Reinhold Knoll
Gibt es noch
die Vereinigten Staaten von Amerika?
Über Donald Trumps Versuch,
den Staat umzubauen.
Essay

Alle beredten Gegner unserer derzeitigen Demokratien sind sich einig, dass die politischen Verzerrungen schrittweise stärker werden. Letztlich schwinden die großherzigen Freiheiten dahin und die Verfassungen werden systematisch um ihren Gehalt gebracht. Offenbar bevorzugt bereits ein Drittel der Bevölkerung Europas ein autoritäres politisches System: von Portugal, den Niederlanden bis Ungarn, Slowakei oder Polen, werden extreme und populistische Parteien gewählt.

Das Prinzip der Gleichheit, auf dem einmal Demokratien errichtet wurden, scheint längst den herrschenden Spielarten eines ungezügelten Kapitalismus zum Opfer zu fallen. Es war wohl der große Irrtum von Friedrich von Hayek, dass Kapitalismus und Demokratie einander bedingen, wie er im Buch Weg aus der Knechtschaft behauptet hat. Dieser gegenstrebigen Fügung hatte man Jahrzehnte hindurch geglaubt.

Ist also die politische Freiheit immer schon eine Illusion gewesen? Das behaupteten bereits Anarchisten vor zweihundert Jahren. An die großen Kundgebungen, bei denen Sprechchöre leidenschaftlich Demokratie, Sozialismus und internationale Solidarität skandierten, erinnern heute nur noch Photomontagen in historischen Museen.

Wenn es heute Kundgebungen gibt, dann haben sie den Charakter einer action directe. Es sind Verabredungen verwöhnter Kinder der Demokratie, die als Unzufriedene alles Demokratische über Bord werfen wollen. So sie an Kundgebungen in Europa teilnehmen, sind sie kaum von extrem links oder extrem rechts zu unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen die Affinität zu den Hassreden Hitlers.

Mit Donald Trump erhielt der internationale Rechtsruck seine Gallionsfigur. Was dahinter steckt, hat Elon Musk offen gezeigt: er konnte sich selbst vor Fernsehkameras den Hitlergruß kaum verkneifen. Und die Granden der Republikanischen Partei akzeptierten wortlos die Entgleisung! Trump und Seinesgleichen sehen sich ermächtigt, die USA zu vierteilen. Das Ziel wird der Verlust von Freiheit und Liberalität sein.

Damit das vormals gelobte Land endlich seinen Ruf verliert, unternimmt Trump alle Anstrengungen, den Staat in jene Zeit zurückzuführen, in der Rassentrennung, Risikogesellschaft und Sockel-Armut zur Tagesordnung zählten. Es soll also in den USA nicht nur erneut den Nord-Süd-Konflikt geben, sondern auch eine noch schärfere Trennung von Arm und Reich und den seit jeher merkbaren Gegensatz zwischen West- und Ostküste.

Und zu jedem Konfliktszenario erfindet der Präsident die erforderliche Vorbedingung: Sparprogramm im Bereich Sozialpolitik, Schwächung des Verwaltungsapparates, Steuererleichterung für höhere Einkommen, Streichung der Förderungen der Universitäten und Schulen, Umbesetzung der wichtigsten Ämter des Staates. Die Zustimmung in der Bevölkerung glaubt der Präsident durch neue Asylgesetze zu erhalten und mit seiner harten Linie in der Migrationspolitik.

Als Nächstes nimmt Trump die Gewaltenteilung aufs Korn. Systematisch ordnet er die Judikative unter die politische Kompetenz der Exekutive. Somit ist das alte ausgeklügelte System von Checks and Balances durch geschickte Retuschen ins Gegenteil verkehrt.

Die Judikative unter Trump ist ein Organ der Akklamation für präsidiale Sonderwege. Im Obersten Bundesgerichtshof haben die Claqueure bereits die Mehrheit. Es gab nicht einmal eine Minute des Nachdenkens, als Trump die Nationalgarde nach Los Angeles entsandte. Ab nun gilt in den USA, dass die ordnungsstiftende Gewalt die schöpferische Angst ist.

Sie war schon bei Thomas Hobbes der politische Topos für Ruhe und Ordnung. In der Abwehr von Rechtsstaat und der Abkehr vom Parlament sind den gesellschaftlichen Instanzen die Kompetenzen entzogen. Allein das Wort Gewerkschaft ruft die Polizei auf den Plan. Bei den Gewerkschaften vermutet Trump den Boykott seiner Verordnungen durch Asylwerber, Flüchtlinge und Regierungskritiker.

Nun ist es ein bequemer Zeitvertreib, der Demokratie Schwächen vorzuwerfen. Aber Trump ist ja kein Gegner der Demokratie an und für sich, eher fürchtet er die Zerrbilder bourgeoiser Demokratie – wie die Faschisten vor hundert Jahren. Er befürchtet das offene Wort, das sich selbst in den sozialen Medien eine Stimme verschafft. Gleich den Verfechtern des Totalitarismus ist Trump überzeugt, dass die Demokratie in den USA bisher ein Schwindel war und den Niedergang verschuldet.

Seine Demokratie wird demnächst die Indifferenz gegenüber den Leiden der Opfer zum Inhalt haben sowie die Technisierung des Gewaltvollzugs. Welches Amerika ihm da vorschwebt, das da groß auf seiner Kappe beschworen wird, bleibt ein Rätsel. Und der alte Vorwurf der Faschisten macht wieder die Runde, dass sich unter dem Deckmantel der Demokratie die Schwächlinge, Arbeitsscheuen und Duckmäuser verkriechen, die nicht wissen wollen, woher das Geld ihrer Unterstützungen kommt. Die meisten teilen diese Meinung, stellen daher die Demokratie an und für sich in Frage und denken gar nicht daran, sie zu verteidigen.

Diese Gefahr hat inzwischen bedrohliche Formen angenommen, doch die Gegner der Demokratie sehen mit dem Wechsel zum Totalitarismus ihre Zeit gekommen. Wie ein Aufatmen geht es durch die Reihen der Milliardäre in den USA, durch die Führungsgremien der populistischen Parteien in Europa, bald jede politische Verantwortung ablegen zu können. Nur zu gern würde man diese Verantwortung in den Händen Putins sehen. Was hat denn ein Arbeiter wirklich von der verheißenen Freiheit?

So viel hat Trump von Thomas Hobbes mitbekommen, dass eine soziale Ordnung nicht allein durch schöpferische Angst stabilisiert wird, sondern in der Verherrlichung der Gewaltakte, durch die eine neue, nahezu göttliche Erwähltheit kreiert wird.

Da herrscht ja nicht nur der Grundsatz, dass jeder Mensch seinem Nächsten ein Raubtier ist, sondern die politischen Ziele werden erreicht, indem den Zeitgenossen ordentlich Angst eingeflößt wird. Die Angst in der civic society ist Schutz und Prävention des Systems gegenüber Aufruhr und Aufbegehren.

Nach Trump ist der große kollektive Gewaltakt nötig, um die politischen Verkrustungen zu zerschlagen – eben das Biden-Regime. Gewalt wird zum Fanal des Anders-Machens der Welt. Neue Gemeinschaft, neue politische Ganzheit, spontanes Handeln können unbeschadet ausgeführt werden und bleiben als historische Taten bestehen. Es scheint, als könne unter Trump der Mensch mittels Vermögen zu sich selbst erlöst werden. Das ist für seine Anhänger das Erfolgsrezept und Glaubensbekenntnis.

Einmal hätte man glauben können, dass in den USA die soziale Ordnung mit dem Verzicht auf Machtaspirationen beginnt. Solche Aspirationen hatte man in die Außenpolitik verschoben. Das Geheimnis amerikanischer Demokratie beruhte auf der allgemein anerkannten Instanz der Selbstbeschränkung auf Gegenseitigkeit und war von der Instanz des Gewissens geleitet worden.

So hatte es Sigmund Freud in Totem und Tabu beschrieben und damals standen jedem Leser nur die USA vor Augen. Daraus hatte sich der politische Mythos ergeben, dass der Gewalt Grenzen gesetzt werden können und soziale Institutionen würden dafür Sorge tragen. So waren die USA um 1940 die Rettung für viele, die die Freiheitsstatue vor dem New Yorker Hafen mit Tränen begrüßten.

Das hatte Trump in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Regierungsperiode merkbar gedreht. Einmal hatte Josef Goebbels England vorgeworfen, zwar keine Demokratie zu sein, aber eine selbstsüchtige Plutokratie. Nun scheint es die zutreffende Charakteristik der US-Administration zu sein. Die merkwürdige Selektion von Personen für die Bereiche höchster politischer Kompetenz beruht auf der Annahme, ihre geringen Fähigkeiten würden wohl für den demokratischen Abbau ausreichen. Und wirklich provoziert man einen Zustand des Bürgerkriegs, der sich nun über das gesamte Bundesgebiet ausdehnt.

Jedenfalls wurde hier ein Abenteuer gestartet, über dessen Ausgang man inzwischen nur mutmaßen kann. Ob Trump die Folgen noch lenken kann, so nur unter der Voraussetzung eines massiven Eingreifens des Militärs samt Nationalgarde. Damit aber beginnt die politische Implosion der USA.

Können die USA ihre weltpolitische Rolle nach der Implosion einfach fortsetzen? Das ist mehr als fraglich. Den vernünftigen Weltstaat, wie er von Liberalen verstanden wurde, wird es nicht mehr geben. Die Trompetenklänge, die Trump in seinen Nachrichtenkanälen täglich ertönen lässt, werden bald kläglicher werden, denn es wird in dramatischer Weise vor allen Augen die Perversion der US-amerikanischen Geschichte inszeniert. Es wird wohl zu keiner Inthronisation der Stuarts oder gar Windsors kommen, die USA werden nicht noch einmal eine britische oder französische Kolonie, aber Trump kann man unterstellen, ein Machthaber neuen Stils zu sein. Auf der Suche nach historisch ebenbürtigen Tyrannen wird er zwischen Nero, Claudius oder Caligula wählen.

Der Präsident versteht nicht, dass er im Grunde eine nicht-militärische Nation regiert, der ein aggressiver Nationalismus fremd ist, der sich eher einer religiösen Bigotterie befleißigt und in grenzenlosem Stolz die ökonomischen Erfolgsgeschichten bewundert. Europa wird buchstäblich links liegen gelassen, ja es ist endgültig aus der Perspektive amerikanischer Politik ausgeschieden, wie schon zuvor im Bewusstsein der Amerikaner

Die alten USA wird es nicht mehr geben. Ob es eine USA in der gegenwärtigen Konstellation geben wird, eine kleinere, zusammenhängende Reihe von Bundesstaaten, die eine gemeinsame Verfassung zusammenhält, ist mehr als fraglich.

Kann es die Vereinigten Staaten von Amerika unter diesen Umständen noch geben? Die gegenwärtige Führung der USA will sich von der eigenen Geschichte in ähnlicher Weise trennen wie einst das Nazi-Deutschland vom Geist Weimars.

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Reinhold Knoll

Reinhold Knoll, geb. in Wien 1941. Gymnasium und Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. A.o. Hörer an der Akademie der Bildenden Künste. Promotion 1968 mit dem Thema „Früh- und Vorgeschichte der christlich-sozialen Partei bis 1907" (gedruckt). 1969 bis 1972 innenpolitischer Redakteur im ORF. 1973 am Institut der Soziologie an der Univ. Wien. Habilitation zur „Österreichischen Geschichte der Soziologie", gedruckt, mit Beiträgen von Helmut Kohlenberger 1988. A.o. Prof. für Soziologie ab 1989; Letzte Publikationen: The Revelation of Art-Religion, New York 2018; Letters to my grandchilden, New York 2021; und Beitrag zu Joseph von Sonnenfels, 2024.

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