Susanne Weinhöppel
Wie geht Gut-Sein?
Notizen
Gut sein wollen viele, ich auch.
Als Kind, in einer Klosterschule, wollte ich sogar Heilige werden. Aber in meiner Bemühung, den Weg der Heiligen einzuschlagen, bekam ich leider oft mitten unterm Brav-Sein eine geschmiert, so schnell konnte ich gar nicht schauen.
Gründe gab es viele, Schwätzen, ein Klecks im Heft, oder beim Stricken eine fallengelassene Masche.
Schönschreiben und Stricken hielt ich nicht für die Kernkompetenzen der Heiligen. Noch nie hat jemand eine Heilige mit Strickzeug gesehen. Heilige haben sich für ihren Glauben töten lassen, ihren Mantel geteilt oder jemanden gerettet.Das waren die Gelegenheiten nach denen ich Ausschau hielt, aber sie boten sich selten.
Einmal konnte ich meinen Wintermantel auf dem Heimweg einer bettelnden Roma-Frau geben. Ich hasste diesen Mantel, und als ich ohne ihn nach Hause kam und meine Mutter die Geschichte erfuhr, tobte sie. Ein gebrauchter Mantel war mit zwei großen Schwestern daheim immer vorhanden, deshalb habe ich nicht verstanden, warum meine Mutter sich derart aufregte. Während der folgenden zwei Wochenenden Hausarrest fühlte ich mich sehr unverstanden, was mich in meiner Heiligkeit bestätigte.
Als meine älteste Schwester ihren ersten Freund hatte, war ich zum zweiten Mal heilig und das über einen längeren Zeitraum. Sie büchste abends immer aus, ging zu ihrem Freund und kam spät nachts heim. Um unsere Eltern nicht zu wecken, ließ ich sie durch die Gartentüre ein. Mein Vater drohte mir täglich Prügel an, falls ich ihn nicht sofort wecken würde, aber ich blieb eisern. Mehr als eine Ohrfeige habe ich nicht bekommen, aber immerhin. Vielleicht hatte er sogar recht in seiner Sorge um sie, aber es ging schließlich um meine Heiligkeit und nicht um ihre.
Als die Religion wegfiel, wurde es schwieriger, weil so viele verschiedene ethische Gesichtspunkte zu bedenken waren. Allein, ob man einem Bettler Geld geben sollte, wurde diskutiert.
Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre ihn fischen und du ernährst ihn für sein Leben.
Konfuzius mag recht gehabt haben, aber ich kann weder fischen noch bin ich in der Lage jemandem Arbeit zu verschaffen oder gar ein möglicherweise ungerechtes System zu verändern. Ich habe eben nur einen Euro oder zwei und ich möchte doch helfen. Denn es ist nicht nur mein Verdienst, dass ich nicht an des Bettlers Stelle sitze.
Im Judentum gibt es einen Segensspruch, der den Bettler dafür segnet, dass er einem die Gelegenheit gibt, Gutes zu tun.
Ich sitze in keinem Vorstand, in keiner Chefetage und in keiner Regierung. Die Möglichkeiten großen Nutzen oder Schaden anzurichten, habe ich nicht. Es geht in meinem Leben nicht um die große Welt da draußen, sondern um das tägliche Miteinander, bei dem immer wieder allerhand schiefgeht.
Ich bin ein Glückskind, denn es gab für mich nie die Notwendigkeit kriminell zu werden. Für einen Hindu habe ich damit schon ein gutes Karma, habe also zumindest in früheren Leben ethisch gehandelt. Ich könnte mir das in dieser Inkarnation verderben, indem ich z.B. nachts jemandem, der mich geärgert hat, die Reifen aufsteche. Das tue ich nicht, weil es ein ziemlicher Aufwand ist, den die Schadenfreude nicht aufwiegt.
Ich könnte aggressiv und böse zu anderen Menschen sein, zumindest zu meinem Mann. Das ist aber auch nicht nötig, weil es mir völlig ausreicht, in seiner Abwesenheit die Toilette mit seiner Zahnbürste zu reinigen. Aber ich muss gestehen, es macht mir Spaß, unter Freunden über andere ein bisschen herzuziehen, Leut ausrichten, wie man in Bayern sagt. Ich will niemandem damit schaden, aber es entlastet sehr, wenn man sich über jemanden geärgert hat. Und ich hoffe, dass ich in der nächsten Inkarnation nicht Wähler einer rechtsextremen Partei oder Klofrau werde.
Und damit sind wir mitten im Problem.
Ich fühle mich besser, zumindest besser als ein AFD-Wähler und wahrscheinlich auch besser als die Klofrau.
Wenn man aus einem Elternhaus kommt, in dem das Abitur bei der Geburt fast mitgeliefert wird, und sei es durch Mund-zu-Mund-Beatmung im späteren Nachhilfeunterricht, fühlt sich das verkehrt an. Vielleicht würden mir einige Menschen beipflichten, wenn ich mich moralisch über den AFD-Wähler stelle, aber bin ich nicht genau durch den Gedanken Ich bin besser als der! mit ihm verbunden?
Ein Präsident darf, weil er besser ist, jemanden erschießen, Menschen meinen, weil sie besser sind, Asylantenheime in Brand stecken zu dürfen. Ich bin nicht nur besser, meine Religion und Hautfarbe sind auch besser, meine Bedürfnisse sind die wichtigeren, meine Gedanken sind die richtigeren.
Aber wenn einer besser ist, dann sind die anderen schlechter, und zu diesen anderen gehört gelegentlich jeder.
Dabei haben wir für den Platz, an dem wir stehen, nicht so viel getan, wie wir meinen. Das meiste hängt davon ab, in welcher Region der Erde wir geboren wurden. Unsere Ausbildung ist häufig von den Möglichkeiten der Eltern abhängig. Die Saat für unsere späteren Überzeugungen wird zum großen Teil von der Peergroup gelegt, in die man in der Schulzeit aufgenommen wurde, weil vielleicht das Hemd, das man trug, vom richtigen Hersteller war.
Wenn wir Glück haben, werden wir nette Menschen, oder wollen es zumindest sein. Aber es scheint, als hätten wir einen inneren Widerstand, einzusehen, dass der andere in so vielem genauso ist wie wir selbst. Ich soll wie der AFD-Wähler sein? Auf keinen Fall, ich will das nicht!
Kinder sind uns da oft weit voraus.
Michi, der Sohn meiner Freundin, sagte mit zwei Jahren beim Windelwechseln: Michi Kaka, Mama Kaka, Oma Kaka.
Er sprach sehr langsam und man merkte, wie er beim Sprechen intensiv nachdachte. Er vollzog, vom eigenen Ausscheidungsvorgang inspiriert, den denkerischen Transfer, dass seine Handlung, bis dahin als einzigartig empfunden, auch anderen möglich ist.
Und mir ist im Alter von vier Jahren das erste Mal mein Ich-Gefühl klargeworden, ich erinnere genau, plötzlich gespürt zu haben, wie es in mir ein Ich gab, dem das Leben zustieß. Und dann passierte mir der philosophischste Einfall meines Lebens: Die anderen sind genauso Ich wie ich.
Heute würde ich sagen, ich hatte plötzlich eine Vorstellung davon, wie sehr die anderen den Aufprall des Lebens genauso stark und manchmal schmerzlich empfinden wie ich. Ein befreundeter Psychotherapeut meinte, soweit würde mindestens die Hälfte seiner Patienten nie kommen. Leider habe ich diese Einsicht immer wieder vergessen.
Denn wenn ich mir vor Augen führe, womit ich im Alltag am nachhaltigsten gekränkt werde, dann sehe ich auch, dass ich dasselbe meinen Mitmenschen zufüge: ich unterbreche sie, ich übersehe manchmal Leute, weil ich den Kopf woanders habe, ich überfahre sie im Gespräch und es kann vorkommen, dass ich übergriffig werde.
Dazu möchte ich jetzt meine Angehörigen ausdrücklich nicht befragen!
Und ich tue all das, obwohl ich selbst so verletzt und empört, sehr oft sogar beleidigt bin, wenn es mir angetan wird.
Es ist leicht, Mitgefühl mit einer diskriminierten Gruppe oder mit Hungernden zu haben, am besten zeitunglesend beim Frühstück. Aber im täglichen Leben die anderen als Subjekte zu erleben, die das Dasein in jeder Handlung, bei jedem Atemzug, genauso empfindlich spüren wie wir selbst, das ist schwer, denn es macht den Alltag sehr umständlich.
Wir haben alle Pflichten, Aufgaben und Schicksalsschläge die uns sowieso schon beanspruchen. Und obendrein sollen wir noch jeden mitdenken müssen, vielleicht sogar die Frau an der Kasse im Billa? Des jetzt net a no! denke ich dann ganz spontan.
Elon Musk sagte in einem Interview: Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist die Empathie. Ihm schwebt eine Kolonie der Starken auf dem Mars vor, so etwas wie Prospera. Das ist ein abgegrenztes Gebiet auf einer Insel in Honduras und soll ein privater Stadtstaat für die neuen Eliten werden.
Aber auch unter den Starken werden einige stärker, besser und wichtiger sein, während die anderen eben nur stark sind. Manche von den Starken sind sogar genauso leicht beleidigt wie ich. Trump, z.B. hat vermutlich den Vorsatz gefasst, Präsident zu werden, als Obama sich öffentlich über ihn lustig machte. Wir sind so verwundbar und zart, aber die Wucht der von uns ausgeteilten Schläge, ist uns oft genauso wenig bewusst wie kleinen Kindern, die immer voll durchziehen, weil sie doch so klein und schwach sind.
Rabbi Nachman von Brazlav sagte: Du solltest fähig sein, die Probleme eines anderen Menschen in deinem Herzen zu fühlen. Erst recht gilt dies, wenn viele leiden. Auf alle Fälle solltest du den Schmerz der Vielen in deinem Herzen wahrnehmen. Wenn du den Schmerz nicht fühlst, sollst du deinen Kopf an die Wand schlagen. Damit meine ich, dass du deinen Kopf an die Wände deines Herzens schlagen sollst.
Der Dalai Lama, der oberste Mitgefühlsprofi, hat bei den sexuellen Missbräuchen in seinen Reihen, genauso wenig reagiert, wie die Kirchenleute und privat soll er manchmal ein ganz schöner Stinkstiefel sein. Man kriegt es einfach nicht hin. Und da man an Elon Musks Herz nicht so leicht herankommt, werde ich wohl meinen eigenen Kopf an die Wand schlagen müssen.
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Wilhelm Busch
Wilhelm Busch (die fromme Helene).
Nebstbei: Herr
Wenn Sie auf den Busch klopfen, entsteigt ihm der Wilhelm …
Sehr geehrte(r) Herr oder Frau Jenewein,
bitte klären Sie uns auf:
Wer ist W.B. ?
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Preglau
Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse das man lässt.
(W.B.)