Susanne Weinhöppel
Der Urlaub, eine Herausforderung. Notizen
Zwischen Mai und September fahren die Menschen gerne weg. Unser Planet hat vieles an unterschiedlichen Ländern und Landschaften zu bieten. Nach so etwas können sich Menschen sehnen.
Ich habe mich nie danach gesehnt. Zu Landschaft habe ich kein Verhältnis, außer auf Bildern von Caspar David Friedrich oder William Turner. Bei meiner Reisephobie wäre ich ohne meinen Mann nicht einmal bis Kufstein gekommen. Mir waren Bücher, meine Stadt, meine Arbeit und die Menschen, die ich traf, immer mehr als genug.
Harry, ein fleißiger Mensch, braucht Urlaub, und der beginnt für ihn erst, wenn nicht mehr Deutsch gesprochen wird. Aber sobald die Urlaubs-Entspannung über ihn kommt, ist er reizend und charmant. Allein deswegen mache ich diese Strapazen schon all die Jahre mit. Ich nämlich kann gerade mal ein bisschen Englisch. Nach England sind wir noch nie gefahren, dafür nach Frankreich, Spanien, Portugal, Polen, Russland und in andere Länder, in denen alles, nur nicht Englisch gesprochen wird.
In diesen zwei bis drei Wochen Urlaub im Jahr bin ich völlig verunsichert, weil ich nicht verstehe, was um mich herum gesprochen wird, und schlimmer noch, weil ich nicht sagen kann, was ich brauche. Ich verliere den Boden unter den Füßen, wenn Harry alles für mich regelt. Er tut das gerne, er blüht geradezu auf, wenn er Kellnern meine Wünsche auf Ausländisch erklären kann.
Ich mag das nicht. Besonders in Restaurants mag ich es nicht, ich hatte nämlich eine peinliche Mutter. Lokale, in denen meine Schwestern und ich mit ihr zum Essen waren, haben wir ohne sie niemals wieder aufgesucht. Wegen dieser mütterlichen Zusammenkünfte beschwere ich mich auch nie, nicht einmal, wenn eine Mahlzeit ungenießbar ist. Lieber zwinge ich mir höflichkeitshalber ein paar Bissen hinein und lasse den Rest stehen.
Harry beschwert sich gern und das in jeder Sprache. Ich brauche beim Nippen an einer Tasse heißer Schokolade nur ein bisschen das Gesicht verziehen, schon ruft er den Ober, dabei war in Italien die Trink-Schokolade einfach überraschend dickflüssig.
Die Nahrung ist im Ausland nämlich genauso anders wie die Landschaft. Die Gerichte auf einer Karte in Frankreich kann man nicht übersetzen, auch wenn man die einzelnen Zutaten kennt. Harry lässt sich deshalb vom Kellner alles genau erklären und übersetzt es mir dann ausführlich. Ich werde dabei immer unruhig wegen des wartenden Kellners und will meist schon nach der Hälfte abbrechen, aber Harry ist da nicht zu bremsen. Ich versuche derweil, mich abzulenken und stelle mir die sanfteste Todesart vor, die mir einfällt.
In Frankreich wird viel Fleisch gegessen, für mich als Vegetarierin bleibt da meist nur Ratatouille in verschiedenen Variationen. Oft gibt es aber zu den Fleischspeisen eine wunderbare Gemüsebeilage, leider nur drei Bissen. Auch Kartoffelstampf können die Franzosen ausgezeichnet kochen. Und genau diese Gemüsebeilagen hätte ich gern.
Ich mache nur nicht gerne Umstände, deshalb möchte ich das Ratatouille nehmen.
Harry weiß, dass es mir nicht schmeckt, und während ich meine Bestellung aufgebe, übertönt er mich mit seiner, und ordert die Beilagen als Hauptgericht. Wegen seiner Übergriffigkeit würde ich ihm gerne mit dem nackten Hintern ins Gesicht springen, aber der Kellner steht dazwischen.
Meistens ist diese Art der Bestellung sowieso nicht möglich, weil die Beilagen-Bissen zum Fleisch abgezählt sind, ich kenne das schon.
Da Harry mir jeden Wunsch erfüllen möchte, beginnt er zu verhandeln. Der Kellner, schon von einem Fuß auf den anderen tretend, erklärt ihm immer wieder, warum das nicht geht und gibt die Schuld dem Küchenchef. Ich bemerke seine Unruhe, seinen umherschweifenden Blick, er müsste längst an anderen Tischen sein, und ich versinke vor Scham im Boden. Kurz bevor Harry den Koch sprechen möchte, sehe ich irgendein Gericht auf der Karte, das ich schon längst wieder vergessen habe, und sage laut und fröhlich: Das hätte ich gern, sowas habe ich ja noch nie gegessen.
In Montpellier brachte man mir dann eine mit Innereien gefüllte Wurst, die eigentlich gar nicht schlecht geschmeckt hat, wenn es mich nur nicht so entsetzlich geekelt hätte. Ich hatte das Gericht wegen des schönen Namens Andouillette bestellt.
Ich schlendere gern durch schöne Orte und lasse mich dann in Cafés nieder, wie zuhause. Gelegentliches Shopping finde ich im Ausland angenehm, denn das ist das einzige, was ich alleine könnte und zuhause nie schaffe. Aber Harry möchte mich immerzu reich beschenken. Allerdings neigt er zur Übertreibung, denn ich muss nicht alles haben, was ich schön finde. Mittlerweile traue ich mich gar nicht mehr, unbedacht irgendetwas in einem Schaufenster zu loben, denn schon habe ich es. Er drängt mich dann in den Laden, und ich muss alles anprobieren. Die meisten Kleider, die mir gefallen, stehen mir nicht.
Also möchte er, dass ich noch mehr anprobiere, kommuniziert mit der Verkäuferin in der Landessprache, und dann hetzen sie mich zu zweit von Kleid zu Hose und Rock und wieder zurück.
Zuhause hätte ich längst gesagt: Schluss mit dem Quatsch, das steht mir nicht, den Rest brauche ich nicht, lass uns gehen! Aber weil Urlaub ist, fühle ich mich außerstande, die gute Stimmung zu stören, seine gute Stimmung.
Ich nämlich weiß schon, dass ich, wie jedes Jahr nach dem Urlaub, meinen überquellenden Kleiderschrank werde ausmisten müssen.
Sollte es da, wo es Harry mit mir hinverschlägt, ein Meer geben, spaziere ich gerne barfuß im Sand. Ich kann aber sehr gut ohne Meer und noch besser ohne Berge auskommen. Für die Berge hat Harry zwei Freunde, die entlasten mich sehr. Dafür müsste ich sie eigentlich jedes Jahr reich beschenken.
Alles, was sich zu sehr von meiner gewohnten Umgebung unterscheidet, ist mir unheimlich, und gesprochene Fremdsprachen ziehen mir den Boden weg. Ich möchte nicht einmal nach England fahren. Denn selbst wenn ich mit der Sprache einigermaßen klar käme, verstünde ich sie nicht wirklich, nicht mit all den Nuancen und Untertönen.
Gerade dieses scheinbare Verstehen verleitet oft zu den größten Irrtümern. Meine lesbische Freundin Hella hat sich in Ägypten auf Englisch, ohne es zu bemerken, verlobt. Als sie wieder zuhause war, kam nach drei Wochen ein Ring. Sie hat nie die Absicht gehabt, diesen Mann, mit dem sie in Ägypten einige Male spazieren ging, zu heiraten und schickte den Ring zurück. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, wieder dorthin zu fahren.
Gibt es denn für all die anderen um mich herum den Respekt vor der Fremde nicht mehr? Ist denn die ganze Welt zum eigenen Wohnzimmer geworden?
Urlaub ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, wenn auch die Menschen davor genauso erholungsbedürftig waren wie wir. Und wer es sich leisten konnte, fuhr in die Sommerfrische und zwar immer in die gleiche, an die Ostsee, an die Nordsee, in die Berge oder sonstwo hin. Es war wie ein zweites Zuhause und gleichzeitig eine Abwechslung zur sonstigen Routine im Jahr. Die, die ins richtige Ausland gefahren sind, nach Ägypten, wo man heute zum Schnorcheln hinfährt, nach China, oder Russland, das waren die Abenteurer.
Ich bin keine Abenteurerin und jetzt will Harry nächsten Herbst mit mir nach Japan reisen! Er will dort einen Berufskollegen treffen: der ist die Personifizierung der japanischen Höflichkeit. Durch ihn weiß ich, dass man sich in Japan nicht beschwert. Da darf sich Harry warm anziehen!
Es ist auch bekannt, dass Japaner sich sehr leicht schämen. Sollte z.B. eine Frau, nach dem Toilettengang, aus Versehen den Rock hinten in die Strumpfhose eingeklemmt haben, das Hinterteil also frei liegt, dann bestünde bei ihr Suizid-Gefahr aus Scham. Hinzukommt, dass man sie auf das kleine Missgeschick nicht aufmerksam machen würde. Es wäre nicht höflich, ihr zu sagen, dass sie schon seit 3 Stunden der Belegschaft ihren Hintern zeigt. So hat es mir eine Freundin, die 25 Jahre in Tokyo gelebt hat, erzählt.
Im Wohnbereich trägt man keine Straßen- sondern nur Hausschuhe und vor der Toilette gibt es Kloschuhe, die man nach dem Geschäft nicht vergessen sollte, wieder auszuziehen.
Sein Kollege wird uns zu sich einladen und in all dem Kuddelmuddel von Fremde und japanisch-gefärbtem Englisch, das ich kaum verstehe, werde ich nach einem unvermeidlichen Toilettengang mit Kloschuhen am Tisch sitzen. Und genau vor dieser Peinlichkeit habe ich eine Heidenangst. Kann sein, dass ich im Herbst, knapp vor Reiseantritt sehr krank werde. Harry soll aber auf jeden Fall fahren. Zwei Freundinnen werden sich um mich kümmern, so sage ich ihm. Dann kann er mir meinetwegen 20 Kimonos mitbringen, ich muss sie ja nicht anprobieren.
Und von dem Augenblick an, in dem sich die Haustür hinter ihm geschlossen hat, beginnt meine Sommerfrische, mein erster Urlaub seit 35 Jahren.
Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.
Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen
