Reinhold Knoll
Deutschland vor der Wahl
Notizen
Die Woche vor der Wahl in Deutschland zu verbringen, ist wie eine Auszeichnung. Da ist in Baden-Württemberg nichts von der Hektik zu verspüren, die das deutsche Fernsehen zu inszenieren versucht. Die Straßen in der Stadt sind nahezu leer, als wären Winterferien. Die Geschäfte sind leer, manche werben letztmalig mit Räumungsverkauf.
Neu in der Innenstadt ist ein nobler Laden, der chinesische E-Autos ab 70.000 bis 100.000 Euro anbietet. Im geschlossenen Kaufhof (Benko) waren einmal im Parterre die Teslas angeboten worden, gleich vis-à-vis Porsche. Beide sind weg. In der berühmten und wunderschönen Markthalle haben die Verkäufer exotischer Gewürze erstmals Zeit für Kundschaft, so wenig Interessenten sind hier.
Entlang der Gassen Photos junger liebenswürdiger Damen, die für kleine Parteien werben. Der Protagonist der CDU wird oft mit Hitlerbärtchen und Scheitelfrisur öffentlicher Häme ausgeliefert. Olaf Scholz – ganz Bundeskanzler ist leibhaftig made in Germany. Und die Grünen? Habeck. Er ist der liebe Deutsche wie dereinst Hardy Krüger im Film. Ihm nimmt man nichts krumm, eher der Baerbock. Die neue Aufrichtigkeit ist Deutschlands Stolz, dahinter Ratlosigkeit.
Was passiert, wenn die Wahl jenes Patt wiederholt, das Österreich lahm legte? Was passiert, wenn nur die Große Koalition als Variante übrig bleibt? Schon jetzt können sie einander nicht riechen. Wie in Österreich zittert man wie das Kaninchen vor der Schlange: Weidel! Sie hat den Charme einer ehemaligen BdM-Führerin. Wenn sie lacht, ist es Aggression. Wenn sie um sich schaut, wie das Anzählen unterlegener Gegner. Sie ist nur im TV präsent, angeblich noch gegenwärtiger auf Tiktok, Instagram und überall sonst. Da brilliert sie, sagt man, und zieht hinter sich den Rattenschwanz zukunftsscheuer deutscher Jugend her. Im Stadtbild gibt es sie nicht.
Man hört die Programmreden. Man sieht den unbegründeten Optimismus bei Merz, das Resignieren bei Olaf, der immer wiederholt, dass man alles in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat: Soziales, Ökonomisches, Bildung und Klima. Immer schon. Und dafür bürgt er. Und spätestens hier kommen die Stichworte: Magdeburg, Aschaffenburg, München. Es reicht!
Da wird man an den Ablauf der beschwörenden Reden erinnert: Zuerst Hitler als Höcke, Hugenberg als Söder, Papen als Merz und schließlich Ebert als Scholz. Welche Alternative soll es dann geben – wenn eine Koalition verhandelt werden soll? Und die FDP? Ihr fehlt der soeben verstorbene Gerhard Baum. Ihr fehlt die Ergänzung zum plumpen Spruch, dass wir alle die Wirtschaft sind und dem Tüchtigen die deutsche Zukunft gehört. Gehört sie ihm?
Inmitten der gespielten Bedeutung Deutschlands geht über die Köpfe hinweg der Deal zwischen Trump und Putin. Das trifft hier alle hart – nur nicht die Russland-Partei. Und das ist ja nicht nur Sarah Wagenknecht. Groteske Fälschungen der Geschichte sind die Themen der Streitigkeiten. Scholz sagt, aus Übermut würde man sich in Abenteuer einlassen, die er immer vermieden hat, selbst wenn es Kiew die Existenz kostet. Er sagte aber auch: Russland darf den Krieg nicht gewinnen.
Alle bereiten sich auf die Vivisektion der Ukraine vor. Trump will die Bodenschätze, Putin den Welthandel mit Getreide. Da sollen die Europäer gefälligst draußen bleiben. Da zittern alle, nur Merz nicht.
Bei ihm wird alles einfacher. Das Unabänderliche, im Vorhergehenden Begründete lässt die Katastrophe aus dem Nebel steigen. Selbst am Ende des Krieges beginnt die neue Verstrickung…ohne Vision, aus Unkenntnis der Zusammenhänge. Daher leitet auch Merkels ehemaliger Berater die Münchener Sicherheitskonferenz. Tenor zur Rede des US-Vizepräsidenten: Überraschend! Europa am Katzentisch.
Das kümmert in Deutschland die Öffentlichkeit überhaupt nicht. Olaf hat ja alles auf die Wege gebracht, sagen auch die Grünen. Im Wahlkampf ist Merz der Buhmann wegen der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD. Das wird die kommende Last für Deutschland werden: Wer mit wem? Und Musk sagte ja: Es führt kein Weg an der AfD vorbei. Fehlt nur noch, dass Steinmeier wie Hindenburg agiert…das wird er nie tun. Er sitzt ja nicht hilflos in der Wiener Hofburg.
Allerdings überschätzt die SPD ihre Bedeutung. Sie merkt es noch immer nicht, erheblich geschmolzen zu sein. Sie merkt es in ganz Europa nicht. Sie weiß auch nicht weshalb? Sie hat schuldhaft alles versäumt, nur auf den Weg gebracht.
Zermürbt glaubt man in Deutschland hinter vorgehaltener Hand an die erneuerte Autokratie, zumindest ein Fünftel – noch. Dagegen ist alles umsonst, aus Mangel an Instinkt, an Kraft, an Persönlichkeit. Je gefährlicher die Lage, desto volkstümlicher das Alltagsleben. Der schöpferische Gedanke schmilzt dahin, er erreicht nicht mehr die Wunschgebilde Europas von 1990.
Man sieht an Deutschland, wie Europa im Dilettantismus als totes Phantom verwirklicht wird.
Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.
Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen
