Ronald Weinberger
Das Reich der Mitte
Ein verwünschtes oder ein verwunschenes Land?
Frische Eindrücke aus den beiden Chinas
1. Teil
Alois Schöpf ersuchte mich aufgrund meines (eben zu Ende gegangenen) achtwöchigen Aufenthalts in dem riesigen China und dem im Vergleich dazu winzigen Taiwan, einen Artikel über Wohlstand und Diktatur insbesondere am Beispiel Chinas zu verfassen.
Bin ich denn ein Wirtschafts- oder Politik-Experte? Keineswegs. Ebenso kein Sinologe. Aber einer der, seit 1976, dutzende Male die beiden Chinas, die People’s Republic of China, mithin China, und die Republic of China, sprich Taiwan, besucht hat. Als Privatmann.
Einer, der seit fünf Jahrzehnten mit einer 1950 in Taiwan geborenen und aufgewachsenen Chinesin – älteste Tochter eines mit seiner Gattin 1949 nach Taiwan geflüchteten Offiziers der im chinesischen Bürgerkrieg gegen Mao unterlegenen Armee von Chiang Kai-shek – verheiratet ist. Wir waren ab 1977 in Innsbruck wohnhaft und sind seit bald 32 Jahren im sonnigen Zirl beheimatet.
Ich beherrsche kein Chinesisch, aber meine Gattin (die ich Ende 1973 in Heidelberg kennenlernte) – zurzeit immer noch tätig als gerichtlich zertifizierte/beeidete Dolmetscherin für Chinesisch/Deutsch und vice versa – übersetzt mir willigst und stets. Zudem bin ich ein unentwegt neugieriger Mensch, womöglich mit hervorgerufen durch meine lange Vergangenheit als Naturwissenschaftler, und hatte ergo meine Augen, Ohren und meinen Gaumen (!) sozusagen überall.
Es ist selbstredend vermessen, sich über die Wirtschaft und das von uns in aller Regel als Diktatur angesehene politische System eines Landes auszulassen, das die 114-fache Fläche und die 152-fache Bevölkerungsanzahl Österreichs aufweist. Mit ein Grund, weshalb ich in diesem Artikel auch auf Taiwan eingehe, das mit seinen knapp über 36.000 qkm Größe und etwa 23 1/2 Mio. Einwohnern ungleich leichter fassbar ist.
Zugleich halte ich fest: Was ich schildere, sind zum weitaus größten Teil persönliche Eindrücke. Diese sind durch meine knapp zwei Monate andauernden Beobachtungen und Erlebnisse gegen Ende 2024 und insbesondere zu Beginn 2025 in Südchina (wo wir uns in einer vor Jahren von meiner Frau erworbenen Wohnung aufhielten, jedoch viel herumreisten) und in der Hauptstadt Taiwans, Taipeh – Wohnort meiner Schwiegermutter – bestimmt. Meine Eindrücke aus früheren Aufenthalten fließen am Rande freilich mit ein.
Ein Schwenk zu Ihnen
Welcher Art ist denn IHRE Meinung über China und Taiwan? Falls Sie sich nicht näher mit dieser Weltgegend auseinandergesetzt haben sollten und vor allem Artikel-Überschriften plus Zusammenfassungen in den Medien hinsichtlich Chinas und Taiwans konsumierten, dürfte Ihnen, mutmaße ich, vor allem Folgendes einfallen, das ich nun schlagwortähnlich zusammenfasse.
Zu China: Diktatur mit Video-Gesichtskontrollen und eventuellem Sozialkreditpunkte-Abzug; Unterdrückung der Uiguren und Tibeter; Ausgangspunkt der Covid-19-Pandemie samt harschen Maßnahmen gegen eigene Bevölkerung; Säbelrasseln gegenüber Taiwan; weitgehend geplatzte Immobilienblase; Wirtschaftsriese im Clinch mit den USA und Europa, dabei u. a. namhafte Nachteile für Autoindustrie in Deutschland; tonangebend hinsichtlich Elektromobilität und Digitalisierung; zurzeit Stottern der chinesischen Wirtschaft. Ein folglich verwünschtes Land? Dieser Eindruck wird uns nicht eben selten durch unsere Medien vermittelt. Auch ich, der ich seit 2018 nicht mehr im Fernen Osten weilte, blieb davon nicht unbeeinflusst.
Zu Taiwan: De facto unabhängiger (Insel)-Staat, aber nicht als solcher durch die UNO anerkannt; zunehmend Militärmanöver Chinas nahe Taiwan; eventuell drohende Eroberung Taiwans durch China in naher Zukunft; führender Produzent hochwertiger Chips.
It’s the economy, stupid!
Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut, so könnte man, sehr frei übersetzt, diesen von mir als Kapitelüberschrift gewählten Wahlkampf-Slogan Bill Clintons, der nicht zuletzt damit 1992 die US-Präsidentschaftswahlen gewann, verstehen. Obwohl just der hier benutzte deutschsprachige Spruch eigentlich, las ich, eine Erfindung der österreichischen Wirtschaftskammer sei.
Der Slogan fiel mir spontan ein, als ich mich anschickte, einen Anfang für die Beschreibung meiner Eindrücke des gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustands Chinas zu finden. Denn die ökonomische Lage der Bürger in einem Staat ist bekanntlich der in aller Regel wesentlichste Gradmesser für deren Wohlgefühl.
Das Bruttoinlandsprodukt Chinas – es zeigt an, wie viel in einem Staat in einem bestimmten Zeitraum wirtschaftlich geleistet wurde – ist, nach den USA, das global zweithöchste. Bei diesem dem Internet entnommenem Fakt will ich es freilich nicht belassen und Sie, geschätzte Leser, mitunter mit einigen anderen im Internet gefundenen Informationen (ich stütze mich zumeist auf Wikipedia) versorgen.
Meine Frau und ich haben uns anlässlich unseres Aufenthalts großteils nur in der mit etwa 126 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichsten und zugleich sehr wirtschaftsstarken Provinz Guandong mit ihren annähernd 180.000 qkm Fläche umgetan. Sprich, wir wurden (von einem über flexible Arbeitszeit verfügenden, in einem illegalen nach Afrika liefernden Markenuhren-Kopier-Betrieb tätigen Großcousin meiner Frau) per Leihauto herumkutschiert.
Die, nebstbei landschaftlich überaus ansprechende, hügelige, bewaldete bzw. häufig mit Bambus bestrauchte Region mit einem Radius von bis zu 10-20 km um unseren Wohnort herum konnten wir oftmals näher in (auch wirtschaftlichen) Augenschein nehmen, aber sonst waren wir, nimmt man das gigantische Gesamt-China als Maßstab, verständlicherweise auf bloß punktuelle Eindrücke beschränkt. Mit einer nun geschilderten Ausnahme.
Die südlichste und kleinste Provinz Chinas, die immerhin 34.000 qkm große Insel Hainan mit ihren gut 10 Mio. Einwohnern, haben wir nämlich innerhalb von fünf Tagen als Teilnehmer einer zehnköpfigen chinesischen Reisegruppe beinahe kreuz und quer bereist. Es war das dritte Mal, dass wir dieses auch als Hawaii Chinas bezeichnete Eiland besucht haben.
Sie ahnen bei dieser Etikettierung Hainans womöglich bereits: Dorthin verirrt sich, als Urlauber, nicht unbedingt ein Durchschnittschinese, da er sich dies nur ab und zu, falls überhaupt, würde leisten können. Die Preise vor allem ganz im Süden Hainans, in und um die malerische Stadt Sanya mit ihren ausgedehnten feinen Sandstränden (samt höchst bissigen Sandflöhen, die mit uns bei unserem ersten Aufenthalt innigsten Kontakt pflegten!), reichen nämlich an unseren Preislevel heran.
Kosten, Köstliches, Zahlen
Apropos Preise. Eines vorneweg zur Umrechnung: Anfang 2025 entsprachen einem (1) Euro 7,6 chinesische Yuan (RMB) bzw. 34 Neue Taiwanesische Dollar (TWD).
Zur kostenmäßigen und sonstigen Einordnung ein paar Infos zu der in einem Wohn-Resort gelegenen Wohnung meiner Frau: Sie liegt etwa 100 km nordöstlich des Zentralgebiets der Hauptstadt der Provinz Guandong, der Gigantstadt Guangzhou (bei uns als Kanton bekannt), mit ihrer Bevölkerungszahl von circa dem Doppelten Gesamtösterreichs und einer Stadtfläche, laut Wikipedia, annähernd so groß wie die Fläche des Burgenlands.
Meine Frau hatte im Jahr 2019 die erwähnte Wohnung gekauft; sie ist in einem damals neuerbauten 29-stöckigen Hochhaus gelegen, 116 qm groß, und belief sich summa summarum auf umgerechnet 80.000 Euro. Inzwischen sind in diesem Resort die Wohnungspreise kräftig gesunken; ich las u. a. von einer 97 qm großen Wohnung, die dort um knapp 50.000 Euro zum Verkauf ansteht. SIE, liebe Leserin, könnten dort nichts kaufen, aber meine Frau, selbstredend österreichische Staatsbürgerin, konnte/durfte wegen ihrer Taiwan-Herkunft eine (einzige!) Immobilie in China erwerben. (Sie wissen vermutlich: China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, d. h. als einen Teil von sich).
Gut 10 km von unserer in dem etwa 30 qkm großen und einigermaßen eleganten Wohn-Resort (auf die Schattenseiten dort komme ich später zu sprechen) gelegenen Wohnung entfernt befindet sich das ausgedehnte, etwas ältlich wirkende Landstädtchen Yonghan, das wir zahlreiche Male besuchten, dort einkauften, zu Mittag aßen und herumspazierten.
Ich war übrigens ein in Yonghan häufig mit erstaunten, indes nie feindselig wirkenden Blicken gemustertes exotisches Exemplar – was zweifelsfrei nicht nur meinen 190 cm Körperlänge geschuldet war, sondern weil ich dort nie auch nur eine einzige Person mit nichtfernöstlichem Aussehen wahrnehmen konnte.
Jetzt aber auf! In eines der vielen, mit 20-50 qm Fläche recht kleinen, Gasthäuser! Diese sind beinahe ausschließlich privat geführt. Eine der reichlichen, für mich fast ausnahmslos schmackhaften und vollauf sättigenden Speisen – auswählbar aus dem zumeist zahlreichen, mittels Fotos dargestellten Speisenangebot – kostet umgerechnet 2 bis 3 Euro. Normalerweise.
Wasser in einer Kanne, seltener Tee, steht bisweilen am Tisch bereit. Servietten (immer simple einlagige Papiere) leider nicht immer, können aber aus einem Servietten-Spender, der irgendwo herumsteht oder herumhängt, gezupft werden. Abgesehen davon ist es unüblich, oft unmöglich, zum Essen Bier, Wein und Ähnliches zu bestellen. Allenfalls Tee. Ein eigenes Getränk kann man jedoch problemlos mitbringen! Haben wir mehrfach gesehen und einige Male auch praktiziert.
Trinkgeld ist, wie ich längst wusste, in ganz (!) China tabu. Bezahlt wird von den Kunden durchgehend digital, vermittels Hinhalten des Handys auf eines der QR-Code-Felder oder, selten, auf ein digitales Bezahlkästchen, das dann mit einem charakteristischen Ton den erfolgten Bezahlvorgang bestätigt; meine Frau zahlte aber anfangs ausschließlich in bar, was, mit einer Ausnahme, stets möglich war. Ich werde auf das in China so vorherrschende Digitale später noch zurückkommen (indes sei jetzt schon vermerkt: in Taiwan ist das merklich anders).
Bleibt noch zu erwähnen, dass in allen von uns besuchten Gaststätten die Sauberkeit nie im Geringsten zu wünschen übrig ließ. Eines der moderneren kleinen Gasthäuser in Yonghan hatte es uns ob seiner überaus schmackhaften Gerichte besonders angetan: Es wird von einer ein Kopftuch tragenden Dame und ihrem Gatten geführt und bietet eine große Anzahl von Speisen an, die – da ohne jegliche Schweinefleischgerichte – den im Islam geltenden Essensvorschriften nicht zu widersprechen scheinen.
An den beiden Seitenwänden im Lokal wird jeweils die Hälfte des Speisenangebots in von hinten beleuchteten Bildern gezeigt. Es folgt nun ein Foto einer dieser Seitenwände. Vergrößert man das Bild, wird man direkt unterhalb der Unterkante des Speisenangebots, ganz links und in der Mitte, in blau bzw. grün, die QR-Code-Bezahlfelder sehen können.
Kurz noch zum größten Supermarkt des Landstädtchens Yonghan. Er erstreckt sich über zwei Stockwerke, etwa jeweils so groß wie bei uns ein typischer Eurospar. Es gibt praktisch fast alles, was das Herz begehrt, aber das Obst- und Gemüseangebot schlägt unseres um Längen.
Die Preise für Nicht-Importiertes belaufen sich laut meiner Frau ungefähr auf ein Viertel oder Drittel bis zur Hälfte unserer Preise. (Beispiel: 30 Hühnereier, indes ein wenig kleiner als bei uns, auf umgerechnet 2,50 Euro). Der Supermarkt, täglich von 7 Uhr bis 22:30 Uhr geöffnet, war bei unseren Einkäufen immer gut besucht.
Apropos Supermarkt, besser gesagt: Einkaufszentrum. Zweimal besuchten wir in Guangzhou (Kanton) einen für unsere Verhältnisse megagroßen, sich über mehrere Stockwerke – jeweils mit einer von mir geschätzten Ausdehnung von drei bis vier unserer Interspar-Flächen – erstreckenden Riesen-Verkaufs-Tempel. Näher kennengelernt, und darin auf der gerade noch rechtzeitig erfolgreichen Suche nach einem Kunden-WC beinahe verirrt, habe ich das der Kleider-Mode gewidmete Stockwerk.
Auffallend dortselbst: ein Heer von beinahe nur weiblichem, vornehmlich jungem Verkaufs-/Beratungs-Personal zumeist in dunklen, schicken, Kostümen. Ich denke, ein Viertel dieses Personals würde lockerst genügen, denn mangels Kundenandrangs saß bzw. stand der Großteil des Verkaufspersonals herum und beschäftigte sich so gut wie ausnahmslos mit dem Handy.
Nun ja, so hält man die Arbeitslosigkeit niedrig, aber wie gering zum Anderen die Löhne sein dürften/müssten, kann man sich lebhaft vorstellen. Auf diese komme ich ohnehin in Kürze zu sprechen.
2. Teil: Donnerstag nächster Woche
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mir geht es wie den beiden vor mir kommentierenden – die woche wird mir lang werden beim warten auf die fortsetzung des china-berichtes.
Bin schon auf die Fortsetzung gespannt!
Sehr interessant und blumig beschrieben!