Reinhard Kocznar
Was ist der Sinn des Lebens?
Notizen
Welch eine Frage. Ich habe sie mir nie gestellt und auch nie das Bedürfnis empfunden, sie zu stellen.
Into this house we’re born
Into this world we’re thrown
Like a dog without a bone
An actor out on loan
(In dieses Haus werden wir geboren
In diese Welt werden wir geworfen
Wie ein Hund ohne Knochen
Ein Substitut im Theater)
Riders on the storm, The Doors, 1971. Alles gesagt.
Viktor Frankl geht das ausführlicher an. Eines Tages sah ich in der Auslage einer Buchhandlung Viktor Frankls Das Leiden am sinnlosen Leben. Dieser Titel zeigt, dass das sehr lange her ist. Derartiges verirrt sich nicht mehr in eine Buchhandlung.
Das Leiden am sinnlosen Leben? Was es damit auf sich hat wollte ich wissen und überging den Untertitel Psychotherapie für heute, welche nicht mein Revier ist.
Viktor Frankl zu lesen lohnt sich immer, zumal er als Arzt berufen war, sich der Probleme derer anzunehmen, die sich an ihn wandten; in diesem Fall – deren Leiden am sinnlosen Leben.
In der Einleitung erklärt er, dass vor dem fehlenden Sinn des Lebens der Minderwertigkeitskomplex vorherrschend war – heute unverständlich. Man dürfte ihn nur mehr mit forensischen Mitteln finden. Es muss die Zeit gewesen sein, in der noch Meriten gezählt haben, also was man geleistet hat. Das ist vorbei.
Was früher die Erbsünde war, die ich nie verstanden habe, weil es nichts Unschuldigeres gibt als ein neugeborenes Kind, ist umgekehrt worden. Heute kommt der Mensch mit Ansprüchen zur Welt, weil er von vorn herein in irgendwelchen Rechten verkürzt ist.
Den Namen habe ich vergessen, aber ein deutscher Sozialist hat allen Ernstes eine Zahlung bei der Geburt verlangt, sozusagen eine Entschädigung für die Erbsünde der Gesellschaft an den Ungeborenen.
Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen, erkannte Goethe. Damals reichte es schon aus, heute nicht überlegen zu müssen, was man morgen zu essen hat, um Sinnsuche zu betreiben. Suchen ist gefährlich. Es gibt zu viele, die sich der Suchenden annehmen. Nietzsche hat das besser gelöst: Als ich des Suchens müde ward erlernte ich das Finden.
Den Sinn ihres Lebens generieren heute viele mit Rettung oder wenigstens Verbesserung der Planetin. Die Welt zu einem besseren Platz machen ist eine Standardfloskel – pardon, ein Narrativ, unter anderem in der IT. Deren Akteure könnten problemlos daran mithelfen, indem sie bessere Programme schreiben oder die funktionierenden nicht gleich verschlimmbessern, sobald sie einigermaßen laufen. Leider denken sie weit darüber hinaus.
Eine andere Möglichkeit ist, Präsidenten wie z.B. Trump zu analysieren und Auswirkungen seines Handelns zu erörtern. Das Detail, dass wir nichts mitzureden haben, wer wo Präsident wird und sich nicht einmal dessen Konkurrenz, die Demokraten, auch nur eine Sekunde mit diesen Erörterungen befassen, lassen wir beiseite.
Dessen ungeachtet hatte Frankls Buch neben interessanter Lektüre einen unerwarteten Zusatznutzen. Er erwähnt darin die paradoxe Intention. Er beschreibt sie ausführlich. Vereinfacht gesagt strebt man bewusst das Gegenteil dessen an, was man erreichen möchte: daher die paradoxe Intention.
Mir war das aus persönlicher Erfahrung nicht neu. Nur es als Methode zu diagnostizieren, die einen Namen hat. Ich habe es immer schon in Verhandlungen verwendet. Man braucht nur ruhige Nerven, Gegenargumente noch zu verstärken anstatt zu versuchen, sie zu widerlegen.
Der konkrete Nutzen kam, als ich die paradoxe Intention einmal einer befreundeten Psychiaterin gegenüber erwähnte. Milde lächelnd korrigierte sie mich: paradoxe Intervention.
Im ersten Moment war ich perplex. Wie kann man Intention und Intervention verwechseln? Intention ist Absicht, intendere bedeutet anstreben, im Sinn haben. Intervention kommt von intervenire, dazwischentreten, eingreifen.
Sie ging auf die vorgeschlagene Wette ein, eine Flasche Single Malt, wenn ich recht habe, andernfalls ein Äquivalent ihrer Wahl. Es war die erste nicht selbst bezahlte Flasche Single Malt.
Den Spaß wiederholte ich bei einem Freund, von Beruf Psychologe, mit demselben Resultat. Eine Weile machte ich mir den Spaß, es bei allen zu versuchen, die in der Psycho-Richtung arbeiten, alles lief wie gewohnt. Meine Erklärung für dieses Phänomen ist, dass sie ihre Interventionen abrechnen können und Intentionen nicht.
Was hinterlassen wir den anderen? Eine immer wieder gestellte Frage, die eigentlich keine Antwort will. Sie soll eher die Nachdenklichkeit des scheinbar Fragenden sichtbar machen.
Nehmt euch nicht so wichtig.
How can you be so sure
That the wonders you’ve made in your life will be seen
By the millions who’ll follow to visit the site of your dream?
(Wie können Sie wissen,
dass die Wunder, die Sie in Ihrem Leben vollbracht haben,
von den Millionen Menschen gesehen werden,
die Ihnen in ihre Träume gefolgt sind?)
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