Reinhold Knoll
Wer will für dieses Europa
überhaupt noch
den Kopf hinhalten?
Notizen
Der Generaltruppeninspektor der deutschen Bundeswehr erklärte dieser Tage, dass Russland aus dem Krieg gegen die Ukraine gestärkt hervortreten werde. Die enormen Investitionen ins Militär, die über Jahre forcierte Aufrüstung, die Verbesserung der technischen Ausstattung – vor allem bei der Luftwaffe -, das Zurückgreifen auf nicht-russische Verbände (Nordkorea und Indien(?)), die Kooperation mit dem Iran in der Entwicklung der Drohnen, die Verlängerung der Wehrpflicht auf zwei Jahre und die generelle Erhöhung der Truppenstärke lässt Russlands Anspruch, die moderne und schlagkräftige Weltmacht zu sein, berechtigt erscheinen.
Ob das auch eintritt, bleibt natürlich offen.
Generalleutnant Mais verfügt natürlich über Informationen, die uns nicht zugänglich sind. Dennoch habe ich Zweifel, verfolgt doch die Interpretation des Generaltruppeninspektors vielleicht eher den Zweck, die enormen Verteidigungsausgaben Deutschlands jetzt und in Zukunft zu rechtfertigen.
Bislang war die russische Armee vom Merkmal der Korruption gezeichnet und die Enttäuschung war groß, bei Kriegsbeginn die Ukraine nicht überrannt zu haben. Die Ineffizienz der damaligen russischen Armee war auch dadurch offen gelegt worden, dass eine Söldnertruppe Wagner die Initiative übernommen hatte.
Das alles umzusetzen, benötigt Zeit, die auch Putin davonlaufen kann, so er sich in der Umsetzung seiner Weltmachtträume nicht sputet. Freilich hat er in Donald Trump einen Spiegel, der umgehend verrät, was richtig und was falsch sein kann. Trump hat noch nicht realisiert, dass seine Ankündigungen über einen baldigen Friedensschluss zwischen Moskau und Kiew falsch waren.
Freilich versetzten uns auch jene Nachrichten ins Erstaunen, dass nämlich viele russische Soldaten das Hausinventar in den eroberten Gebieten plünderten und die Haushaltsgeräte über Weißrussland nach Hause schickten.
Selten bedenkt man in der Berichterstattung, dass sinnvoll strukturierte militärische Zielvorstellungen eine gewaltige Zeit der Vorbereitung benötigen. Die USA benötigten für den 1. Irak-Krieg etwa ein Jahr an Vorbereitung und im Fall Gaza ist deutlich zu sehen, dass die israelische Armee ziemlich konzeptlos nach einem ungeheuerlichen Überfall die Region nur devastieren kann, ohne dem Zweck der militärischen Intervention näher zu kommen.
Satellitenaufnahmen zeigen das Grenzgebiet der baltischen Staaten, in dem auf russischer Seite eine Invasionsarmee mit 150.000 Mann bereit steht. Bereit wofür? Warum dort? Vermutlich ist man in Moskau der Meinung, dass zumindest die Gebiete der ehemaligen DDR wieder in die russische Einflusssphäre gehören. Da ist Ost-Berlin allemal ein gutes Argument für die Rückführung Ostdeutschlands in den Kranz der Vasallen und Sykophanten.
Nun gut.
Russland scheint jetzt endlich den Clausewitz verstanden zu haben, nämlich ein riesiges Kriegstheater aufzubauen, das die Einschüchterung bezweckt. Sollte diese überzeugend sein, werden wir wohl oder übel Stück für Stück in den Einflussbereich Moskaus übertreten: Das entspricht im Grunde auch der Intention von Trump, der Europa einfach als Fessel am amerikanischen Bein abtrennen will – mit Ausnahme Englands.
Dass Trump mit Mitteleuropa nichts am Hut hat, ist leicht zu verstehen, da er Politik als Immobilienmakler betreibt. Trump lehrt uns, dass die Verherrlichung der eigenen Willkür immer unbedenklicher wird, noch ungestörter, wenn der Gegner ein Nichts ist.
Und der deutsche Generalleutnant ist im Erklärungsnotstand, sollte man ihn fragen, was mit der Milliarde geschah, die Bundeskanzler Scholz schnell auf den Weg brachte? Und jetzt kommen weitere Milliarden hinzu.
Ich befürchte, wie im Bildungs- oder Spitalssektor, ist jede Erhöhung der Budgetmittel nur eine Finanzierung des jeweilig gestiegenen administrativen Aufwands. An den jeweiligen Nähten der Problemzonen kommt nichts an.
Das lehrt vornehmlich das Problem Schule. Ähnlich wird es auch bei der deutschen Bundeswehr sein. Ein Oberfeldwebel wird im klimatisierten Büro sitzen und sich ein Formular zur Bewilligung und Nutzung einsatzfähiger LKW´s ausdenken.
Obendrein hat der NATO-Gipfel gezeigt, dass die USA nicht nur die schützende Hand über Europa abziehen, sondern trotz dieser Entscheidung noch immer kein gemeinsamer Weg europäischer Verteidigungspolitik vorgesehen wird.
Frankreich könnte im Notfall seinen atomaren Knirps über Europa aufspannen, doch das hatte man sofort abgelehnt. Ob England bereit ist, die konventionelle militärische Kraft für Europa einzusetzen, ist ebenfalls fraglich. Für England ist immer noch die USA näher und vertrauter als Kontinentaleuropa. Orban hat natürlich jede weitere Planung gemeinsamer Europa-Politik sofort torpediert und gilt damit als Schutzpatron aller Moskau-nahen Kräfte.
Es geht nicht so sehr um die Art der militärischen Ausstattung, sondern wen gibt es hier, der für Europa noch den Kopf hinhalten will? Somit werden wir Opfer des Fortschritts totaler Gewalt werden, in die zur Zeit drei Weltmächte verwickelt sind.
Aus dieser tödlichen Konkurrenz kann niemand aussteigen, will er nicht seine Existenz gefährden. Also forcieren wir noch mehr das ungeheuerliche Potential totaler Gewalt auf der Welt. Jetzt befinden wir uns in einer Zeit permanenter Selbstüberbietung der Verletzungsmächtigkeit des Menschen, sei es durch Medien, durch die Technisierung unseres Alltags (siehe Überwachungskapitalismus bei Shoshana Zuboff oder Naomi Klein Katastrophen-Kapitalismus) durch Krieg oder durch Schwächung von Partizipation und Mitbestimmung in Angelegenheiten des politisch-öffentlichen Raumes.
Schlimm daran ist, dass allein schon der Gedanke von Abrüstung, Einschränkung der Anwendung von Kernwaffen, die in Produktion befindliche und verbesserte Waffenindustrie nicht aufhält.
Wir rüsten jene Teile des Arsenals ab, die die nächste Generation der Waffen ohnehin obsolet machte. Wie retten wir uns in diesem Schachspiel der Macht? Es gibt nicht einmal mehr die Gemeinsamkeit vitaler Interessen….
Ich bin in großer Sorge.
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