Lynchmob.
Der erste Teil zieht sich stellenweise in die Länge, da die Mondgesellschaft zunächst Brouček kritisch beäugt, ihn sodann integrieren möchte und sich schließlich von ihm abwendet. Der Hintergrund ist eine heute schwer verständliche Satire auf eine Prager Künstlergemeinschaft, die sich in der Taverne Vikárka am Fuße des Hradschin traf. Manche Passagen erinnern an Ziele des Dadaismus, bürgerliche Konventionen ins Absurde zu führen.
Das Thema des zweiten Teils dagegen ist zeitlos nachvollziehbar – Broučeks pazifistische Haltung eingeschlossen.
Regisseur Tobias Ribitzki und Stefan Rieckhoff (Bühne und Kostüme) betonen das Traumhafte und Märchenhafte der Oper. Broučeks Welt vor der Kneipe erscheint als kulissenhafte schwarz-weiße Bürgerstadt, über der ein riesiger Mond vor schwarzem Sternenhimmel hängt.

Florian Stern (Matěj Brouček), Hazel Neighbour (Etherea) & Chor
Die Mondgesellschaft tagt auf einer halbrunden Tribüne, deren Hintergrund sich allmählich mit bunten Blumen füllt. In der Nacht vor der entscheidenden Hussitenschlacht glüht der Mond rot, ein weißes Kreuz schwebt herab.
Die Szenenübergänge sind elegant mit projizierten Cartoons gestaltet: Brouček fliegt symbolisch zum Mond, dessen zerfurchte Landschaft sich zum grinsenden Smiley wandelt, und stürzt schließlich als schwarzer Klecks in seine Prager Altstadtkneipe.
Die Kostüme – eigentlich Gewänder – sind auf dem Mond farbenprächtig und in der Kriegsszene rot-schwarz, rund um die Kneipe bürgerlich-urban im Stil des frühen 20. Jahrhunderts.

Abongile Fumba (Kedruta), Ensemble & Chor
Das Sängerensemble ist hervorragend aufeinander abgestimmt.
Florian Stern (Tenor) überzeugt als Matĕj Brouček mit vitalem, ausdrucksvollem Gesang und intensiver Darstellung. Alexey Sayapin (Mazal, Sternenfried, Peter) setzt energische Akzente mit strahlender Höhe. Hazel Neighbour (Malinka, Etherea, Kunka) glänzt mit nuancenreichem, dramatisch geführtem Sopran. Marcel Brunner (Sakristan, Mondkristan, Domšik) und Erwin Belakowitsch (Würfl, Zauberlicht, Schöffe) überzeugen ebenso wie Anastasia Lerman (Piccolo, Wunderkind, Student). Abongile Fumba (Kedruta), Jungwhan Lee (Komponist, Harfenklang, Goldschmied Miroslaw), Esewu Nobela (Maler, Farbenspiel, Vojta) sowie Qi Wang (Dichter, Wolkengrau, Vacek) ergänzen das szenisch und vokal präsente Ensemble.
Ein besonderes Lob gilt Chor und Extrachor des Tiroler Landestheaters, die präzise und klangstark agieren – teilweise im Parkett, was der Aufführung unmittelbare Nähe verleiht.

Erwin Belakowitsch (Schöffe), Alexey Sayapin (Peter), William Blake (Miroslav), Florian Stern (Matěj Brouček), Esewu Nobela (Vojta), Qi Wang (Vacek) & Chor
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Matthew Toogood beeindruckte mit feinem Gespür für Janáčeks Klangfarben: Ein vielschichtiges Geflecht aus Holzbläsern, Blech, Streichern, Harfe und Celesta wurde transparent, lebendig und rhythmisch pointiert entfaltet.
Die Premiere war leider etwas schwach besucht; einige Besucher verließen vor der Pause den Saal – zu Unrecht, denn der zweite Teil hätte sie wohl mehr angesprochen. Trotz der Längen im ersten Teil ist diese Produktion insgesamt eindrucksvoll und verdient deutlich mehr Publikum.
Fotorechte: © Nurith Wagner-Strauss
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