Ronald Weinberger
It's a great pity!
Viel zu viele Graffiti!
Notizen

Freimütig gebe ich es zu: Bisweilen packt er mich, der heilige Zorn. Sobald ich etwa – neulich konnte ich das unweit des Innsbrucker Hauptbahnhofs beaugapfeln – Güterzugwaggons betrachte, die zu einem gehörigen Teil bemalt oder besprayt sind. Originell waren diese Kunstwerke nur in Ausnahmefällen. Schmierereien halt. In aller Regel plumpe. Noch dazu mit zunehmender Häufigkeit, wie unlängst zu lesen:

https://www.derstandard.at/story/3000000261703/214bb-verzeichnete-zunahme-von-graffiti-delikten-um-18-prozent
Oder, noch aktueller – und sogar mit Innsbruck-Bezug: https://www.tt.com/artikel/30904515/dom-hofburg-haeuser-und-zuege-besprueht-tiroler-polizei-sprengte-sprayer-gruppe

Kurz: Sachbeschädigungen, konstatiere ich. Ausfindig machen, diese Strizzis, und streng bestrafen! raunt, nein, ruft mir dann meine Emotion zu. Quatsch, diese Kerle bzw. Kerlinnen findest du doch so gut wie nie! grätscht dann sofort meine Ratio dazwischen (um dann aber an den Inhalt des eben angeführten Links zu denken und etwas kleinlaut zu werden).

Frei heraus räume ich ein: Manche Wandbemalungen, falls farbenfroh und einfallsreich, sprechen mich durchaus an, vermögen mich bisweilen gar ein bisschen, zuweilen gehörig zu beeindrucken, zu faszinieren. Ich sehe solche halt eher selten, leider. Sie können freilich auch nur schwarz auf hellem Grund oder farbsparsam sein, um mehrfach ein Chapeau! bei mir zu bewirken. Etwa, falls es sich um solche oder ähnliche Meisterwerke der Wall Art handelt, mit denen insbesondere der geheimnisumwitterte Künstler Banksy die Kunstwelt beglückt.

Aber ich schweife ab und gestehe: Graffiti – so wie ihre zumeist recht kleinen Seelen-Verwandten, die Aufkleber – sind mir dennoch beinahe durchgehend zuwider. Stören meinen Ordnungssinn, meinen Hang zur Gepflegtheit. Zudem und vor allem: Sie stellen beinahe immer etwas Verbotenes dar. Das, hallo, tut man nicht! Obendrein sind sie, falls sie politische Botschaften enthalten – und dies tun sie wahrlich nicht selten – stets stramm antirechter Natur. Just auch dieses Charakteristikum fällt mir seit vielen Jahren auf.

Haben SIE denn jemals Wandbemalungen oder Aufkleber wahrgenommen, auf denen gegen Linke oder Grüne gewettert wird? Zumindest ich nicht. Das Wort Antifa und Co. sah ich indes zahlreiche Male. Nazis raus oder Ähnliches zigmal. Wo findet man denn Sprüche wie Nieder mit den Linkschaoten! oder Vergleichbares? Ich kenne keine solchen Stellen. Besonders spaßig wäre ja der Schriftzug Wandbeschmierer einlochen! Aber mit Witz scheinen oder sind die Damen, Herren und Diversen der linksgrünen Szene ohnehin kaum gesegnet, dünkt mir.

Keineswegs bezaubernd fand ich es, als ich bei einem Spaziergang im Westen Wiens auf zwei (offensichtlich bewohnte) Häuser stieß, die untenherum derart graffitisiert sind, dass ich nicht umhin konnte, ein paar Fotos zu schießen. Eines der so verzierten Gebäude darf ich Ihnen hier vorstellen. Genießen Sie die augenfälligen, hier manifesten Kunstwerke – und übersehen Sie bitte bloß nicht das zuoberst geschriebene Wort zwischen den zwei Fenstern.

Na egal, jetzt ist mir wohler – und ich schließe meine Ihnen nunmehr dämmernde ideologische Färbung noch mit einem Textzugang, der es Ihnen ermöglicht, nachzuvollziehen, weshalb ich mich hier einschlägig echauffiere; man, in diesem Falle ich, ist ja schließlich nicht frei von gewissen Konditionierungen im frühen Erwachsenenleben und den teils damit einhergehenden, sich womöglich dauerhaft manifestierenden, Vorurteilen:

https://schoepfblog.at/ronald-weinberger-gefangene-raus-bullen-rein/

Die eben aufgeschienene Wortfolge Gefangene raus, Bullen rein war – es braucht Sie nicht zu überraschen – ein Graffito, vor einer halben Ewigkeit, sprich, im Gefolge der 1968er Studentenrevolution, gemalt auf die Außenfassade eines städtischen Gefängnisses in … ach, lesen Sie doch mein geharnischtes Elaborat besser selbst.

Womöglich entsinnen Sie sich, dass kürzlich, Ende Februar, in einigen Medien davon berichtet wurde, in Zirl sei der Schießstand der Schützengilde besudelt worden. Die Titelzeile des Artikels dazu vom 23.02.2025 in der Tiroler Tageszeitung dazu war einprägsam genug: Schützengilde erlebte unliebsame Überraschung: In Zirl tobten sich Graffiti-Sprüher aus.

Als Zirler, indes als einer unbeleckt vom Schützenwesen, fühlte ich mich gehalten, wenige Wochen nach dem Bericht über jenes sogenannte Austoben der Sprüher, das Objekt des Interesses in näheren Augenschein zu nehmen – und das gleich mit einer kleinen Wanderung in einem Teil des ob seiner vielgestaltigen Gesteinsformationen und des bei meinem Besuch glucksenden Gebirgsbächleins überaus malerischen Abschnitts der Schlossbachklamm zu verbinden, welcher sich ab dem besprühten Schützenheim bis zu dem ein paar hundert Meter einwärts befindlichen kleinen Wasserfall erstreckt. Beeindruckend und schön!

Ob sich der Ausdruck Schönheit ebenso auf die bis vor nicht allzu langer Zeit mit rein weißen Außenwänden versehenen, nun teils besprayten Mauern bezieht, überlasse ich jetzt Ihrem Geschmack anhand meines nächsten Fotos. (Ich getraue es mich kaum zuzugeben, dass bei mir v. a. der Buntheit des Sprühwerks wegen, kein nennenswerter Ärger einschoss. Ist dies die gelegentlich berichtete Altersmilde eines, wie es für mich zutrifft, reichlich angejahrten alten Knackers?). Den Fotoausschnitt habe ich so gewählt, dass auch ein markanter Teil, nämlich ein Turm, der Burgruine Fragenstein zu sehen ist (Burg Fragenstein wurde vor 322 Jahren, anlässlich des Bay(e)rischen Rummels, in eine Ruine verwandelt).

Auf nach Innsbruck! Die Tiroler Landeshauptstadt braucht sich in Bezug auf Graffiti und Aufkleber, soll heißen deren Fülle, nicht im Mindesten zu verstecken. Da gibt es wahre Leckerbissen. Man könnte sogar Graffiti-Führungen aufziehen! (Ob man dafür eine Bewilligung benötigt? Ich fürchte: ja). Ich hätte da eine Idee für eine Tour, die 3 sehenswerte Schwerpunkte, ich nenne sie Stationen, beinhaltet und zu Fuß innert circa 1 Stunde bewältigbar sein sollte. Ganz in der Nähe der 1. Station gelegen wäre die Stadtbibliothek in der Amraser Straße 2 ein geeigneter Treff-, sprich, Ausgangspunkt. Los denn!

Wir spazieren von dort aus die kurze Strecke stadteinwärts bis hin und hinein in die Eisenbahnunterführung, unserer 1. Station. Unsere Sehorgane quellen über: Beide Wände sind bemalt und auf der in Gehrichtung linken waren offensichtlich Könner am Werk! Nach angemessener Verweildauer schlendern wir weiter, hinaus, sehen rechts vorne das Restaurant Kaiserstube auf der gegenüberliegenden Seite der Museumstraße – und begeben uns schnurstracks dorthin. Weiter geht’s Richtung Landesmuseum. Ist entlang dieser Strecke Graffiti-Wüste? Durchaus, aber wir flanieren dennoch an mehreren Doppelfallrohren für Dachabwässer vorbei, die nicht frei von Aufklebern und Sonstigem sind. Ist doch auch was! Und schon sind wir beim Landesmuseum und an ihm vorbei, um freilich sogleich in der unmittelbar westlich des Museums verlaufenden Professor-Franz-Mair-Gasse zu halten.

Ihr eine Spur entlang – und da erwartet uns linksseits eine etwa 20m lange pure Augenweide. Unsere Station Nr. 2! Wir delektieren uns dortselbst an der Vielfalt an Aufgesprühtem und Aufgemaltem. Delektieren? Selbstredend nicht. Ein Sammelsurium hässlichen Zeugs. Wände-Verschandelung! Und vergessen dabei nicht, dass wir uns in Innsbrucks Mitte befinden, wo Derartiges uns ohnehin, den Touristen aber vermutlich ebenso mancherlei Gedanken über die hiesige Sauberkeit abnötigt. Eine kleine Kostprobe, ein Mini-Ausschnitt, im folgenden Foto. Vergrößern (und lesen) Sie doch bitte das tiefschwarze, aufgestempelt erscheinende (oder seiende) Wort-Duo in der Bildmitte. Überraschung!

Weiter voran nun in dieser Gasse und nach dem Durchgang bei der Jesuitenkirche raus auf die Universitätsstraße; dort nach links abgebogen und an der Hofkirche vorbei, hinein in die Altstadt (Hofgasse), um diese zu durchqueren! Man sei sich freilich gewärtig, dass nun eine längere Durststrecke folgt, denn selbige ist eher frei von Graffiti und Co. Das Tor-Umfeld der Adresse Hofgasse 2 hat dennoch ein bisserl was davon zu bieten. Alsdann wird’s so richtig herzoglich, denn wir promenieren im Laubengang der Herzog-Friedrich Straße geradeaus zur Ottoburg, gelangen zur Herzog-Otto Straße, überqueren sie, halten uns links und bleiben ab nun stets nahe am Inn, gehen sozusagen innaufwärts. Hinter der Markthalle vorbei, wacker am Herzog-Siegmund Ufer entlang, nähern wir uns, in freudiger Erwartung, der Station Nr. 3.

Indes: halt! Einen Gang retour! Am Beginn vom Herzog-Siegmund Ufer, noch bevor wir an der Markthalle vorbeispazieren, steht eine Reihe metallener Masten. Ein Teil wird für Fahnen verwendet, die anderen sind Lichtmasten. Anschauen, Mast für Mast! Denn die sind reich beklebt! Am 5. Lichtmast – gezählt ab der Alten Innbrücke gen Westen – sprang mir u. a. folgender Text auf einem weißen Aufkleberchen ins Auge: the professor of plagiarism. Hallo, da ist nicht von MIR die Rede (falls Sie es wagen würden, derlei zu mutmaßen)!

Während wir uns anschließend zügig Station 3 nähern, kommen wir an mehreren Mistkübeln mit grünem Grundanstrich vorbei, die derart üppig bemalt und beklebt sind, dass man sie keineswegs unbeachtet lassen sollte. Und schon sind wir bei der Unterführung zwischen dem Herzog-Siegmund Ufer und der Franz-Gschnitzer-Promenade – und sollten diese beinahe ehrfurchtsvoll betreten. Bestaunen gesellt sich rasch dazu. Vielerlei gibt es da zu beäugen! Auch – und das meine ich nun vollends ernsthaft – kunstreiche, farben- und fantasiereiche Werke, hier, an/in der 3. Station. Eines, das mir besonders gefiel, sei hier präsentiert:

Nach einem gehörig ausgedehnten Aufenthalt hierorts wandern wir noch ein paar Dutzend Meter weiter und somit dem Tour-Ende entgegen, indem wir die Graffiti am Gebäudesockel des hohen Universitätsgebäudes betrachten, deren augenfälligstes, groß und in roter Farbe gehaltenes, FREE PALESTINE lautet. Wir zerstreuen uns nun, hoffentlich graffitisch gesättigt, in alle Winde oder, behufs Nachbesprechung, ins nächste Lokal. Tutto finito!

PS 1: Um mir und meiner Botschaft, also meiner abschätzigen Meinung zu Graffiti, nicht gänzlich untreu zu werden, will ich nun zu guter Letzt gedanklich zum Beginn meines Beitrags zurückkehren und ein bekanntes Sprichwort leicht verändert, sprich an die gegenwärtigen Verhältnisse angepasst, zitieren: Narrenhände beschmieren Waggons und Wände.

PS 2: Da ich aber (unvorsichtigerweise?) ebenso kundtat, so manche der Wandbemalungen seien schlichtweg hübsch und kunstvoll zugleich, will ich meinen Artikel dennoch versöhnlich beschließen und obiges Sprichwort noch viel stärker modifizieren: Künstlerhände verschönern nackte Wände.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    kein tourist wird sich über die graffiti aufregen, lieber ronald, denn in allen städten – außer vielleicht in china oder mir unbekannten ländern – gehören sie zum alltag. aber eben gut, dass es in innsbruck und anderswo auch wahre kunstwerke darunter gibt!

Schreibe einen Kommentar