Reinhold Knoll
Dem Schlimmsten zu
Nach dem Meister-Coup der Ukraine
Notizen

Mit diesem Titel hatte Samuel Beckett versucht, jener Sprache zu entkommen, die uns inmitten sozialer Medien in einen Teufelskreis verstrickt. In gebotener Kürze erteilte Beckett Befehle, wie ab nun etwas zu sagen ist.

Angesichts dieser Siegeslaune, mit der der Schlag gegen die russischen Militärflughäfen quittiert wurde, wird man an diese Aufforderungen Becketts erinnert: worstward to – dem Schlimmsten zu…

Mag sein, dass der Coup der Ukraine gegen Russland ein Meisterstück gewesen ist, mag sein, dass mit dem Verlust der Fluggeräte dem russischen Angriffspotential schwerer Schaden zugefügt wurde und mag es auch sein, dass die Angriffe auf die Ukraine wegen der zerstörten Flugzeuge etwas an ihrer furchtbaren Schlagkraft verlieren, so ist der Friede in noch weitere Entfernung gerückt. 

Der russische Präsident wird sich noch mehr in seine Weltmachtpläne vertiefen, träumt gewiss von einem vernichtenden Schlag gegen die Feinde und sieht überall und nur noch Feinde. Er wird das Schicksal von Macbeth erleiden, denn als Tyrann ist er der Feind aller Hoffnung. Wahrscheinlich stehen seine Gegner in seinem Nachrichtendienst schon Gewehr bei Fuß, ihm auch diese Schlappe anzurechnen. Zynische, intrigante und gewiefte Offiziere des Nachrichtenwesens, die jetzt nur ihre Stellung schützen, werden wegen ihres Herrn nicht aus dem Fenster springen. Und das Volk bleibt stumm wie immer.

Das ist die Tragödie, die sich hinter dem gelungenen Coup versteckt. In Russland kann es nur noch finsterer werden. Es ist der kranke Traum der Tyrannei, nicht nur die Gegenwart zu vergiften, sondern auch künftige Generationen, um sich auf ewig auszubreiten.

Russland wird wegen dieses Schlages seine militärischen Anstrengungen noch erhöhen, um irgendeinen Erfolg möglichst bald verbuchen zu können. Allerdings besitzen Putins Pläne auch einen Fixpunkt, der wie ein Fluchtweg anmutet: die US-Politik des Sprunghaften und Unvorhersehbaren bleibt bestehen. 

Wer hätte gedacht, dass mangelhafte Überlegungen die US-Politik bestimmen, wo uns doch über Jahre eingebläut wurde, die höchste Form von Politikwissenschaft, Internationalem Recht und politischer Planung residiert Tür an Tür im Oval Office neben dem Büro des Präsidenten. 

Aber was kann eine Wissenschaft bestellen, wenn der Präsident an ganz anderes denkt? Wovon Donald Trump träumt, das hat Putin bereits in Fülle: Macht, ein Reich und alles, was zu diesem Reich gehört. Will Trump Putins bargeldlosen Reichtum? Ganz Russland ist praktisch Putins Eigentum. Da erweist sich jede Demokratie als spießbürgerlich, sogar mickrig.

Deshalb hält Trump von einer Demokratie herzlich wenig. Was kann sie ihm bieten? So folgt er seinem Vorbild. Wenn Putin die Ukraine will, warum kann er dann nicht Kanada wollen oder Grönland? Die Absurdität dieses Plans mindert nicht die Absicht. Und dann ist ihm auch Europa ein Dorn im Auge. Bei diesem Wettkampf mit Putin hat Trump die besseren Gewinnchancen: Er kann Europa nachhaltiger und schneller zerstören als Putin. Darauf beruht Trump´s ganzer Stolz!

Allein der Gedanke, dass einem nach jedem Satz über Russland sofort der Name Trump einfällt, sagt mehr über den Wandel in unserer Welt aus als jede Statistik über atomare Sprengköpfe. So ist dieses Kunststück des Nachrichtendienstes der Ukraine zugleich die Ansage, mit dem Krieg noch lange nicht fertig zu sein. 

Während die armen Europäer noch überlegen müssen, wie sie ihr Rüstungsprogramm nach welchen Kriterien aufbauen sollten, zeigte die militärische Führung der Ukraine, welches Waffenrepertoire bei Einfallsreichtum zur Verfügung steht.

Nun muss man in Erinnerung rufen, dass die Experten, die jetzt den ukrainischen Coup euphorisch verkünden, am Beginn des Krieges der Ukraine keine Chance einräumten, dem russischen Angriff längere Zeit zu widerstehen. Nun sind die gleichen Experten begeistert über diesen klugen Schachzug, der der russischen Armee viel Reputation kostete. 

Also ist den Experten nicht nur ein Prinzip entgangen, das in der Strategieplanung eine immer größere Rolle spielt, sie werden fettleibigen Zuschauern beim Fußballspiel immer ähnlicher. Die wissen immer, wie ein Ball zu spielen ist. Kaum beachtet wird, obwohl es nicht an Hinweisen fehlt, dass bei zunehmender Waffentechnik Krieger-Aristokraten ausgebildet werden. Deren Tüchtigkeit und Wirkung beruht auf der Überlegenheit ihrer Waffen. 

Ladislaus von Bortkewitsch hatte 1898 erstmals das Gesetz der kleinen Zahl publiziert und dafür ein mathematisches Modell entwickelt. Man könnte auch sagen: Weniger ist mehr. Somit kann ein Effekt verbesserter Waffensysteme genutzt werden, der immer bedeutsamer geworden ist, nämlich durch eine kleine Anzahl von Beteiligten die daraus gewonnene Überlegenheit zu nutzen. 

Natürlich ist das Artificium der Bewaffnung die Vorbedingung, doch es räumt den zahlenmäßig Unterlegenen bei gleichzeitiger Konsequenz der herstellenden Intelligenz eine ungleich größere Chance ein als dem gigantischen Aufmarsch der russischen Kriegsmaschinerie. Das Zwischenspiel mit Prigoshins Wagner-Truppe bot das Bild militärischer Konfusion, das durch die Teilnahme von koreanischen Söldnern nur bestätigt wird. 

Diese Art der Privatisierung des Kriegs war ein Rückschritt, der die Homogenität der Truppen auflöste, so diese jemals bestanden hat. Auf der anderen Seite stieg die Grausamkeit in den Kampfgebieten drastisch an, je weiter sich das Kriegsziel vom Kampfeinsatz entfernte. 

Inzwischen erzielte die Ukraine trotz ihrer Unterlegenheit achtbare Erfolge, was aus dem Anwendungsbereich der Spieltheorie nach Oskar Morgenstern abgeleitet werden kann. Das hat der bisherige Kampfverlauf gezeigt, weil an völlig verschiedenen Orten, Zeiten und bei unterschiedlicher Wahl des Waffeneinsatzes ein höchst inkonsistentes Bild der Schlachtfelder geboten wird. 

In Beantwortung dieser Überraschungen hatten die Russen nichts anderes zu bieten, als systematisch zivile Ziele  anzugreifen. Und das Waffenarsenal in beliebig hoher Zahl ist auch der Grund, dass über weitere militärische Interventionen nachgedacht wird, was bislang tabuisiert war und womit auch die Ideologie einer Partie remis der Weltmächte beendet wurde. 

Putin hatte diesen lähmenden Bann des kalten Kriegs endgültig gebrochen und Donald Trump hatte hier nicht nur Schützenhilfe geleistet, sondern nährte auch den Traum vom finanziellen grand slam, der die Weltmächte wieder als Geldmächte zusammenführt.

Diese Überlegungen sind die bei weitem wichtigeren als der Überraschungscoup der Ukrainer. Die allgemeine Bewunderung für den gelungenen Streich ist schließlich auch vom Wunsch begleitet, die Ukraine möge noch recht lang die Stellvertreterin sein und für unsere Interessen den Kopf hinhalten. 

Jenseits dieser lärmenden Zirkel der Militärs liegt die Welt. Die Völker sind nicht dafür geschaffen worden, um einander zu zerstören. In den Hirnen der Mächtigen scheint es aber nur einen Gedanken zu geben: schlimmer als der Krieg ist dessen Ende – dem Schlimmsten zu…

…Es führen viele fest ihr Pferd am Zügel,
Der Ruhm der tausend Schlachten ist verweht.
Was bleibt vom Heldentum? Ein morscher Hügel,
Auf dem das Unkraut rot wie Feuer steht…!

Kung-fu-tse

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Reinhold Knoll

Reinhold Knoll, geb. in Wien 1941. Gymnasium und Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. A.o. Hörer an der Akademie der Bildenden Künste. Promotion 1968 mit dem Thema „Früh- und Vorgeschichte der christlich-sozialen Partei bis 1907" (gedruckt). 1969 bis 1972 innenpolitischer Redakteur im ORF. 1973 am Institut der Soziologie an der Univ. Wien. Habilitation zur „Österreichischen Geschichte der Soziologie", gedruckt, mit Beiträgen von Helmut Kohlenberger 1988. A.o. Prof. für Soziologie ab 1989; Letzte Publikationen: The Revelation of Art-Religion, New York 2018; Letters to my grandchilden, New York 2021; und Beitrag zu Joseph von Sonnenfels, 2024.

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