Susanne Weinhöppel
Vorurteile
Essay

Neulich saß ich im Café und belauschte wieder einmal das Gespräch am Nebentisch. Eine Immobilienmaklerin erklärte einer anderen Frau, wie schwierig und aufwendig es sei, bis es zu einem Vertragsabschluss käme. Und plötzlich sprach sie etwas leiser in verschwörerischem Ton: Mit Juden hat man natürlich immer besondere Probleme.

Der Lauscher an der Wand hört seine eigne Schand. Leider hat sie diese Probleme dann nicht erklärt und ich konnte schlecht fragen, wobei mich das Wort natürlich in ihrem Satz besonders interessiert hätte.

Dazu fällt mir ein, wie ich vor zwei Jahren im Wartezimmer beim HNO-Arzt saß, und ein Gespräch aufkam über die Probleme mit den ewigen Baustellen in München. Nie wird was fertig, nur beim jüdischen Gemeindezentrum, mitten in der Stadt, da ging es ganz schnell. sagte einer. Darauf eine Dame: Das hat alles die Stadt bezahlt. Ich habe wirklich nichts gegen Juden, aber das ist einfach zu viel, das sind ja unsere Steuergelder.

Nachdem die alte Synagoge von den Nazis zerstört worden ist, denke ich, sage ich aber nicht. Die Leute wissen nicht, dass eine Jüdin mit von der Partie ist, sonst würden sie nicht so reden. Ich bin undercover unterwegs.

Solche Situationen erlebe ich nicht oft, aber doch immer wieder, und es geht dabei im Wesentlichen um drei Hauptvorurteile.


Juden haben Geld.

Dieses Vorurteil lässt sich nicht entkräften; wenn ich sage: Ich habe keines und zeige als Beweis meine Kontoauszüge, dann könnte man darauf erwidern: Und was ist mit den Konten in der Schweiz?

Es wird auch unterstellt, dass Juden ihr Geld mit nicht ganz sauberen Methoden erwerben. Sowas kommt bei Juden bestimmt genauso oft vor wie bei allen anderen Gruppen, es ist aber genauso wenig die Regel, sonst würden Juden ja nie mit anderen Juden Geschäfte machen. 

Unter den zehn reichsten Menschen der Welt sind derzeit zwei Juden. Das ist ein hoher Anteil, 20 Prozent. Aber sie durften eben seit dem Mittelalter nur im Handel und im Finanzwesen arbeiten, und da wäre es doch lachhaft, wenn nach dieser langen Zeit der Spezialisierung nicht einige von ihnen die Kunst der Vermögensanhäufung beherrschen würden.

Lesen und Schreiben konnten die meisten Juden wegen ihrer religiösen Erziehung, was in diesen Berufen ein Vorteil war. Im nicht-jüdischen Umfeld dagegen war bis weit ins 19.Jahrhundert hinein die Analphabeten-Rate ziemlich hoch. Und sie hatten transnationale Netzwerke, die einfach dadurch entstanden sind, dass sie aus Ländern ausgewiesen wurden und sich dann verstreut woanders eine neue Bleibe suchen mussten. Wenn z.B. ein Teil der Familie nach Frankreich ging und ein anderer nach Italien wurden die Beziehungen untereinander aufrechterhalten. Dadurch entstanden zuverlässige Verbindungen, die z.B. im Diamanten-Handel, der ein hohes Maß an Vertrauen erforderte, besonders wichtig waren.

Grundbesitz war Juden verboten, deshalb waren die kleinen wertvollen Steine so attraktiv. Es gab in Osteuropa kaum eine Generation von Juden, die kein Pogrom erlebt hätte. Und wenn einem jederzeit die Hütte unterm Hintern abgefackelt werden kann, ist es nützlich, ein paar Diamanten im Rocksaum zu haben. Es gab immer und zu allen Zeiten auch unter Juden viel Armut. Über das Elend der Juden in Galizien schrieben Berta von Pappenheim und Sara Rabinowitsch um die vorletzte Jahrhundertwende. Für die Presse ist die Armut von Juden kein Thema, auch nicht, dass in Deutschland die jüdischen Kontingentflüchtlinge aus Russland zu über 90 Prozent von der Altersarmut bedroht sind.

Juden haben manchmal Geld, doch nicht überall, wo Geld ist, sind auch Juden. Während der Corona-Zeit erzählte mir ein junger Mann an der U-Bahn-Station, die Juden würden uns zur Impfung zwingen, um sogar aus den Allerärmsten Geld heraus zu pressen, und dabei würden wir einen Chip zur Überwachung eingepflanzt bekommen. Bill Gates sei dafür der Hauptverantwortliche. Ob Bill das freuen würde, zum Juden gemacht zu werden?


Juden haben Macht.

Als dieses Vorurteil zum letzten Mal auf mich knallte, sagte mir ein Bekannter ganz unvermittelt, die Juden seien als Thema überverhältnismäßig viel in der Presse vertreten. Darauf ich: Ich weiß auch nicht, warum sie immer so interessant sind. – Sie drängen sich da halt rein – Meinst du, dass Frau Knobloch die Redaktionen stürmt? – In den Redaktionen sind doch auch Juden. –  In der SZ? – Ach, lassen wir das. waren seine letzten Worte zur Sache, nachdem ihm die Argumente ausgegangen waren, er mir aber den Eindruck vermitteln wollte, ich wäre seinen guten Argumenten nicht zugänglich.

Und dann kam dieses beredte Schweigen, das ich gut kenne, genauso wie die Gedanken, die dahinter stehen: Überall auf der Welt fördern sich die Juden gegenseitig und schustern sich die guten Positionen zu.

Vielleicht kommt das manchmal vor, Menschen sind bestechlich. Manche versuchen unlauteren Einfluss auf die Vergabe von Posten und einträglichen Aufträgen zu nehmen. Genau das ist bei dem Bauauftrag fürs Münchner Fußballstadion passiert. Da waren die Schuldigen keine Juden.

Aber wenn es denn wirklich so ist, dass die Juden sich überall gegenseitig protegieren, dann sind die anderen rein statistisch im Vorteil, weil sie viel mehr Menschen sind und das in fast jeder Gruppierung, ob Katholiken, Italiener, Sportler oder Hotelbranche. Sie könnten sich doch auch gegenseitig helfen und unterstützen. Dagegen würden die Juden dann abstinken.

Dieses Vorurteil ist eine reine Verschwörungstheorie, wie sie in den Protokollen der Weisen von Zion beschrieben wird, die bekanntlich ein nachgewiesener Schwindel sind. Danach sind die Juden die eigentlichen Drahtzieher allen Unglücks und auf die Weltherrschaft aus, wenn sie sie nicht schon haben.

Derzeit sind aber andere auf die Weltherrschaft aus, wenn sie sie nicht schon haben, und das sind ganz eindeutig keine Juden. Wenn wir auf die Weltherrschaft aus wären und uns die wichtigsten Positionen mit der uns unterstellten jüdischen Schläue ergaunert hätten, ja dann hätten wir sie doch! Aber so wie es aussieht, überfordert uns schon das winzige Israel.


Die Juden behaupten von sich, das auserwählte Volk zu sein.

Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass noch nie ein Jude einem Nicht-Juden gesagt hat, er gehöre zum auserwählten Volk. Aber in der Bibel steht tatsächlich, dass Gott das Volk Israel erwählt hat. Es ist also eine religiöse Angelegenheit.

Wer die Bibel kennt, weiß, dass dieser sehr bedürftige Gott ein Volk für sich gesucht hat. Allerdings gab es von dem Volk erst zwei Menschen, Sarah und Abraham, die sollten es dann hervorbringen. Es war eine Art Startup. Aber damit war der Monotheismus in der Welt und den könnte man uns wirklich vorwerfen. Wir haben ihn erfunden. Gott hat mit Abraham einen Bund geschlossen. Aber gebildete Christen wissen, dass es seit Jesus den neuen Bund gibt. Also kein Grund für Neid, das Neue ist ja oft besser als das Alte.

Die Juden blieben beim Alten und das Neue wurde zur Weltreligion, der einst viele Völker geschlossen anhingen.

Der Begriff Volk ist heute sehr umstritten, doch die Juden benutzen ihn in ihrer Selbstbeschreibung. Denn das Besondere am Judentum ist die Verbindung von Religion und Volk. Wenn jemand zum Judentum übertritt, gehört er damit zum Volk der Juden, ob in China, Österreich oder Australien. Vielleicht erregt es Ärger, dass man zu einer Nation und gleichzeitig zum jüdischen Volk gehören kann. Doch für die Juden, nicht ganz freiwillig über die Welt verstreut, war es vielleicht notwendig, sich als ein Volk zu fühlen, möglicherweise kompensierte das die fehlende Heimat.

Aber zurück zum Vorwurf, wir hielten uns für das auserwählte Volk: Religiöse Juden denken das, glauben aber auch, dass alle anderen den gleichen Anteil an der künftigen Welt haben, sie müssen nur nicht 613 Ge- und Verbote befolgen. Das mag hochmütig wirken und kommt teuer zu stehen.

Es gibt auch einige nicht-religiöse Juden, die sich für auserwählt halten, aber das spielt sich auf demselben intellektuellen Niveau ab wie der Spruch: It’s nice to be a Preiss, but it’s higher to be a Bayer. Und das glauben auch einige. Es gibt einen Witz, in dem ein frommer Jude betet: O Herr, ich danke dir, dass du mein Volk erwählt hast, aber würdest du bitte beim nächsten Mal ein anderes Volk auserwählen?

Und jetzt hätte ich noch eine Bitte an Sie: Sollten Sie jemals mit mir über ein Vorurteil gegen Juden sprechen wollen, dann nehmen Sie keines von den drei obigen, es gibt so viele andere. Vorschläge hätte ich schon: Ich war eine schlechte und faule Schülerin. Wenn sie also davon überzeugt wären, Juden seien besonders gescheit, dann würden Sie mir damit eine große Freude machen.

Aber wenn Ihnen das zu blöd ist, gibt es immer noch den guten alten Ritualmord.

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Susanne Weinhöppel

Susanne Weinhöppel, Münchnerin, studierte Konzertharfenistin, spielt Klassik, Neue Musik, macht eigene Bühnenprogramme mit Texten und Chansons zur Harfe und schreibt Glossen und Geschichten. Ihre derzeitigen Soloprogramme sind: Die Liebe gibt es. Die Liebe gibt es. Ein Abend... Passt nicht ins Programm - Jüdische Lieder Susanne Weinhöppel wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwabinger Kunstpreis für “künstlerische Unangepasstheit und kreativen Freigeist“. Es entstanden 5 CDs bei kip-records. "Susanne Weinhöppel, Kabarettistin, Harfenistin, Melancholikerin und Kratzbürste, ist zweifellos ein Glücksfall für die Welt der großen kleinen Kunst. Eine Rampensau mit profunder musikalischer Ausbildung, weiß sie um die Abgründe des Lebens – und weil sie so oft in ihnen wandelt, hat sie die Waffen dagegen immer dabei, den Humor und die Liebe. Beides verteilt sie großzügig. Wenn sie singt, greift sie zur Harfe, fest entschlossen, zu bewegen und zu berühren. Ihre Geschichten sind bedingungslos ehrlich, abgrundtief komisch und wenn’s sein muss auch mal sehr banal – warum nicht, wenn es der Wahrheitsfindung dient." (Tina Teubner)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Reinhard Kocznar

    Sagenhaft. Ein Verdienst von Alois ist zweifellos, dass er keine Schlagseite in den Beiträgen hat, praktisch alles kann hier zur Sprache kommen.
    So auch dieser Beitrag. Ich kann mich nicht erinnern, jemals über ‚Probleme mit Juden‘ angesprochen worden zu sein oder sie ‚belauscht‘ zu haben.

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