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Reinhard Kocznar
Unerwünschte Belehrung – eine Zeitkrankheit
Notizen

Warum Ungleichbehandlung besser ist…, lautet eine Schlagzeile.

Schon wieder jemand, der mir erklärt, warum etwas so ist oder zumindest so sein soll. Oft schließt das dann mit der Floskel: ob es uns gefällt oder nicht. Mit uns ist dann allerdings gemeint ihr anderen; und zugleich eine Minderheit, die wieder jemandem etwas vorschreiben will.

Warum hoch und groß gebaut werden muss …Meine Frau lächelt. „Im Vorhinein“, erinnert sie sanft.

Natürlich – im Vorhinein. Darum geht es hier. Eine Frage wurde beantwortet, bevor sie gestellt werden konnte. Sie wurde aufgeworfen, während ich noch im Dunklen verstrickt des Wesentlichen nicht gewahr bin, auf der Suche nach dem Herz der Dinge im Ungewissen irre.

Das Leben ist der Sturm der Gedanken, der in unserem Kopf tobt, wusste Mark Twain. Ein Augenblick der Windstille würde schon reichen, um eine Frage zu formulieren.

Im Vorhinein – das ist das Wesen des Genies. Ein Problem erkennen, das andere bewegen würde, wären sie sich dessen bewusst. Es definieren und die gesuchte Lösung in die richtige Frage gießen und diese dann beantworten, bevor sie gestellt werden kann.

Das Genie weiß die Antwort bereits vor der Frage, erkannte und postulierte kein Geringerer als Jean Cocteau. Er schrieb deshalb auf seine Visitenkarte schlicht Genie.

Der Same ist nun aufgegangen. Das Warum wird heute laufend beantwortet, keine Zeit muss mehr verschwendet werden, um Fragen zu formulieren, noch darauf, auf die Antwort zu warten.

Warum dieses oder jenes so ist, damit beginnen Titelzeilen von Publikationen aller Art. Das Zeitalter der Erleuchtung ist angebrochen und beglückt uns mit Antworten, zu denen Fragen zu stellen uns verwehrt bleibt. Wie schnell wird die Menschheit nun vorankommen? Es ist aus der Zeit gefallen, zu fragen, warum die Menschheit nun schneller vorankommt. So geht das.

Das warum als Frage war gestern. Es ist auch gefährlich, denn es kann Antworten liefern, denen man nicht gewachsen ist, für die die Erklärende Klasse noch keine Antworten hat oder die sie nicht mehr gestellt wissen will.

Ein abschreckendes Beispiel liefert der Film Zivilprozess mit John Travolta in der Hauptrolle. Er spielt darin einen Anwalt, der den Opfern eines Umweltproblems helfen will. Der Prozess verläuft nicht gut und Travolta stellt als klagender Anwalt die Frage warum, sich wohl daran erinnernd, dass ihm dieses Wort in der Ausbildung gründlich ausgeredet worden ist. Der Beklagte legt zornig los und erklärt warum. Der Anwalt steht hinterher noch schlechter da als zuvor.

Die Erkenntnis, besser nicht nach dem warum zu fragen, ist mittlerweile Allgemeingut geworden und Probleme wie in dem Film kommen immer seltener vor. In Wahrheit ist es würdig und recht, die Antwort zu liefern, bevor und auch ohne dass die Frage gestellt wird. Zweifel erübrigen sich und es spart Zeit. Die Erziehung des Publikums, an der der journalistischen wie der Erklärenden Klasse gelegen ist, kommt schneller und effizienter voran.

Eine Spielart ist die Titelzeilenvariante Was wir (darüber) wissen und was wir nicht wissen. Das inklusionistische wir schließt zuallererst einmal alle mit ein. Das, was wir nicht wissen, ist an sich schwieriger zu formulieren, weil wir es ja nicht wissen.

Möglicherweise sind damit nur die Sätze 5.6 (Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt) sowie 7 (Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen) aus Wittgensteins Tractatus aus der Zeit gefallen.

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Reinhard Kocznar

Reinhard Kocznar ist Versicherungsmakler und lebt in Birgitz. Berufliche Laufbahn: LKW-Fahrer, pragmatisierter Postbeamter, Bankkassier, Geschäftsführer in einem Nachtlokal, dann im Reifenhandel, anschließend Tätigkeit in der Versicherung, zuletzt als Direktor. Seit 30 Jahren selbständig als Versicherungsmakler, während 25 Jahren zweiter Beruf als Leiter eines Softwareentwicklungsteams und Systemadministrator. Als Schriftsteller hat Kocznar bisher 7 Bücher veröffentlicht: Krimis, Thriller, Erzählungen und Essays. Literarisch betreibt er den Online-Buch-Shop: www.hardboiled-krimis.com .

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