Thomas Nußbaumer bespricht:
„Balztanz“
im Haus der Musik
Der Vogel als vieldeutiges Symbol und
Inspirationsquelle der Musik
Balztanz ist eine ornithologisch-musikalisch-szenisch-literarische Performance mit Werken von Georg Friedrich Händel bis John Cage sowie von Eichendorff bis Ernst Jandl, gestaltet von Studierenden des Tiroler Landeskonservatoriums unter der Leitung der Regisseurin und Sängerin Angelika Luz.
Die (leider nur) einzige Vorstellung fand am Samstag, 25. Oktober 2025, im Rahmen der Innsbrucker Reihe Haus der Musik in Concert im Großen Saal statt; im Mittelpunkt stand der Vogel als vieldeutiges Symbol von der Antike bis zur Gegenwart und Inspirationsquelle der Musik.

Vögel verspeisende Tischgesellschaft
Vielfältig sind die symbolhaften Bedeutungen der Vögel von der Antike bis in die Gegenwart, heißt es im Programmheft, und einige Hinweise deuten die Bandbreite der damit einhergehenden Emotionalität und Türen künstlerischer Kreativität an: der unheilbringende Rabe, die Schwalbe als Briefträgerin der Liebe, der Adler als Symbol der Freiheit.

Julia Frenadametz und Andreas Schmid
Im Tiroler Oberland gab es einst den Vogelfang als einträgliches Gewerbe für den Wiener Singvogelmarkt, und auch der Schuhplattler soll nach einer romantischen Theorie balzendem Federvieh abgeschaut worden sein.
Die Performance, erdacht und einstudiert von Angelika Luz, nutzt die Größe und unbestechlich klare Akustik des Großen Saals im Haus der Musik, aber auch den Blick auf die monumentale Säuleneiche, hinter deren Ästen, Zweigen und Blättern die weiße Fassade der Hofburg im Licht der Scheinwerfer hervorlugt. Schon beim Eintritt des Publikums in den halbdunklen Saal verteilte sich das rund 15-köpfige Ensemble in farbenfrohen Kostümen und Federn, wie schlafversunken, im Raum.
Allmählich erwacht diese Vogelwelt; die Morgendämmerung bricht an, die Rufe schallen aus allen vier Himmelsrichtungen, die Darstellerinnen und Darsteller, allesamt Studierende des Tiroler Landeskonservatoriums, hüpfen vogelgleich ins Zentrum einer Bühnenkonstruktion, die stets einen zweiten Weg offenlässt.

Lea Peer
Im hellen Strahl erscheinen zwei alpine Vogelfänger (Andreas Schmid, Ivan Huber), auf der Bühne erklingen Steirische Harmonika und Volksharfe als Begleitung zum bekannten traditionellen Höttinger Vogelfacher-Lied. Dagegen steht schrill die Deklamation von Silke Scheuermanns Gedicht Dem häufigsten Vogel der Welt. Gemeint ist die Wandertaube, seit über hundert Jahren ausgestorben – Martha hieß das letzte Individuum im Zoo von Cincinnati.
Introduktion, Wald, Gefangen und verspeist und Tanzboden lauten die vier Teile der unter einem großen Bogen aufgespannten Geschichte. Die gefiederte Artenvielfalt spiegelt sich auch in der Auswahl der Musik und in wunderbaren Arrangements, für die Lehrer des Konservatoriums wie Harald Oberlechner, Anne-Suse Enßle, Heidelore Wallisch-Schauer und andere verantwortlich waren.
Dass das Programm kurzweilig ist, verdeutlicht beispielhaft die bloße Aufzählung der Werke zum Themenblock Wald: Carola Bauckholt, Nestwärme für drei Bassblockflöten (2000), Franz Schubert, Die Vögel für Tenor und Hackbrett (natürlich ein Arrangement), John Cage, Grafische Partitur aus Songbooks (1970), Robert Schumann, Käuzlein für Sopran und vier Blockflöten (!), Farziah Falla, Die Besorgnis der Sperlinge für Blockflöte und Elektronik bzw. Loopstation (2013/14), Kurt Schwitters, Ursonate (Auszug aus dem Lautgedicht für eine Stimme), Gustav Mahler, Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald für Bariton, arrangiert für Hackbrett, Volksharfe, Fagott und Blockflöten. Und dazwischen rezitierte Ivan Huber Georg Trakls Melancholie des Abends.
Entsprechend der Idee des Gesamtkunstwerks sind die Übergänge zwischen den Programmpunkten Teil der Performance, und das Publikum verstand sofort, dass Applaus erst am Ende möglich sein würde. Zwischen den Nummern wechseln Licht, Personenkonstellationen und Ensemblezusammenstellungen. Groß ist der Anteil witziger und zugleich sinnstiftender Pantomimen. Die Darsteller sind Vögel, Vogelfänger, mitunter Tierquäler und Vogelfresser; Licht und Kontext verändern die Perspektive. Wenn Julia Frenademez Schumanns armes Käuzlein eindrucksvoll mimt, mimen zwei andere stumm mit, während zugleich vier unterschiedliche Blockflöten wabernde Klangtürme aufschichten. Ähnlich skurril – aber durchaus kohärent zu Liedinhalt und Kontext – klingen Fagott, Hackbrett, Volksharfe und erneut Blockflöten zu Mahlers Lust im grünen Walde.

Tischgesellschaft mit Blockflötistinnen
Die Wiedergabe von Fabrizio de Rossi Res Saucen für Kraniche, Enten, Rebhühner, Turteltauben, Ringeltauben, Tauben und verschiedene andere Vögel für Blockflöte und Elektronik (faszinierend vorgetragen von Maximilian Erb) korrespondierte mit einer in Zeitlupe schmausenden Tischgesellschaft. Kurz zuvor ließ sie imaginär und grausig zu Ernst Jandls Poem Der wahre Vogel einer Amsel die Beine abhacken. Das alles wirkte schrill und bedrohlich – ebenso die Präsentation von Camille Saint-Saëns’ Le Rossignol (Die Nachtigall) für Sopran und Volksharfe (!), unschlagbar zelebriert von Lea Peer, und die Rezitation von Wilhelm Buschs Es sitzt ein Vogel als Sitcom mit Hintergrundgelächter, damit auch alle wussten, wo zu lachen war.

Schuhplattler des Tiroler Trachtenverbandes
Auch Barock und Renaissance, vertreten durch Georg Friedrich Händel und Tarquinio Merula, reihten sich in ungewohnt schrägem Klanggewand in ein insgesamt zutiefst irritierendes Setting ein: Almirena (Sopranistin Lea Peer) sitzt im Garten und wendet sich an die kleinen Vögel und die leichten Lüfte und bittet sie, ihrem Liebsten Rinaldo ihre Sehnsucht zu melden – eine zarte Pastorale voller Unschuld und stillem Glück von Händel, begleitet von drei Blockflöten, Hackbrett, Zither und Fagott; am Übergang zum Thema Tanzboden Merulas La Lusignuola“ (Die Nachtigall) aus dem 17. Jahrhundert für vier Blockflöten, hinreißend dargeboten von Katharina Fuchs, Sara Kuppelwieser, Theresa Weiser und Greta Winkler.
Schlussapplaus, mit Blumenstrauß Regisseurin Angelikas Luz
Ehe das Konzert alpenländisch ausklang, rezitierten vier Sprecherinnen und Sprecher Eichendorffs Gedicht „Adler“. Als irritierend-faszinierende Unterbrechung interpretierten Andreas Schmid (Tenor) und Julia Frenadametz (Sopran) Johannes Brahms’ schaurige Ballade „Schwesterlein“ dramatisch-szenisch zum Klang von Volksharfe und Zither. Dann dominierten fünf Schuhplattler aus dem Kreis des Tiroler Trachtenverbandes die Bühne. Der Auerhahnplattler und Hahnpfalz-Walzer wurde auf den Tanzboden gestampft und auf Schenkel und Waden geklatscht, dass es reinste alpenländische Lust und Freude war, und schließlich vollführte Christine Pichler (Sopran) auch noch das Lied „Kikerikiki“ (Bin i nit a schöner Hahn). Nicht nur das Volksmusikensemble mit Julia Schönherr, Hannes Lerchner (Steirische Harmonikas), Anna-Maria Mayr, Kristina Leiter (Hackbretter), Zither (Diana Kaufmann) und Volksharfe (Hanna Steinlechner) konnten erneut glänzen, sondern beim Schlussstück „Vogelfrei-Ländler“ aller Beteiligten auch die Blockflötistinnen, die aber im Rhythmus der Plattler nur noch durchschimmerten wie die Hofburgfassade hinter dem Geäst der Säuleneiche.
Zum künstlerischen Gehalt nur ein Satz: Selten erlebt man so viel Liebe zum Detail und durchgehend großartige interpretatorische Qualität wie an diesem Abend.
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