Susanne Weinhöppel
Alles wird gut.
Über mein angestrengtes Leben
Notizen
Manche Probleme kann man getrost in die Ecke stellen, weil sie sich irgendwann von selbst lösen, das wusste ich schon als Kind. Ich war zum Beispiel besonders heikel. Vor Honig hat es mich geekelt, und wenn irgendwo Käse herumstand, hat es mich gewürgt.
Da ich aber gesehen habe, dass Erwachsene so ziemlich jeden Dreck fressen, zum Teil noch mit großem Genuss, war mir klar, irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens wird der Geschmackssinn völlig taub, gleichsam als Teil des Reifungsprozesses, und dann kann auch ich alles hinunterkriegen. Ich muß nur lange genug durchhalten. Das hat sich allerdings als Teilwahrheit herausgestellt; ich mag immer noch weder Honig noch Käse, kann mich aber mittlerweile im selben Raum mit ihnen aufhalten.
Ich war mir auch ganz sicher, dass ich irgendwann keine Angst mehr vor dem Zahnarzt haben würde, da die Erwachsenen doch alle hingehen. Also habe ich mich erfolgreich gedrückt. Irgendwann allerdings kam der große Schmerz, aber auch die lindernde Betäubungsspritze. Nach Jahren der schlimmsten Behandlungen, hat mich die Angst tatsächlich weitgehend verlassen.
Aber dann gibt es eine nicht enden wollende Reihe von Problemen, die sich nicht von selber lösen, auch das habe ich schon als Kind erkannt. Ich spürte früh, dass ich fürs Leben nicht richtig ausgerüstet bin und noch viel an mir arbeiten muss. Meine Schwestern konnten lange Gedichte auswendig, so etwas wie Belsazar oder Die Kraniche des Ibikus, dafür gab es Belohnungen.
Ich konnte im Alter von 4 Jahren nur:
Jedes Tierchen hat sein Essen, jedes Blümchen trinkt von dir
Sollst auch meiner nicht vergessen, lieber Gott ich danke dir.
Das war ein großer Lacherfolg, aber es gab keine Belohnung. Dann habe ich mich zum ersten Mal bewusst und gründlich im Spiegel angesehen, und mir wurde klar: So darf das nicht bleiben, meine Schwestern waren nämlich sehr hübsch. Damals habe ich den festen Vorsatz gefasst, schön zu werden. Und ich habe keine Sekunde daran geglaubt, dass sich das von selbst erledigt. Es hat 17 Jahre mentaler Arbeit, Diät und Mode bedurft, und Gedichte habe ich nebenher auch noch auswendig gelernt.
Leider stellte sich schon in der Pubertät heraus, dass Schönheit allein nicht ausreicht. Man muss auch noch sehr gescheit sein und irgendetwas können.
In der Schule war ich schlecht, habe aber viele Bücher gelesen, nicht die für die Schule natürlich, das aber mit großem Vergnügen. Für den späteren Beruf habe ich Klavier und Harfe geübt, das war eher zäh, aber ich habe durchgehalten.
Trotz meines Eifers, war das alles nicht ausreichend und eigentlich war ich auch nie schön genug.
Irgendwann hat mir jemand gesagt, dass das Nicht-Ausreichen ein Problem sei, ich glaube es war ein Therapeut. Von da an habe ich zweigleisig gearbeitet: einerseits an meinen Kompetenzen und andererseits an meinen Neurosen. Ich begann ein Philosophiestudium und nahm Gesangstunden.
Für die Psyche fing ich mit einer Gestalttherapie an, bei der sich herausstellte, dass ich nie richtig in mir drin bin. Während dieser Therapie ging es mir immer schlechter, obwohl alle sagten, ich sei auf dem richtigen Weg. Man müsse durch die Scheiße durch, hieß es. Ich war aber immer nur drin, deshalb habe ich mich dann für eine Gesprächstherapie entschieden. Da war ich endlich nicht mehr in der Scheiße, sondern nur noch in meiner Wohnung. Ich war fest davon überzeugt, dass, wenn ich endlich genug kann und die Neurosen in den Griff kriege, mein Leben besser wird.
Aber obwohl die Neurosen blieben, bin ich irgendwann wieder ausgegangen, habe Männer kennengelernt, mehrere unglückliche Liebesaffairen gehabt, wobei die Männer alle mit mir darin übereinstimmten, dass ich nicht ausreiche und noch viel an mir arbeiten muß.
Ich habe dann immer mehr Harfe geübt, das war ihnen aber auch nicht recht. Einer wollte ständig spazieren gehen, wo ich in der Natur doch so furchtbare Beklemmungen kriege. Das halte ich nur aus, wenn ich die ganze Zeit dagegen anrede. Er aber wollte die Stille geniessen und zwar gemeinsam mit mir.
Irgendwann bin ich dazu übergegangen, an meinen Männern zu arbeiten und das war dann der Durchbruch. An den Männern fand ich noch mehr auszusetzen als an mir, und man wird dabei auch nie fertig. Das erklärt vielleicht den Heiratswunsch vieler Frauen: Endlich ein Lebensprojekt, das auch Herzensprojekt ist.
Aber bei mir war das alles nur nebenher, hauptberuflich habe ich immer noch viel geübt, Yoga gemacht und mich weiter verbessert, vielleicht nicht mehr ganz so verbissen. Ich hatte nebenher schließlich noch ein Kind zu erziehen und zu ernähren, einen Mann zu beglücken und uns als Familie am Funktionieren zu halten. Das bedeutete neben Sommerurlauben, die mit kleinen Kindern die Hölle sein können, Kindergartenunterstützung, Kuchenbacken, Geburtstagsfeiern. Ich wollte auf keinen Fall, dass mein Sohn sich als nicht ausreichend empfindet.
Dann gab es Schulstress und Elternabende, die grauenvoll waren: Der Mathelehrer schrie mich an: Kaminski! Henry!
Kein Grüß Gott. Der Bub hat ja überhaupt keine Disziplin! Wenn der in die Pubertät kommt, da werden Sie schauen!
Ich hatte den Eindruck, er spricht über einen heranwachsenden Straftäter, nicht über einen 11-jährigen. Und in diesem Stil ging es dahin, während ich mich weiterhin verbessern wollte z.B. im Hinblick auf solche Lehrer.
Ich suchte im Internet nach dem Kurs Wie gebe ich mich demütig. Ich fand ihn nicht und kam zu dem Ergebnis, dass Demut nicht gespielt werden kann, man muss sie fühlen. Später, als ich hinfällige Verwandte zu pflegen hatte, habe ich sie gefühlt, aber da war mein Sohn schon an der Uni.
Eines Tages hörte ich im Café einer Frau am Nebentisch zu, wie sie ihrer Freundin erklärte, wie gut ihr das Pilates-Workout tue, von dem sie gerade gekommen sei. Nicht, dass es Spaß mache, aber ihr Geist sei dann viel aktiver.
Sie war perfekt gestylt und kein bisschen verschwitzt. Da ich nach körperlicher Ertüchtigung immer 2 Stunden nachschwitze, hätte mich interessiert, ob man das Trockenbleiben auch lernen kann.
Ihre Freundin hatte in einer Sprachenschule gerade ihr Business-Englisch verbessert und wohl im Internet Schminken gelernt. Ich habe so etwas auf youtube gesehen und für einen Spaß gehalten. Da sieht man eine Frau, die aussieht wie ein Schluck Wasser, dann greift sie in das vor ihr ausgebreitete Instrumentarium, Stifte, Pinsel, Puder, Farbtöpfchen und ist nach 5 Minuten ein strahlendes Model. Ich begann endlich mehr darauf zu schauen, was andere so treiben.
Meine Friseurin geht an ihren freien Montagen zur Meditation, dadurch kann sie schneller arbeiten, da ihr Chef seine FriseurInnen im Akkord arbeiten lässt. Alle meine Freundinnen treiben irgendeinen unangenehmen Sport, nehmen an Kunstführungen oder Technikschulungen teil und bilden sich ständig weiter. Die lernen auch immer etwas dazu, genau wie ich, aber sie halten sich nicht für neurotisch, sondern nennen es Selbstoptimierung. Es gibt mittlerweile sogar Kurse in Wie lerne ich Selbstbewußtsein. Wenn es das früher gegeben hätte, wäre vielleicht mein ganzes Leben anders verlaufen.
Im Fernsehen sah ich einen Abnehm- und Fitnesscoach, der darüber sprach, wie er das Leben von Couch-Potatoes verändert, indem er sie vom Sofa holt und zum Training und Richtig-Essen bringt. Die müssen endlich ihre Komfortzone verlassen, so sagte er. Das hat mich ein wenig verwirrt, weil ich einen Personal-Trainer immer für einen großen, unbezahlbaren Komfort gehalten habe, während das Sofa eher ein emotionaler Rückzugsort ist, der sehr ärmlich sein kann.
Und jetzt bin ich in einem Alter, wo alles nachlässt. Gegen Demenz lerne ich Sanskrit, manchmal lese ich medizinische Fachzeitschriften, nur um mir die Ausdrücke zu merken. Ich sehe und höre schlechter, und da kann man mit Üben und sich Anstrengen gar nichts erreichen. Aber es gibt Brillen, und die Hörgeräte werden immer besser. Endlich kommt einem die Welt einmal entgegen, der Tod allerdings auch.
Und hier sind wir wieder bei den Problemen, die sich von selber lösen.
Man braucht nichts zu können und nicht schön zu sein, Menschen sterben auch ohne Fremdsprachenkenntnisse und Abitur. Und es gibt, von Schmerzmitteln abgesehen, keine Optimierungsmöglichkeiten. Der workshop Schöner Sterben ist mir noch nicht begegnet. Und glauben Sie mir, ich wäre dabei. Denn dieser Verbesserungswahn hört nicht auf.
Ich bin schon ganz schlapp vor Anstrengung. Nonne würde ich werden, wenn mir jemand sagte, dass dann endlich alles in Ordnung käme.
Es ist wie mit diesen Schlankheitsmitteln, die nicht wirken und trotzdem wie verrückt gekauft werden. Mein Leben lang werde ich jetzt besser und besser und besser, aber nie werde ich richtig gut.
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