Reinhold Knoll
Der neue Geist der USA
Historischer Rückblick und Einschätzung
der derzeitigen Lage
2. Teil:
Die Politik ab den 1960-er Jahren
Essay
1. Teil: https://schoepfblog.at/reinhold-knoll-der-neue-geist-der-usa-1-teil/
Die Drehscheibe im US-Nachkriegskonservativismus war der Philosoph Leo Strauss (1899-1973). Strauss war schnell in aller Munde, denn am Beginn seiner Karriere holte er zu einem Rundumschlag aus, der sowohl den Liberalismus, dessen wirtschaftliches Gewand, als auch die gut situierte Bürgerlichkeit traf.
Bei Leo Strauss war schnell klar, dass der Nutzen über die Tugenden zu stellen ist. Eliten und Adel, also europäische Geschichte, waren ihm insgesamt nicht geheuer. Er diagnostizierte, dass das Bürgertum grundsätzlich politisch instabil ist, da es über kein solides Wertefundament verfügt. Das Bürgertum sei wie ein Fähnchen im Wind, ja sein Hauptmerkmal sei ein politischer Opportunismus, der sich sogar in der Art eines Vorauskonformismus zu erkennen gebe.
So ist das Bürgertum zu beliebigen Anpassungen fähig. Leidtragender dieser charakterlichen Mängel ist der Staat selbst, vor allem, wenn er seinen Kurs an der bürgerlichen Wohlfahrt ausrichten will. Strauss hatte erhebliche Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Volkes, der Menge. Mit schamloser Offenheit rät er dem politischen Akteur zum Schwindel, empfiehlt Halbwahrheiten zu verkünden. In vielen Texten liest man die versteckten Aufforderungen zu Tricks und Täuschungen, um das Staatsschiff auf Kurs zu halten. Man kann sogar behaupten, Strauss sei der zweite Macchiavelli, denn er würde an Politikers Stelle nichts unversucht lassen, seinen Vorteil zu wahren.
Das war auch der Grund, weshalb sein Schüler Allan Bloom (1930-1992) kulturkritische Essays über den moralischen Verfall der USA schrieb. Im Decline of the American Spirit hatte er die Universitäten bezichtigt, in den Ausbildungsprogrammen vom Geist und Anforderungsprofil der Wissenschaften weit entfernt zu sein. Aus gesellschaftspolitischen Erwägungen missbrauche man die Universitäten zu Agenturen von Gleichheit und Gleichbehandlung und verwechsele sie mit den Instrumenten der Sozialpolitik. Damit würde die Pflicht zur wissenschaftlichen Erkenntnis nicht nur verletzt, sondern die künftigen Mängel in der Ausbildung würden auch nicht ausbleiben.
Die Neokonservativen folgten dieser Einsicht und teilten auch die Diagnose vom allgemeinen Verfall der Bildungsinstitutionen: Es war parallel dazu auch die Analyse und Diagnose von Staat und Gesellschaft bei Francis Fukuyama (1952) und Paul Wolfowitz (1943). Sie waren Blooms Schüler gewesen und durch ihn waren sie darauf trainiert, die allgemeine Entwicklung zu beurteilen.
Fukuyama
Speziell Fukuyama hatte die westliche Welt überhaupt mit dem Ende der Geschichte konfrontiert. In einem Hegel-Verschnitt attestierte er dem Weltgeist, müde geworden zu sein. Ausgangspunkt war der berühmte Satz Hegels: Wie die Eule der Minerva zu fliegen beginnt, wenn die Dunkelheit bereits eingesetzt hat, blüht die Philosophie auf, wenn eine Geschichte an ihr Ende gelangt.
Fukuyama sah, dass auch für die Sowjetunion das Ende gekommen war, sodass die politische Form der liberalen Demokratie übrig blieb. Doch war er von den beiden Lehrern beeinflusst, von Allan Bloom, dem Analytiker des Niedergangs, und von Samuel Huntington, der im Clash of Civilizations die künftige Geschichte als Kampf zwischen Zivilisationen beschreibt. Der erste Theoretiker, der diese Annahme publizierte, war weiterhin unbekannt geblieben, Ludwig Gumplowicz, der noch vor 1900 in Graz Ähnliches im Rassenkampf befürchtet hatte.
Fukuyama war unter Reagan und dem älteren Bush Strategieberater der amerikanischen Außenpolitik, Bloom war hingegen zum Berater des Präsidenten Reagan aufgestiegen. Im Gegensatz zu Fukuyama war Wolfowitz unter George Bush dem Älteren Berater und zugleich der Motor der globalen Verbreitung des Modells des Westens in allen Belangen.
Sie alle liefen unter der Bezeichnung sogenannter East-Coast-Straussians, die bald von den West-Coast-Straussians unterschieden wurden.
Die West-Coast-Straussians fanden ihren Mentor in Harry Jaffa (1918-2015). Sie scharten sich ums kalifornische Claremont Institute, setzten die bei Konservativen häufig bevorzugte Linie des Isolationismus fort und plädierten für einen strikten Kurswechsel in der amerikanischen Politik. Eigentlich wollten sie den Ausstieg der USA aus der Weltpolitik. Sie wollten also das Ende der Globalisierung erreichen und das sollte der Tenor der US-amerikanischen Außenpolitik sein.
Ein anderer der Gruppe, Michael Anton (1969), befürwortete für die USA unter Berufung auf Leo Strauss das politische Modell des Caesarismus. Ebenso plädierte er für einen neuen Caesar, der allerdings die politische Ordnung zuerst suspendieren sollte, um sie erneuert wieder zu errichten.
Das ist vermutlich ein politisches Motiv bei Donald Trump. Man kann diese Tradition auch so interpretieren, dass es seit den 1970-er Jahren durchaus denkbar war, einmal Wirtschaft, Kulturleben, Bildungseinrichtungen auf Null hinunterzufahren, um dann neu anfangen zu können.
Peter Thiel
Hier muss man die spezielle Art des US-Konservativismus in Erinnerung rufen, der sich im ersten Schritt die Zerstörung der gewachsenen politischen Ordnung vorstellen kann. Damals hätte man diese Hypothese für absurd abgetan, seit Trump ist sie es nicht mehr.
Der Unterstützer dieser These, Peter Thiel (geb. 1967), sah überhaupt bereits ein Straussian Moment in der Gegenwart, nämlich die Ankündigung einer Situation, in der alles ungewiss, ja sogar mit der bewussten Prekarisierung der Gesellschaft gerechnet wird. Gleich am Beginn seiner Gedanken zweifelte Peter Thiel an den Kräften des Westens, sich künftig gegenüber den Feinden zu behaupten. Der Westen verfüge auch über keine Selbstheilungskräfte. Also müsse der Westen auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden.
Die constitutional machinery samt ihren checks und balances hindere die Begabten, Talentierten, Männer mit Intentionen ihre Fähigkeiten in die Waagschale der Politik zu werfen, um die alte Republik wieder herzustellen. Also müsse man die Alte Republik zuerst hinwegfegen.
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand, dass Trump diese Positionen nicht nur kannte, sondern teilweise im engen Umgang sich von diesen anregen ließ, Ähnliches zu versuchen. Sind also die absurden Lügen, irrationalen Extempores nur dazu da, diesen höheren ordnungsbildenden Zweck samt der Voraussetzung der vorausgehenden Zerstörung zu erfüllen, den er bislang vor der Öffentlichkeit verbarg?
Es wird eine Hypothese bleiben. Vor allem nötigt es den Präsidenten, bei der rastlos rasenden Umgestaltung das Tempo beizubehalten.
Die 1980-er Jahre
Die 1980-er Jahre waren von einer neuerlichen Wende charakterisiert, wobei die Konservativen jetzt im Paläokonservativismus gesehen wurden. Das hatte sehr viel mit Leo Strauss zu tun. Noch hatte man ihn für fortschrittlich gehalten, für einen verkappten Liberalen. Er schien zwar altmodisch zu sein, was ja dadurch bewiesen ist, da Strauss in den 50er Jahren noch demokratisch gewählt hatte. Die Themen werden aber gewechselt.
Reuig kehrten auch die Paläokonservativen in den Schoß der Old Rights zurück. Das ging nicht ohne Erfüllung diverser Wünsche: Die Regierung müsse die Beamtenschaft reduzieren, die USA sollte ihre Bedeutung in der Weltpolitik erheblich verringern, allfällige Mangelerscheinungen im Konsumangebot durch Protektionismus kompensieren.
Es waren durchwegs merkwürdige Ratschläge, die bewusst bis an die Grenze legaler Verwaltung gingen. Also konnte man sich vorstellen, dass die Regierung, die regelmäßig mit der Forderung nach einem Minimum an Bürokratie konfrontiert wurde, auch dem Wunsch nachkommen sollte, sich aus dieser verdammten verflochtenen Welt herauszuhalten und allfällige Mangelerscheinungen durch Protektionismus zu kompensieren. Was es in den USA nicht gibt, aber benötigt wird, könne man selbst im Isolationismus importieren. Erstmals werden Migrationsprobleme laut, erstmals zerbricht man sich den Kopf, wie den Wanderungsbewegungen vom Süden nach Norden Einhalt zu gebieten ist.
Die Paläokonservativen begegnen dem Multi-Kulti-Egalitarismus der Neocons mit dem Glaubensbekenntnis an eine natürliche Hierarchie, an Familie und Patriotismus. Jetzt entflammten die Studentenproteste auch in den USA und die Schüler von Herbert Marcuse (1898-1979) machten von sich reden: Paul Gottfried (1941) oder der Publizist Sam Francis (1947-2005).
Francis ärgerte sich über den aufgeblähten Mechanismus des Staates. Dieser Staat sei es, der die Vorteile der Demokratie auffresse. Kein Wunder, merkte Francis an, denn die Regierung befinde sich in den Klauen der technokratisch-kleptokratischen Klasse.
Noch wird das Begriffsinventar der politischen Kritik nicht bemerkt, aber es kommt in den Analysen des technokratisch-kleptokratischen Staats zum Vorschein. Das Remedium wäre die Wiederentdeckung des weißen Amerikaners. Dem weißen Mann würde aber von Medien und Universitäten der Kopf verdreht.
Francis nutzte seinen Einfluss auf seinen Mäzen Pat Buchanan (1938), einen republikanischen Politiker und Kommunikationschef im Weißen Haus unter Reagan. So entstand das Verlangen, dass sich alles ändern müsse. Die Stunde schlug dem neuen Geist bei den Wahlen 1992 und 1996, die aber Francis nicht mehr erlebte. Man sagt, seine Gedankenwelt sei die Blaupause des politischen Programms von Trump. Die Hypothese ist schwer haltbar, aber sie reift zusehends heran.
Und die 1990er Jahre?
Jetzt stellte sich heraus, dass für die nächste Generation Konservativer die Neo- und Paläocons keine ausreichende Anziehungskraft besaßen. Die Old-Right-Bewegung konnte mit deren Kriterien wenig anfangen. Dank der medialen Läuterung entstand ein Sammelbecken für Lifestyle-Rechte, deren Zulauf aus den Reihen der White Supremacists, den erwachten Neonazis, den Kulturkämpfern gegen Transgender und aus der Aufmerksamkeit der Wokeness gekommen war. In ihr wurde Steve Bannon (1953) groß, Trumps Chefstratege bis 2017.
Beim Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 waren sie dann zu sehen, die Reservearmee der Empörten. Da wurde aber nur angedeutet, was geschehen könnte. Die Old-Rights haben nur Spott und Hohn übrig für staatliche Ordnung oder demokratische Traditionen, für Gerichte und Ordnungskräfte. Man weiß seit 2021 von der Drohung, durch Aufstand und Bürgerkrieg und Chaos die Macht über den Ausnahmezustand zu besitzen.
Und seit den 90er Jahren?
Die religiöse Indifferenz der Old Rights, die in Gebaren, Kleidung, Tätowierung deutlich aufmerksam machen möchten, sie befänden sich wieder im vorchristlichen Heidentum, rufen den Widerstand der Theocons auf den Plan. Es sind ebenfalls Krieger der Kulturen, berufen sich aber bei ihrem Feldzug auf die Bibel. Sie wissen, dass alles Handeln vom Segen Gottes begleitet wird.
Die Kriterien sind regelmäßig der Widerspruch zur gesellschaftlichen Alltagspraxis: Abtreibungsverbot, Ehemonopol für Heteros, die Schöpfungslehre im Schulunterricht kreationistisch. Es sollen Maßnahmen sein, die den Sittenverfall, den Mangel an öffentlicher Sicherheit und Ordnungsverlust anhalten.
So sind die evangelikalen Christen die wichtigsten Förderer und Unterstützer Trumps und ihnen begegnet man überall, in Schulen, in Ämtern, bei Gericht. Es sind die braven Bürger, wohlgesittet, schamhaft, auch überzeugt, dass Trump die USA ins neue Jerusalem verwandelt. Parallel dazu existiert die postliberale Bewegung, die Obama sehr förderte. Sie ist mehrheitlich katholisch und deren Vordenker ist Patrick J. Deneen (1964) mit dem Buch Why Liberalism failed.
Hier liest man über die Schattenseiten des Liberalismus und Deneen will einen sozialkonservativen Regime Change erreichen. Der Punkt, wo diese Ansätze einige Berechtigung haben, liegt am Umstand, dass Neoliberalismus und die Ablenkungsmanöver der Wokeness zu Armut und Spaltung der Gesellschaft führten.
Was ist Wokeness?
Nun muss man den Begriff Wokeness näher bestimmen. Entstanden war er in den 1930-er Jahren, war anfänglich als Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierung und Vorurteil gedacht. Das Ergebnis sollte eine Selbstkontrolle sein, die Verhütung unbedachter Annäherung an rassendiskriminierende Gruppen oder gar unbedachte Äußerungen, die rassistisch verstanden werden könnten, sollten unterlassen werden.
Daher war das Wort Wokeness zuerst in der afro-amerikanischen Umgangssprache geläufig. Bald widerfuhr dem Begriff aber eine inflationäre Entwicklung, denn nicht nur das Gebot der Selbstkontrolle verleitete zur Selbstgerechtigkeit, die recht gut zur puritanischen Moral-Zelebration passte, sondern es war auch die Anwendung bis in die Bereiche eines Woke-Capitalism oder in ein Woke-Washing vorgedrungen.
Ab 2014 wurde der Begriff wieder mondän: nach der Erschießung von Michael Brown Ferguson durch die Polizei machte Wokeness wieder die Runde. Einerseits durchlief der Begriff die schwarz-amerikanische Minderheit, die aber bald die Vergeblichkeit dieser Art von Selbstkontrolle bemerkt hatte, ja diese auch in Frage zu stellen begann. Daraus war eine Art der Anti-Elite hervorgegangen, die man gemäß Wokeness ebenso ablehnen sollte, da nun die Diskriminierung den umgekehrten Weg einschlug.
Zur Popularisierung von Wokeness trug ein Lied von Redbones bei, Childish Gambino, es war auch die Initialzündung für die MeToo-Bewegung oder Time´s Up. Immer öfter wurde es zu einer Taktik der Aufmerksamkeit gegenüber anderen und die selbstbezogene Reflexion wurde seltener.
Patrick Deneen war nun der ernst zu nehmende Publizist, der aber nicht den Weg zum Marxismus nehmen wollte, sondern zum Kommunitarismus, letztlich zu einem pragmatischen Programm der Aussöhnungen. Es sind hochherzige Ziele gewesen, doch je versöhnlicher sie klingen, desto größer wird die Distanz zu Trumps Politik werden.
Fortsetzung dritter und letzter Teil in einer Woche
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