Susanne Weinhöppel
Wer’s glaubt, wird selig.
Über Religion und humorlose Atheisten
Notizen

Ich bin in Bayern aufgewachsen und als Kind in eine Klosterschule gegangen. Jeden Montag fragte unsere Lehrerin, Schwester Syra, wer am Sonntag in der Kirche gewesen war. Schlimm war es für die Mädchen, die im Sprengel wohnten, die konnten nicht lügen, weil Schwester Syras scharfe Augen im Sonntagsgottesdienst genau erfassten, wer anwesend war.

Ich weiß noch, wie sie an einem Montag nach den Ferien meine Freundin Helga zur Schnecke machte, weil ihr Kleid im Gottesdienst angeblich zu kurz gewesen war. Was sie genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr, aber wenn Schwester Syra einen im Visier hatte, blieb kein Stein auf dem anderen. Zum Schluss weinte die Delinquentin. Und als Helga schon völlig gedemütigt in Tränen zerfloss, kam noch der Satz: Da hat die Heilige Maria sehr geweint.

In meiner Teenagerzeit weichte der katholische Fundamentalismus auf und man durfte sogar im Religionsunterricht die Kirche kritisieren. Es wurde liberaler, meine Freunde sind alle aus der Kirche ausgetreten und irgendwann war es soweit, dass die Kirche bzw. alle Religionen schuld waren am Übel in der Welt. Man hatte nicht zu glauben, sondern zu wissen. Und als ich einmal einen ethischen Gedanken des Christentums verteidigt habe, hielt man mir eine Standpauke, die mich an Schwester Syra erinnert hat.

Ich mag meine Freunde, aber manchmal fühle ich mich ein bisschen einsam. Mein Wissen ist begrenzt und ich muss gestehen, ich glaube an so manches. Gottseidank bin ich damit nicht allein.

Helga hat Schwester Syras Demütigungen seelisch verarbeitet und glaubt jetzt an die Ratschläge ihres Friseurs, wenn es um ihre Ehe geht. Und die sind gar nicht mal schlecht, immerhin versteht ihr Friseur etwas von Männern. Mein Mann glaubt der Gemüsefrau, wenn es um die Entfernung von Warzen geht, Faden um die Warze schlingen und diese Schlinge dann in die Dachrinne legen. Wenn die Fadenschlinge verschwunden ist, ist auch die Warze weg.
Bei ihm hat es funktioniert.

Mein Freund Martin glaubt nur an die Wissenschaft. Bei Wissenschaft bin ich auch ganz demütig gläubig, ich verstehe zu wenig davon.

Sehr mächtig aber wird der Glaube beim Arzt. Da lassen Menschen ihren Orthopäden Operationen durchführen, deren Wirksamkeit überhaupt nicht erwiesen ist. Und manchmal drehen sich nach einigen Jahren die medizinischen Aussagen, an die man so fest geglaubt hatte, um 180 Grad.

Denken Sie nur an das Schneuzen beim Schnupfen. In meiner Kindheit durfte man den Rotz nicht hochziehen. Es hieß, man ziehe ihn sich sonst ins Gehirn. Schneuzen war angesagt, was jetzt aber verpönt ist. Man pustet sich dabei den Rotz angeblich direkt in die Nebenhöhlen, wo er nie wieder herauskommt. Na was denn nun? Einfach mit Rotzglocke rumlaufen?

Wie appetitlich ist doch da der Glaube der Inder an ihren lustigen Elefantengott Ganesha, mit seinem Rüssel, der Hindernisse wie z.B. Schnupfen einfach beseitigen kann.

Ich persönlich mag Religionen gern. Da gibt es prächtige Gebäude, schöne Gegenstände, Gewänder, Geschichten, Lebenssinn, heilige Knochen und überall etwas anderes.

Wenn ich einem Inder die katholische Monstranz erklären müsste, würde ich sagen: Das ist ein goldener kunstvoll gearbeiteter Ständer, der oben ein sternförmiges Gebilde trägt, das mit Edelsteinen besetzt ist. In der Mitte ist ein kleines rundes Glasfenster. Dahinter sieht man eine Oblate, wie man sie unter die Kokosmakronen klebt. Auch wenn er nicht wüsste, was eine Kokosmakrone ist, würde er sich niemals darüber lustig machen, weil Inder in solchen Fragen sehr tolerant sind.

Gespräche mit Menschen über ihren Glauben sind meistens interessant. Immerhin geht es dabei um Fragen wie: Für was lebst du und warum?

Religiöse Vorlieben habe ich keine, von Hinduismus bis Judentum ist mir fast alles recht. Natürlich gibt es Glaubensinhalte die schädlich oder ungünstig sind, z.B., dass Krankheit von unmoralischem Verhalten kommt, was manche christlichen Fundamentalisten und Schwulenhasser in den 80ern wegen Aids proklamierten: Gott bestraft die großen Sünden mit Seuchen.

Schön wäre es!

Religiöse Menschen sind moralisch bestimmt nicht besser als andere, das kann man an meiner Tante Iris sehen. Tante Iris rennt durch die Welt um anderen Leuten die Laune zu verderben. Sie ist 84, pumperlgesund und ich befürchte manchmal, dass sie überhaupt nicht mehr stirbt, weil sie auch noch diesen Yoghurt aus dem Kaukasus isst. Das müsste man mal einschränken.

Wenn ihre übergewichtige Tochter sie einmal im Jahr am ersten Weihnachtstag besucht, dann zählt Tante Iris beim Essen immer die Kalorien mit. Als sie einmal ein Konzert von mir besuchte, kam sie hinterher in die Garderobe und kommentierte den Abend mit den Worten: Da war viel Schönes dabei.

Sonst macht die nix, aber sie glaubt an Gott und fühlt sich völlig im Einklang mit ihrem Schöpfer. Und sie weiß, wofür sie lebt. Möglicherweise fühlt sie in sich den göttlichen Auftrag, allen die Wahrheit zu sagen. Vielleicht spricht Gott sogar mit ihr.

Martin belästigt mich mit abgedroschenen Sätzen wie: Wenn man mit Gott spricht, nennt man das Gebet, wenn Gott antwortet, nennt man es Schizophrenie.

Aber wieso darf er denn nicht mal antworten? Zeit wird es. Wenn er nicht verlangt, dass man Bomben auf Andersgläubige schmeißt, oder dass ich ab jetzt ein Haushaltsbuch führen soll, fände ich das sehr schön.

Martin würde mich jetzt wieder mitleidig belächeln. Er war als Bub Ministrant und ist eigentlich ein Beispiel dafür, dass die Katholische Kirche irgendetwas falsch gemacht haben muss.

Aber ich weiß eines, was auch seinem Glauben auf die Beine helfen würde: Wenn im Fernsehen ein Herr Prof. Dr. Britlbantsch, Onkologe, verkünden würde: Eine Langzeitstudie hat gezeigt, dass Menschen, die ein Glas Eigenurin am Morgen trinken, keinen Krebs bekommen. Was meinen Sie, wie schnell Martin jeden Morgen sein Pipi schlürfen würde und im Notfall sogar meines. Von allen Religionen gehört der Atheismus für mich zu den langweiligsten und strengsten.

Auf der Russisch-Orthodoxen Beerdigung von Martins russischer Schwiegermutter waren neben den russischen Freundinnen der Verstorbenen, Katholiken, auch Tante Iris, einige Juden, Martin mit seiner Frau Olga und natürlich ich. Die Russisch-Orthodoxen haben die Gewohnheit, ihre heiligen Bilder und Symbole zu küssen. Und so hielt der Pope am Grab jedem das Kreuz zum Kusse hin.

Am besten gingen die Juden mit der Situation um. Sie nahmen einen diskreten Umweg ums Grab. Martin dagegen ging auf Konfrontation und hat vor hundert Leuten das Kreuz mit großer Geste und ausgestrecktem Arm zurückgewiesen. Als ob er damit der ganzen Inquisition trotzen würde, während die hinten schon seinen Scheiterhaufen herrichten. Tante Iris hat übrigens das Kreuz von oben bis unten abgeschleckt.

Martin wird nicht müde, mir immer wieder aufzuzählen, was im Namen Gottes schon alles angerichtet wurde und wird. Und als ich ihm einmal verriet, wie schön ich den Gedanken fände, es gäbe einen liebenden Gott, bei dem jeder Mensch irgendwie aufgehoben sei, war seine Antwort: Wo war Gott in Auschwitz?

Ja, da war er offenbar nicht da. Aber wo war denn der Mensch in Auschwitz? Wir Europäer haben endlich eingesehen, dass die Zwangsmissionierung, das Ermorden von Menschen und die Zerstörung von Kulturgütern im Namen Gottes falsch war.

Und jetzt, weil wir das eingesehen haben, dürfen alle anderen auch an keine Religion mehr glauben, vor allem die, die wir in den ehemaligen Kolonien besonders missioniert und ausgebeutet haben. Die sollen jetzt bitte alle mal einsehen, dass das Quatsch ist mit der Religion, wirtschaftlich geht´s dann besser voran und davon hätten schließlich alle etwas. Das Töten von Menschen und die Zerstörung von Kulturgütern gelingen uns auch ohne Religion.

So wie es bei den Nazis Arbeitsplätze gab für Leute, die gern quälen, hat die Kirche Jobs für Kinderschänder im Angebot. Manche Menschen tun solche Sachen auch ohne Institutionen, einfach weil sie es gerne tun. Tante Iris hätte ohne Religion den gleichen Charakter.

Und manche religiösen Glaubensinhalte spenden so viel Trost!

Es gibt eine chassidische Höllenvorstellung, da hat die Hölle sieben Abteilungen und jede dauert 300 Jahre. Kann sein, dass Tante Iris bei einer Abteilung durchfällt und die dann wiederholen muss.

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Susanne Weinhöppel

Susanne Weinhöppel, Münchnerin, studierte Konzertharfenistin, spielt Klassik, Neue Musik, macht eigene Bühnenprogramme mit Texten und Chansons zur Harfe und schreibt Glossen und Geschichten. Ihre derzeitigen Soloprogramme sind: Die Liebe gibt es. Die Liebe gibt es. Ein Abend... Passt nicht ins Programm - Jüdische Lieder Susanne Weinhöppel wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwabinger Kunstpreis für “künstlerische Unangepasstheit und kreativen Freigeist“. Es entstanden 5 CDs bei kip-records. "Susanne Weinhöppel, Kabarettistin, Harfenistin, Melancholikerin und Kratzbürste, ist zweifellos ein Glücksfall für die Welt der großen kleinen Kunst. Eine Rampensau mit profunder musikalischer Ausbildung, weiß sie um die Abgründe des Lebens – und weil sie so oft in ihnen wandelt, hat sie die Waffen dagegen immer dabei, den Humor und die Liebe. Beides verteilt sie großzügig. Wenn sie singt, greift sie zur Harfe, fest entschlossen, zu bewegen und zu berühren. Ihre Geschichten sind bedingungslos ehrlich, abgrundtief komisch und wenn’s sein muss auch mal sehr banal – warum nicht, wenn es der Wahrheitsfindung dient." (Tina Teubner)

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