Ronald Weinberger
Aus erster Hand
Einführung in die Pissoirologie
Ein Beitrag zum ‚Welthändewaschtag‘ heute,
am 15.Oktober
Satire
Wussten Sie, dass es einen „Welt-Orgasmus-Tag“ gibt? Jährlich am 21. Dezember, so ist es dem Internet zu entnehmen. Das ist freilich nicht das Thema, dem ich mich hier widmen möchte. Nicht bloß aus unzeitgemäßen, also kalendarischen, Gründen.
Einem gewissen Körperteil, der bei Männern hauptverantwortlich für die Existenz des obgenannten Tags gemacht wird, gilt indes sehr wohl die Aufmerksamkeit in diesem Beitrag. Ihm und dem Greiforgan, das ihn, nicht selten ungeschickt bis unsachgemäß, sozusagen bedient. Beim Urinieren.
Wobei bereits offenkundig ist, was hier mit dem Titel gemeint ist. Es geht offensichtlich nicht um männliches Nasenbohren oder Ohrmuschelsäubern und um die womöglich fehlende Bereitschaft, sich alsdann die gebohrt habende Pfote zu säubern, sondern … Ist ja ohnehin klar, was gemeint ist, nicht wahr? Das Händewaschen nach dem Pipi. Darüber gibt es nicht eben wenig zu berichten. Wahrlich aus erster Hand. Was am Ende dieses Beitrags belegt wird.
Ein Herr ist ein Mann, der sich selbst beim Pinkeln in freier Natur unbewusst nach einer Waschgelegenheit umsieht.
Diese Kapitelüberschrift, ein urogenitaltraktaffiner Aphorismus, hat es in sich. Denn da ist von einem Herrn und einem Mann die Rede. Wertend. Aus guten Gründen: Vor genau 35 Jahren hat sich ein in Tirol lebender Mann – oder war’s ein Herr? – aufgemacht, um das Treiben in öffentlichen Pipi-Anstalten zu observieren. Von Männern bzw. Herren. National und international. Weshalb eigentlich? Aber lassen wir ihn doch selbst zu Wort kommen, indem ich ihn zitiere:
Es widerfuhr mir in Wien, im Herbst 1989. Während eines Bummels begann ich einen größeren Platz unterirdisch zu queren. In dessen geräumiger Passage kam ich an einer öffentlichen WC-Anlage vorbei. Kurz hielt ich vor der sperrangelweit geöffneten Türe inne und begann in mich hineinzuhorchen, ob denn das noch sehr sanft verspürte Verlangen nach einer Entleerung der Blase einen Besuch der Anlage rechtfertigte. Dabei schien er mich erblickt zu haben – ein Bekannter aus Studientagen, der freudestrahlend aus den Tiefen des Uriniertempels, die Waschgelegenheiten verschmähend, auf mich zueilte und mir kräftig die Hand zu schütteln begann. Ein feuchter Handschlag war’s … Nach dem Austausch der üblichen Belanglosigkeiten, den ich kurzzuhalten bemüht war, zog es mich wie magisch zu einem der Waschbecken hin; mit steigendem Unbehagen musste ich nämlich daran denken, was er vor dem Händeschütteln geschüttelt hatte, mehr noch, wie ungeschickt er sich dabei wohl angestellt haben mochte. Oder war es doch nur der Handschweiß gewesen?
Sie verstehen: Dieser herauseilenden Person versagen wir die Bezeichnung Herr. Ein gewöhnlicher Mann. Ein typischer Mann? Abwarten! Aber lassen wir nun erneut den Mann oder Herrn zu Wort kommen, wobei ich der Kürze wegen von nun an den Begriff unser Typ für Letzteren gebrauchen werde. Ist weder auf- noch abwertend gemeint.
Anlässlich dieser Begebenheit erwachte in mir eine, vermutlich bereits latent vorhanden gewesene Abneigung gegen das viele shake hands und ein Entschluss begann zu reifen: Ich wollte wissen und zwar genau und international: Wie hält man(n) es mit dem Waschen nach dem Pipi? Die Antwort darauf könnte schließlich zahlreiche die Hände schüttelnde Mitmenschen interessieren. In kühnen Tagträumen sah ich mich in der Folge bereits als Begründer eines in der Hygiene verhafteten Zweiges der Pissoirologie, einer Wissenschaft des Danach; in lichteren Momenten freilich begann ich mit einer genauen Planung, wo und vor allem wie ich derartige Observierungen anzustellen hätte.
Wenn einer sich im Pissoir umtut, so kann er was erzählen.
Diese Überschrift kommt Ihnen näherungsweise bekannt vor nicht wahr? Freilich bin ich nicht ein zweiter Matthias Claudius, obgleich das angedeutete Erzählen viel mit Reisen zu tun hatte. Unser Typ hatte sich nämlich nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern ein bisschen auch in Italien und Frankreich, nicht wenig in Japan und sogar in China umgesehen, sprich, dort harnlassende Penisträger und deren unmittelbar posturinales Tun in Pissoiren beobachtet.
Bevor ich nun zur Beschreibung der Vorbereitungen bzw. der Durchführung dieses Tuns komme (gleich hier mal angemerkt: Mir ist keine Studie bekannt, die derart elaboriert ist bzw. war, wie die – hier freilich notgedrungen oberflächlich präsentierte), sollten wir uns ein Bild der nicht gerade selten anzutreffenden Zustände in öffentlichen Pissoiren, (fast) egal wo, zu Gemüte führen.
Ich rede von Lachen. Nein, nicht vom Lachen, sondern von … Die meisten männlichen Exemplare der Gattung Homo sapiens wissen, was ich damit meine, wenn ich auf öffentlich zugängliche Urinale Bezug nehme. Derlei Lachen – und ich meine keineswegs solche aus Wasser – haben wohl nicht unmittelbar mit den hierorts das Hauptthema bildenden Händen und deren Verwendung zu tun. Bloß: Nicht selten steigt man in selbige hinein, da achtlos, oder weil zur Durchführung des Vorgehabten nicht anders möglich.
Sollten Sie, die Sie all das hier lesen, eine Dame sein, so ahnen Sie nun, was Ihr Freund, Partner oder Ehegatte alles in Ihre Behausung trägt, so er eine öffentliche Bedürfnisanstalt heimgesucht hatte.
Versuche, diesem pfützigen Übelstand abzuhelfen, gibt es. Weniger bei uns im Okzident, aber insbesondere in China (das, zusammen mit Japan, Orient zu nennen auch ich mich erdreiste, so wie es unser Typ machte). Leider sind die früher in einheimischen Wirtshäusern ab und zu im Männerklo anzutreffen gewesenen Schildchen mit dem Sprüchlein Tritt näher ran, er ist kürzer als du denkst so gut wie verschwunden. Und die Folgen davon sind halt sichtbar.
Apropos sichtbar: Ich gönnte mir eine Zeitlang das zweifelhafte Vergnügen, derlei Nassgebiete unter den Urinalen zu fotografieren. Ein Beispiel dazu im nächsten Bild, in dem wir erkennen, dass der links im Foto liegende Teil der Lache angenehmerweise bereits in den Zustand der Trockenheit überzugehen im Begriff steht.
Und dann gibt ja noch ein Foto, aus dem ersichtlich ist, wie man in China mit den ansonsten ebenso lach(e)haften Zuständen verfährt.
Lach(e)haftes Ambiente unter einem Urinal in unserer Alpenrepublik. Das Benetzen, besser gesagt Benässen der Schuhsohlen während des Pinkelvorgangs ist in dem gezeigten Fall unvermeidbar. Foto: der Autor.
Eine unmissverständliche grafische Aufforderung an den Harnenden, aus dem WC einer Station der Hochgeschwindigkeitszüge. Obere Schriftzeichen: Name der Station und des Urinals. Untere Schriftzeichen: Ein kleiner Schritt nach vorne – (ist) ein großer Schritt zu mehr Zivilisiertheit. Foto: siehe Artikelende.
Soweit eine kurze Beschreibung, falls man sich in einem typischen öffentlichen Pissoir umsieht. Nicht zu vergessen dabei: Der Beschau der Urinale und ihrer unmittelbaren Umgebung (sowie das Verhalten der Besucher an den Urinalen selbst) war ein Nebenprodukt, denn unser Typ observierte insbesondere möglichst heimlich, sprich unbemerkt, das Waschbecken-Areal, um festzustellen, ob sich die an den Urinalen erleichtert Habenden und dem Ausgang Zustrebenden es der Mühe wert fanden, sich die Hände zu waschen.
Bei dieser Gelegenheit wurde eine Reihe von Parametern festgehalten.
Erhebung wesentlicher Kenngrößen für die Observierungen
Eine simple Aufzählung reicht für den Anfang:
1) Örtlichkeit (Stadt, Ort, oder die Lage – und dabei eine genaue Beschreibung, etwa: Wien, Westbahnhof, Haupt-WC).
2) Datum (Tag, Monat, Jahr).
3) Anfang und Ende der Observierung (auf die Minute genau, stets in Lokalzeit).
4) Anzahl der Observierten.
5) Anzahl der Waschbecken.
6) Waschverhalten (ja oder nein).
7) Altersschätzung (außer bei Asiaten, mit einer Ausnahme).
8) Besonderheiten.
Allgemein: Etliche der (ohnehin eher wenigen) Studien zur Händewaschhygiene von Menschen unmittelbar nach dem Toilettenbesuch basieren auf Befragungen und nicht direkten Beobachtungen. Dass letzteren mehr Beweiskraft zukommt, versteht sich von selbst.
Zur Örtlichkeit: Unser Typ wählte die Örtlichkeit derart, dass verschiedene soziale bzw. nationale Gruppen erfasst wurden – so etwa gab es keine Beobachtungen an Flughäfen wegen der dortigen internationalen Durchmischung und des oft höheren Sozialstatus von Flugreisenden, hingegen häufig an Bahnhöfen, an Autobahnrastplätzen, in Studentenmensen und bei Uni-Bibliotheken usw. Die letzteren zwei hatte er gewählt, da damit später auch eine gewisse Differenzierung hinsichtlich Bildung möglich sein sollte.
Anzahl der Waschbecken: Es schien von vornherein klar, dass mehr (freie) Waschbecken zu mehr Waschwilligen Anlass geben.
Altersschätzung: Soweit unser Typ herausfand, wurde dergleichen bei Studien noch nie versucht. Dabei scheint bei Westlern (Leute aus dem Okzident) eine einigermaßen verlässliche Schätzung auf etwa plus/minus 10 Lebensjahre möglich. Bei Asiaten ist dies ungleich schwieriger und wurde von ihm folglich bloß einmal, in Tokyo, an 107 Probanden versucht.
Besonderheiten: Eine von mehreren Besonderheiten bei den Observierten: Italiener kämmten sich auffallend häufig nachher die Haare.
Die Quintessenz der Beobachtungen des Händewaschverhaltens
Die Händewaschhygiene lag sehr im Argen – und ist auch in der Gegenwart noch deutlich ausbaufähig. Dies vor dem Hintergrund, da sich der Glaube, der Harn sei frei von Keimen und sonstigen besorgniserregenden Stoffen, als eine Mär erwiesen hat.
Unser Typ begann die Observierungen im Herbst 1989 in München und hielt sie bis Ende 1991 aufrecht. Damals fühlte er insgesamt 1260 Männern auf den Zahn, besser gesagt, auf die Hand; in 5 Staaten. Im April 1995 nahm er – beginnend in Japan – diese wieder auf und beendete sie, nach einem Intermezzo in Österreich, erneut in Japan, im August 1997. Ausbeute: 605 Männer, nicht wenige davon Herren.
Anschließend befiel unseren Observator eine Motivationskrise und er ließ genau 18 Jahre verstreichen, bis er, in Wien, erneut von der Lust auf Beobachtung ergriffen wurde, diese in China intensiv auslebte, und im Juni 2016 in Innsbruck beendete. 338 Herren, darunter nicht allzu viele Männer, waren die Ausbeute.
In Linz beginnt’s, heißt es. Doch dort kann es auch enden. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt, mit seinem Hauptbahnhof-WC, fühlte sich unser Typ das letzte Mal gehalten, sich an einem kleinen Comeback zu versuchen und beobachtete an mehreren Terminen im Jahre 2018 insgesamt 57 Penisinhaber. Zuletzt, am 17.6.2018 zwischen 14:28 und 14:58 Uhr bekam er es mit 23 Stück dieser Sorte Mensch zu tun, von denen 20 die Wasserhähne zum Laufen gebracht hatten. Fast nur Herren!
Das war’s dann, endgültig. Final, denn die 2 Jahre später in vollen Schwung gekommene Coronapandemie machte jedweden Versuch zu einer allfälligen Meinungsänderung zunichte.
Unser Typ machte sich im Anschluss daran, seine Fülle an pissoiralen Eindrücken und vieljährigen (seit 1989) Observationsergebnissen in ein Sachbuch gespickt mit zahlreichen Fotos und Grafiken, zu gießen. Diesem ist die dort letzte – eine sich selbsterklärende – Grafik, der Seite 118 entnommen und wird hier präsentiert:
Das Händewaschverhalten ändert sich zum Positiven! Freilich: Mehrere markante Unterschiede sind evident. Weshalb es die wohl gibt? Grafik: siehe Artikelende.
Es bleibt aus Platzgründen nichts anderes übrig, als auf die reichlichen von unserem Typen erarbeiteten und in seinem Buch beschriebenen Details zu verzichten, sondern an deren Stelle ein paar Sätze allgemeiner Natur von dessen Buchrückseite zu zitieren:
Der Autor hat … am Rande von Urlaubs- und Dienstreisen einschlägige Beobachtungen angestellt. In 6 Staaten wurden insgesamt 2.260 Pinkler observiert. Herausgekommen sind verstörende Fakten – auch hinsichtlich eklatanter Unterschiede bei Alter, Bildung und Weltgegend –, vorgestellt in diesem humorvollen Sachbuch.
Nun geradewegs zu diesem Buch! Unser Typ hat als Autorennamen das Pseudonym Uri Har gewählt. Uri ist immerhin ein beliebter männlicher (hebräischer) Vorname. Man füge in Gedanken jeweils ein n an den Vor- und Nachnamen an – und schon wird die Wahl des Pseudonyms mit (urinaler) Bedeutung aufgeladen.
Uri Har: Am Pissoir ist Hygiene rar. Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt; ISBN: 978-3-7504-3609-1. Erscheinungsjahr: 2020; 136 Seiten; Preis: 18,00 Euro.
PS: Der Autor dieser bemerkenswerten Einführung in die Pissoirologie bin ich selbst.
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ich kann allen menschen, egal welchen geschlechts, dieses gut recherchierte und unterhaltsame büchlein wirklich empfehlen. mich hat es über für mich ansonsten unzugängliche räumlichkeiten und männliche verhaltensweisen informiert, die über mein privates anschauungsmaterial hinausgingen. das schmunzeln kam aber trotz manchen ärgers über diverse beobachtungen nicht zu kurz