Susanne Weinhöppel
Diese Erziehung!
Man kann eben manchmal etwas nicht.
Notizen

Es ist schlimm, morgens aufzuwachen und der erste Gedanke ist, dass man Jahrzehnte gelebt hat, und man hätte es all diese Zeit viel leichter haben können. Und warum?

Weil uns falsche Verhaltensregeln beigebracht wurden. Ich meine jetzt nicht so Sachen wie: Schiele nicht, sonst bleibt es dir, wenn die Uhr schlägt. So etwas verträgt man, das ist wie mit dem Christkind. Irgendwann weiß jeder, das ist erfunden und Schluss. Ich habe übrigens mein Leben lang Schielen geübt.

Aber, dass man uns ständig eingetrichtert hat, wir sollen uns anstrengen, damit wir etwas erreichen – und zwar richtig anstrengen. Wenn man sich für etwas nicht gequält hat, dann war es nichts wert. Meine Vier in Mathe hat mir als Jugendliche so manche Predigt beim Mittagessen eingebracht, dafür war die Eins im Aufsatz nicht der Rede wert, weil mir das leicht gelang.

Gut, einen gewissen Aufwand muss man manchmal betreiben, selbst, wer sich nur Geld vom Schalter holt, muss ja zumindest aus dem Bett. Und für viele Bemühungen braucht es Geduld, z.B. bis ich ein neues Stück auf der Harfe kann, solche Sachen eben.

Andererseits glückt einem manchmal etwas ganz unangestrengt. Meine Ehe ist gut und dafür habe ich wirklich nichts getan. Oder Kochen: Das ist das einzige, was ich mir nicht hart erarbeiten musste und dennoch kann ich es. Lebensmittel widersetzen sich nicht, eine Tomate lässt wirklich alles mit sich machen.

Aber das Schlimmste ist der Satz: Du kannst alles erreichen, wenn du dich nur genug dafür anstrengst! Damit hat man schon vielen Generationen das Leben versaut. Sagen Sie das doch mal jemandem mit Einschlafproblemen: Augen zu und dann streng dich an, komm, gib a bissl Gas, zeig, was in Dir steckt!

Der Satz ist falsch. Es kann nicht jeder alles. Übrigens habe ich so manches Stück auf der Harfe nie richtig hingekriegt. Manchmal habe ich dann ein bisschen geweint und etwas anderes geübt. Man kann eben manchmal etwas nicht. Genau genommen kann man das allermeiste nicht. Selbst Schielen habe ich trotz meiner Bemühungen nie richtig gelernt.

Manche mögen ihr Leben nicht und können es trotzdem nicht ändern. Manche sind behindert, auch geistig, das kommt am häufigsten vor. Manche mühen sich mit etwas ab, das sie nicht können und auch nie so können werden, dass es von Belang ist. 

Vier meiner Schulkameradinnen fühlten sich zum Schauspielerberuf hingezogen. Eine hat es geschafft, die andern drei sind von den staatlichen Schulen nicht genommen worden und gingen dann auf die privaten. Sie haben sich angestrengt, gearbeitet, geübt, aber es wurde nie wirklich gut, deshalb kam es auch nie zu einem Engagement. 

In dieser Zeit hätten sie etwas lernen können, das ihnen mehr lag, was sie später auch getan haben. Aber es hat sie fünf Jahre Lebenszeit gekostet, bis ihnen das klar wurde. Keiner ihrer Lehrer sagte so etwas wie: Mädel, wenn du dich weiter so bemühst, wirst du vielleicht unteres Mittelmaß. Eine von ihnen wurde eine gute Deutsch-Lehrerin, aber es hat ihr nichts bedeutet, weil sie das Studium so locker geschafft hatte.

Ich habe eine Freundin, die ist Verkäuferin, nicht sehr gebildet, aber sie hat einen Charme, der einen dahinschmelzen lässt. Manche Menschen können durch ihr bloßes Dasein gute Stimmung verbreiten. Man hat so etwas gern, aber als Leistung wir es nicht angesehen.

Immerhin gibt es neben der Hochleistungsschiene noch die Leistung durch Gutsein, nicht das normale Gutsein, wie z.B. wenn Frauen ihre Eltern, Schwiegereltern, Ehemänner und sonstige Angehörige pflegen. Das ist nett, aber es gibt nicht einmal eine Rente dafür. 

Ich meine das Gutsein in ganz großem Stil, das die Welt es mitkriegt, große Spenden wie die Gates Foundation oder Mutter Theresa. Privat soll sie übrigens ein ausgesprochener Giftzahn gewesen sein.

Sophie Scholl hat nicht ihr Leben lang aufs Heldentum hingearbeitet, sondern zur rechten Zeit Mutiges getan, weil sie es wollte. Und sie wollte es, weil sie eine besonders große und mutige Person war. Dafür gibt es keine Lehrgänge. Die meisten Menschen sind aber nicht so edel. Die Mühsal des Lebens verschlingt einfach ihre ganze Kraft. Manches läuft gut, aber daneben gibt es Versagen und Scheitern und meistens ohne Happy End.

Und dann kommt Hollywood mit Filmen, in denen jeder Außenseiter integriert werden kann, jeder Hochbegabte im Slum entdeckt und gefördert wird: Good Will Hunting z.B. Da kommt der mathematisch geniale Soziopath von ganz unten groß raus. Die nicht hochbegabten Slumbewohner sieht man nicht. In As Good As It Gets wird ein Arschloch zum Edelmenschen geläutert.

Wenn Ihnen ein solcher Fall je begegnet sein sollte, melden Sie sich bitte bei mir.

Diese Art von Wiedereingliederungsmaßnahmen kriegen wir ständig vorgesetzt. Das ist Opium für das Volk und sehr gefährlich, viel gefährlicher als Terrorismus. Durch Krieg und Terror sterben viele Tausende, aber dieser Leistungsdruck betrifft Milliarden, die damit leben müssen, und viele bringen sich deswegen um. Hollywood-Filme sollten verboten werden, zumindest die, in denen jemand irgendetwas schafft.

Eine Biografie gibt es allerdings, die mich tröstet, nämlich die von Gregor Mendel. Er kam aus einem armen, bäuerlichen Hintergrund, durfte aber zur Schule gehen. Sein Studium war unterbrochen von Krankheiten, die durch Mangelernährung verursacht waren. Mit 21 Jahren brach er es ab, aus bitteren Nahrungssorgen, wie er in seiner kurzen Autobiografie vermerkte, und trat ins Kloster der Augustiner-Eremiten in Brünn ein. Sein Abt förderte ihn und ließ ihn sogar in Wien weiterstudieren. 

An der Universität gab es fachliche Meinungsverschiedenheiten und Mendel fiel durch die Prüfung. Seine erste Veröffentlichung 1866 über die Grundlagen der Vererbungslehre fand keinerlei Beachtung, was er mit den Worten Meine Zeit wird noch kommen. abtat.

Er muss ein besonders liebenswürdiger Mensch gewesen sein, denn nach dem Tod seines Abtes wurde er zum Abt gewählt, ohne die dafür nötigen Würden zu haben. Bescheiden und fast nebenbei hat er die Grundlagen für die Genetik geschaffen, aber zu Lebzeiten blieben seine Veröffentlichungen unbeachtet. Erst Jahre nach seinem Tod wurde seine Leistung verstanden und erkannt.

Mendel war bedeutend für die Wissenschaft und damit für die Menschheit, obwohl er zweimal durch die Lehramtsprüfung gefallen ist und nicht einmal eine Frau hatte. Diese Biografie hat Hollywood nicht verfilmt.

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Susanne Weinköppel

Susanne Weinhöppel, Münchnerin, studierte Konzertharfenistin, spielt Klassik, Neue Musik, macht eigene Bühnenprogramme mit Texten und Chansons zur Harfe und schreibt Glossen und Geschichten. Ihre derzeitigen Soloprogramme sind: Die Liebe gibt es. Die Liebe gibt es. Ein Abend... Diese unermessliche Sehnsucht. Jüdische Lieder. Susanne Weinhöppel wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwabinger Kunstpreis für “künstlerische Unangepasstheit und kreativen Freigeist“. Es entstanden 5 CDs bei kip-records. "Susanne Weinhöppel, Kabarettistin, Harfenistin, Melancholikerin und Kratzbürste, ist zweifellos ein Glücksfall für die Welt der großen kleinen Kunst. Eine Rampensau mit profunder musikalischer Ausbildung, weiß sie um die Abgründe des Lebens – und weil sie so oft in ihnen wandelt, hat sie die Waffen dagegen immer dabei, den Humor und die Liebe. Beides verteilt sie großzügig. Wenn sie singt, greift sie zur Harfe, fest entschlossen, zu bewegen und zu berühren. Ihre Geschichten sind bedingungslos ehrlich, abgrundtief komisch und wenn’s sein muss auch mal sehr banal – warum nicht, wenn es der Wahrheitsfindung dient." (Tina Teubner)

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