Ronald Weinberger
Das Reich der Mitte
Ein verwünschtes oder ein verwunschenes Land?
Frische Eindrücke aus den beiden Chinas
3. Teil:
Das Überwachungssystem


1. Teil: https://schoepfblog.at/ronald-weinberger-aus-den-beiden-chinas-1-teil/
2. Teil: https://schoepfblog.at/ronald-weinberger-das-reich-der-mitte-2-teil/

Ich beginne mit etwas für ausländische Besucher in China Offensichtlichem. Passt aber weniger zur Kapitelüberschrift, denn es ist ein Verbot: Sie können, besser gesagt dürfen, im Internet weder auf Google, noch auf Yahoo, noch auf – was weiß ich – dieses und jenes zugreifen. Und dennoch geht all das nicht selten problemlos mit VPN. Ist wohl nicht erlaubt, aber wird offenkundig geduldet oder ist höherenorts nicht oder schwer nachweisbar. Bei mir klappte es. Im Zusammenhang mit einem WiFi-Zugang fast immer. Das Fazit von all dem lautet freilich: Internet-Zensur! (In Taiwan stieß ich auf nichts dergleichen).

Jetzt aber Überschrift-Kompatibleres und gleich eine Einschränkung. Womöglich sind die meisten von ihnen gut getarnt oder recht klein, denn dass China mit Kameras geradezu gespickt sei, kann ich nicht vollends bestätigen. Freilich gibt es dennoch durchaus recht viele von ihnen. (Und, ehe ich’s vergesse: im demokratischen Taiwan ebenso. In letzterem unübersehbar, oft groß und klobig, und vielleicht deswegen von mir als en masse wahrgenommen). Vor Banken sowieso. Indes auch vor und in Supermärkten, an etlichen Straßenecken beziehungsweise an Stellen, an denen man derlei bei uns nicht vorfinden würde oder möchte.

Ob in China diese Videokameras oder die meisten davon in Dauerbetrieb sind, weiß ich nicht. Ob sie großmaßstäblich auch dafür verwendet werden oder werden können, um unliebsame Personen zu überwachen, um sodann an deren Sozialkreditpunkteguthaben zu knabbern, weiß ich ebenfalls nicht. (In der englischsprachigen Wikipedia ist interessanterweise zu lesen, dass diese Gesichtserkennung mit eventuellem Punkteabzug beim Sozialkredit gar nicht (mehr) existieren würde! Sei früher bloß in ein paar Städten versuchsweise ausprobiert worden).

Dass sich die Chinesen, logischerweise mit Ausnahmen, dennoch – nämlich auffallend – disziplinlos (der Ausdruck ungezwungen wäre ein Euphemismus!) verhalten, als wäre ihnen fast alles sch…egal, habe ich hingegen oftmals überdeutlich mitbekommen. Am Schluss werde ich dies relativ ausführlich thematisieren.

Was es einigermaßen häufig gibt, sind die uns von der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen wohlbekannten Schleusen und Durchleuchtungsgeräte für die mitgebrachten Taschen/Rucksäcke & Co, und anschließend ein stets (!) recht nachlässig erscheinendes oder seiendes ultrakurzes Abtasten des Körpers mit einem stabförmigen Handscanner.

Derlei Kontrollschleusen und Gerätschaften findet man, sobald man eine abgeschlossene offizielle Fläche, wie in unserem Fall den für Personenschifffahrt ausgewiesenen Hafen (von Sanya) betreten möchte, oder das Reservat des Bergvolkes der Li auf Hainan, bzw. den Eingangsbereich von manchen Großbanken und ähnlichen öffentlichen sensiblen Stellen.

Nun jedoch zum Eingemachten, einer Vor-Ort-Überwachung. In dem mehrfach genannten Landstädtchen Yonghan konnte ich, an zwei Tagen, Folgendes unmittelbar beobachten und zwar an zwei Einkaufsstraßen, die eine lange Reihe von kleinen durchwegs nach vorne weit offenen Läden – darunter mehrere mit Marktcharakter, also fast bis auf den Gehsteig reichenden Säcken, Netzen, Körben etc., gefüllt mit allerlei Waren, vor allem Gewürzen, getrockneten Früchten usw. – aufweisen. Ich berichte vom zweiten Tag.

Ich sah, wie zwei uniformierte Ordnungskräfte wie folgt vorgingen: Einer stellt sein Dienstauto an das eine Ende der geschätzt circa 100 m langen Straße und war ausgestiegen, blieb jedoch dort stehen. Sein Kollege hatte vorher, am anderen Ende der Straße, das Auto verlassen und ging langsam, aufmerksam herumblickend, den Gehsteig entlang. Ich hörte (und sah), wie er – in drei Fällen und das auf einer Straßenseite – mit der Hand auf etwas zeigte, mit lauter, ja barscher, Stimme kurz etwas ausrief, und schon wurde der jeweilige Ladenbesitzer bzw. Ladenbesitzerin blitzschnell aktiv.

Einmal wurde sofort ein Hocker vom Gehsteig näher zum Geschäft gerückt, das andere Mal ein halb zusammengeklappter großer Schirm (an dem man sich übrigens hätte arg verletzen können) vollständig aufgespannt, und im dritten Fall sauste eine Frau aus einem Laden heraus und kehrte irgendetwas mit einem Reisigbesen zusammen und brachte es ins Geschäft.

Wir dürfen nun ruhig unsere Fantasie walten lassen und wohl korrekt mutmaßen, der aktive Ordnungsmann wird gerufen haben: weg damit!, beziehungsweise: aufspannen!. Und im letzten Fall: zusammenkehren!. Sein Kollege beim Dienstwagen dürfte die Aufgabe gehabt haben, bei Widerstand oder Nichtbefolgung Hilfe zu leisten und/oder Strafgebühren zu kassieren.

Nachdem ich diese Vorgangsweise an zwei verschiedenen Tagen und nicht auf derselben Straße beobachtet hatte, wurde mir so richtig klar, weshalb die Straßen und Plätze in China in aller Regel beinahe unirdisch sauber sind. (Über so manche Mauer, in manchen Hinterhof, sollte man da jedoch lieber nicht blicken, weil einem hierbei der Eindruck überall vorhandener penibler Reinlichkeit unvermittelt und nachhaltig ausgetrieben wird).

Es mag Sie eventuell stören, aber ich schreibe es dennoch: Bei uns ist es bei weitem nicht derart reinlich, abgesehen davon, dass ich weder in China (noch im demokratischen Taiwan, wo man nicht ganz so viel Reinlichkeit vorfindet, also eher so wie bei uns) kein einziges Mal irgendwo Graffiti“schmierereien“ sah.

Nachtrag: Ein paar Tage später erblickte ich genau diese beiden uniformierten Herren in Yonghan wieder, als sie geschäftig den Autoverkehr regelten. Da hatten sie indes eine Weste mit großen gelben Schriftzeichen übergestreift, auf der laut meiner Frau Öffentlicher Service geschrieben stand. Dass sowohl die Autofahrer als auch die Lenker einspuriger Fahrzeuge das Gepfeife und Armgewachle der nunmehrigen Verkehrspolizisten teilweise negierten (mehrfach von mir beobachtet), wird Sie kaum noch allzusehr überraschen.

Nun darf man durchaus der Ansicht sein, das von mir weiter oben Beschriebene/Beobachtete sei Anzeichen eines diktatorischen Systems oder gar ein Beleg dafür. Bloß: Das im Kern wesentliche Diktatorische verrät sich aber halt doch viel eher durch den Mangel an freien Wahlen und der Gängelung oder dem Verbot von oppositionellen Kräften.

Zu letztgenannter Thematik vermag ich freilich nichts beizutragen, da ich schon anfangs klarmachte, mein Artikel beruhe fast ausschließlich auf subjektiven Beobachtungen und Erlebnissen. Ich füge hinzu: Im kleinen Kreis, privat, wird durchaus, zuweilen recht heftig, ja grob, auf die da oben und deren Maßnahmen geschimpft, wie ich erfuhr. Und die Verwendung des Ausdrucks grob erlaubt mir sogleich den gleitenden Übergang zum letzten Kapitel.


Laut, grob, abergläubisch

Haben Sie schon einmal oder mehrmals Thailand besucht? Dann wird Ihnen nicht zuletzt das intensive, bei den dortigen weiblichen Wesen höchst lieblich erscheinende Lächeln der Thais in Erinnerung geblieben sein.

Erwarten Sie bloß nichts Vergleichbares in China – was, in minderem Ausmaß, ebenso für Taiwan gilt! Freundliches (An)Lächeln kommt vor, gewiss. Bei Kindern, die mich beäugten, sogar oftmals. Ernste bis teilnahmslos wirkende Mienen bei Erwachsenen sind jedoch die Regel – und damit meine ich nicht die Mienen beim Erblicken meiner Person, wo ich zuweilen ein gewisses Erstaunen wahrnahm.

Nicht DAS ist es jedoch, was mir bereits früher, als ich auch andere Regionen Chinas besuchte, speziell auffiel. Es ist die Lautstärke, in der Chinesen miteinander kommunizieren. Insbesondere am Land – und da vor allem die älteren Semester, ob Männer oder Frauen. Sie könnten das als Einbildung abtun, als Hervorhebung, als halt in der Erinnerung haftende Eigenschaft eines gewiss nicht großen Bevölkerungsanteils. Ich sage dezidiert nein zu dieser Ihrer Vermutung, falls Sie diese haben sollten.

Also: Chinesen, auch wenn sie keineswegs miteinander streiten, schreien sich, für unsere Ohren (und meine sind ohnehin nicht mehr die besten), selbst wenn sie sich gegenüberstehen, in einer Lautstärke an, dass unserereins die Ohrwaschln schlackern. Weshalb wohl? Eine kulturelle Eigenart? Vielleicht. Oder ist’s schlicht Unkultiviertheit, Grobheit? Mag sein. Zumindest das früher übliche Ausspucken hat ihnen die Regierung fast vollständig ausgetrieben.

Ich habe mich, vor allem in den 1980er-Jahren, sieben Mal beruflich in Japan aufgehalten. Welch Unterschied! Nun ja, nach reichlichem Alkoholgenuss können auch Japaner, besonders Männer, recht laut werden. Sonst jedoch ist die Höflichkeit, das Ruhige, Verbindliche, Trumpf. So verhielt es sich zumindest vor einigen Jahrzehnten. Wie es derzeit wohl ist?

Ich möchte mein Betonen der vermeintlichen oder echten Grobheit der Chinesen aufgrund der geschilderten Lautstärke ausdrücklich nicht als Kritik verstanden wissen, denn an Hilfsbereitschaft und tatsächlicher Hilfe mangelt es nicht im Geringsten. An Disziplin indes sehr wohl. Es war mir nie und ist mir auch jetzt nicht klar, weshalb. Ein unterschwelliger Protest gegen die zumindest teilweise Rigidität des gesellschaftlichen Systems?

Bei meinen früheren zahlreichen Reisen in China stand stets der Besuch von Naturschönheiten und/oder kulturellen Sehenswürdigkeiten im Vordergrund. Diesmal ungleich weniger. So konnten mir Verhaltensweisen auffallen, denen ich früher keine Aufmerksamkeit zollte. Ich fasse zusammen:

Auf den Autobahnen hält sich so gut wie niemand an die vorgeschriebenen 120 km/h Höchstgeschwindigkeit. In Quangzhou wird, bei starkem Verkehrsaufkommen, beim Autofahren geschnitten, abgedrängt, gehupt (es herrscht Hupverbot dort!), dass mir als Beifahrer, was die beiden ersten Merkmale angeht, zuweilen angst und bang wurde.

Bei Ampel-Rot – mehrfach beobachtet! – düsen vereinzelt einspurige Fahrzeuge d’rüber; das Überqueren von unbeampelten Zebrastreifen gerät für Fußgänger wie mich zur Mutprobe; in Lokalen, in denen manchmal per Schildern das Unterlassen von Rauchen eingefordert wird, sieht man nicht selten dennoch Pofler bei ihrem ungesunden Tun (in China wird VIEL geraucht; in Taiwan wesentlich (!) weniger, wo in Lokalen ohnehin und auf/in sehr vielen öffentlichen Plätzen bzw. Gebäuden Rauchverbot herrscht) … Juhuu, könnten Anarchisten meinen, wir sind in einem Land der Gesetzlosen! Ich frag(t)e mich dabei manchmal, wie es sich mit der ohnehin mangelnden Disziplin verhielte, wäre China eine liberale Demokratie westlichen Zuschnitts …

Ich schließe mit Abergläubischem, konzentriere mich ausnahmsweise nur auf Taiwan – und erdreiste mich, Sie zum Mitmachen zu animieren. Bitte betrachten Sie, indem Sie stark vergrößern, die Kennzeichen der in der folgenden Abbildung fotografierten elf Roller. EINE Ziffer werden Sie nicht finden – und das ist höchst charakteristisch für Taiwan und zwar für PKWs und für das riesige Heer einspuriger Krachmacher erst recht, und ist – wenngleich in geringerem Ausmaß – nicht untypisch für China ebenso.

Nun, diese Ziffer wird nicht gänzlich vermieden, aber ich habe mir in Taipeh über die 3 Wochen Aufenthalt hinweg die Mühe gemacht, insgesamt sicherlich weit über tausend Kennzeichenschilder von Mopeds, Rollern und Motorrädern zu beäugen – und konnte bloß sieben (!!) erspähen, die jene Ziffer enthalten.

Die besagte Ziffer (haben Sie sie schon herausgefunden? Ich verrate sie Ihnen boshafterweise nämlich nicht!) entspricht in ihrer Bedeutung etwa unserer Zahl 13. Die Aussprache dieser Ziffer klingt ähnlich wie die für Tod, was ihr weitgehendes Vermeiden nach sich zieht. Aberglauben eben. Ein Allzuviel an Aberglauben im Oberstübchen lockert Schrauben wie ich einmal dichtete.

Nun möchte ich freilich meinen Artikel nicht mit dem Tod abschließen, sondern mit dem, was für viele Chinesen das Leben erst richtig lebenswert macht: gutes, leckeres, Essen! Was habe auch ich geschlemmt! Das schier unfassbar vielfältige, schmackhafte, häufig hübsch angerichtete chinesische Essen. Ein Gedicht, von dem in unseren China-Restaurants bedauerlicherweise nur recht wenige, nicht selten etwas verfälschte, angepasste, Strophen angeboten werden.

Es erscheint mir daher konsequent, hier, im vorletzten Foto, ein opulentes Mahl, das anlässlich unserer Reise in Hainan im Preis inkludiert war, zu zeigen. Eine vergrößerte Ansicht der einzelnen Speisen mag sich für Sie lohnen und Ihren Appetit anregen.

Als letzte Abbildung habe ich ein unweit der Wohnung meiner Schwiegermutter in Taipeh befindliches, zwischen Häusern eingezwängtes, buddhistisches Tempelchen (Schrein) gewählt, dessen drei chinesische Zeichen in der Bildmitte, auf dem gebogenen Mauerteil, etwa wie folgt lauten:

SCHREIN ZUR UMFASSENDEN GLÜCKSELIGKEIT

Mögen die letzten beiden Worte, zumindest phasenweise, auf Ihr Leben zutreffen! Dies wünscht Ihnen, aus ganzem Herzen, Ihr Ronald Weinberger, der nachgerade zum Schluss gelangt ist, China sei weder ein verwünschtes noch ein verwunschenes, sondern ein kaum (er)fassbares, überaus vielfältiges, höchst interessantes und bereisenswertes Land.

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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