Reinhold Knoll
Hitlerbalkon oder Bordell
Wien und der Fremdenverkehr
Notizen
Wien ist eine Reise wert.
So propagieren es Reiseveranstalter, Tourismusbüros, Hotelketten und Billigfluglinien. Und es scheint wirklich der Besuch Wiens ein Erlebnis zu werden: In riesigen Projektionen sieht man nach der Ankunft Schloss Schönbrunn, Fiaker, Café und Apfelstrudel am Weg vom Flugzeug zum Förderband der Koffer.
Die Stadtverwaltung rechnet es Wien als Weltoffenheit an, wenn täglich tausende Flugreisende in Gummisandalen, kurzen Hosen und Florida-Shirt Wien besuchen. Die Touristen erwarten sich eben von Wien eine Art Caorle oder Rimini ohne Meer.
Und das kann Wien!
Da gibt es Kaiserschmarrn take away beim berühmten Demel, Kaffee aus dem Pappbecher vom Hawelka und die berüchtigten Frankfurter am Würstelstand, die Deutsche enttäuscht als Wiener qualifizieren. Die Rundgänge durch die Innenstadt sind konfektioniert und münden beim Café Central, wo wegen der Empfehlung in Reiseführern immer eine Touristen-Schlange vor dem Eingang wartet.
Vermutlich leiden alle Hauptstädte Europas unter dem Städtetourismus und vielleicht ist Wien nicht einmal im Spitzenfeld der Beliebtheitsskala. Paris, Rom, London, Berlin und Prag haben mehr zu bieten, doch weder Trafalgar Square, Place Vendome, noch Piazza Navona, Václavské námesti oder Ku-damm verfügen über Ähnliches wie am Wiener Michaelerplatz: die archäologisch ehrgeizige Ausgrabung eines Bordells aus Babenberger Tagen. Es ist der vorläufige Höhepunkt der Stadtführungen.
So gibt es eine Konkurrenz in der Bedeutungshierarchie der Stadt. Fremdenführer fordern ihre Klienten auf, sich zu entscheiden: Entweder Hitlerbalkon oder Bordell. Da fällt die Wahl schwer.
Die Kulturbeflissenen wählen wegen des Gruseligen den Hitlerbalkon. Bordelle gibt’s überall auf der Welt. Also folgen sie brav dem Fähnchen im Menschengewühl am Kohlmarkt. Im Rindertritt geht´s durch die Stadt, kompromisslos an Souvenirläden und am fast food vorbei.
Obwohl die Touristen sich schon durch die Rotenturmstraße zum Stephansdom schleppen mussten, suchen sie noch immer unverwandt am Handy nach Heldenplatz und Hitlerbalkon. Einige beschweren sich sogar, dass der berühmte Balkon nicht am Stadtplan eingezeichnet ist, so wichtig wie der Check-point Charlie in Berlin. Und viele vermissen vor der Hofburg den Verkauf von Hitler-Souvenirs, einer Armbinde der SA, Kaffeehäferl mit Himmler, einer CD mit Goebbels-Rede oder gar ein Judenstern. Wenigstens ein Photo vom größten Österreicher sollte es schon geben.
Da hat der Fremdenverkehr in Wien viel nachzuholen, ist die übereinstimmende Meinung. Und die meisten Touristen erwarten eine Kaffeepause natürlich auf dem Hitlerbalkon mit Blick über den Heldenplatz und dort ist ihnen Hitler ganz nah, diesen Blick wie er zu genießen. Und die Fremdenführer erklären Stadt und Wienerwald am Horizont. Eifersüchtig wachen sie, dass da kein Eingeborener angereisten Verwandten etwas von der Stadt erzählt! Das ist nämlich zum Schutz des Dienstleistungsgewerbes verboten.
So laufen selbst harmlose Bewohner Gefahr bestraft zu werden, sollten sie Familienangehörige von auswärts durch die Stadt geleiten, gar vor dem Mozart-Haus sagen, dass hier Mozart wohnte. Also erkennt man die Stadtbewohner daran, dass sie schweigend durch die Stadt eilen, jeden Wortwechsel vermeidend, um nicht als Fremdenführer zu gelten.
Das hat in der Albertina begonnen.
Hätte ein Ehepaar vor Jahren über das Gemälde von Claude Monet diskutiert, würde schon damals ein Aufsichtsorgan diesen Dialog sofort unterbrochen haben. Alle Gespräche zwischen Menschen werden als Führung qualifiziert, und daher nach der Gewerbeordnung entweder bestraft oder untersagt. Jeder, der seinem Sohn/Tochter etwas erklärt, riskiert Hausverbot oder Strafe. Im Wiederholungsfall erscheint der Hauptverantwortliche für die Einhaltung der Hausordnung und fordert entweder Schweigsamkeit oder droht ein Hausverbot an.
Da gilt das Grundgesetz der Meinungsfreiheit nicht mehr, auch nicht die Redefreiheit wie in Londons Hyde Park. In den Wiener öffentlichen Sammlungen lernt man, wie schnell man Meinungs- und Redefreiheit verbieten kann, ohne dass es einer Notverordnung bedarf. Der Schutz des lizenzierten Gewerbes erlaubt den Rückschritt weit hinter die Geltung des Grundgesetzes von 1867. Da braucht es keinen Sektionschef Hecht oder Pilnacek, es bedarf keiner Notverordnung.
Also gehen die Eingeborenen schweigend durch die Gassen. Und Touristen gleichen schon nach wenigen Tagen ausgenommenen Weihnachtsgänsen……Womit ihre spärliche Bekleidung plötzlich eine Begründung erfährt.
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