Reinhard Kocznar
Entbürokratisierung?
Demokratiepolitisch fragwürdig?
Analyse

Eine Struktur wurde geschaffen, die demokratiepolitisch nicht nur fragwürdig, sondern höchst fragwürdig ist, so der AK-Experte Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien. Sein Zorn entzündet sich an einem Vorhaben der alten wie neuen Kommissionspräsidentin, die mit dem Green Deal genug Unheil angerichtet hat. Im Augenblick geht es um Entbürokratisierung. Schon das Schlagwort triebe einem die Zornesröte ins Gesicht, würde man auch nur ein Wort davon glauben, wurde es doch nach jeder Entbürokratisierung schlimmer als vorher.

Bürokratisierung ist mit den unerschöpflichen Möglichkeiten der Informationstechnologie in eine neue Höhe gehoben worden.

Es beginnt schon mit der unsäglichen Förderung des Fremdenverkehrs, die nun digital vorgeschrieben wird, aber auch eine Rechnung über einige Euro Grundsteuer oder die Abgabe für die Abfallentsorgung der Gemeinde kann nicht mehr einfach per Email verschickt werden. Man erhält stattdessen ein Mail, dass ein amtliches Schriftstück bereitliegt. Dafür muss man sich in ein digitales Postfach einloggen, um es abholen zu können. Wo ist hier die Vereinfachung?

Mittlerweile muss sich unsereins als Versicherungsmakler über die Application GoAml, der Plattform für Verdachtsmeldungen bei Geldwäsche, anmelden. Das wäre technisch eine einfache Sache, die aber fürchterlich umgesetzt ist. Hat man das geschafft, geht erst gar nichts, einen Tag später schreibt das Bundeskriminalamt, dass man akzeptiert ist. Dann beginnt die Suche nach dem zutreffenden Einstiegspunkt.


Entbürokratisierung bedeutet mehr Bürokratie

Schon die ehemalige Bürgerkarte wurde in kurzen Abständen durch natürlich noch bessere Systeme ersetzt, wodurch der Registrierungsprozess jedes Mal neu gestartet werden muss. So passiert es häufig, dass man bei einer dieser digitalen Errungenschaften in einer Endlosschleife landet. Die private Wirtschaft ist hier nicht besser als die staatlichen Segnungen.

Auch dafür gibt es seit langem ein Murphy-Gesetz: If a program is useful, it has to be changed – wenn ein Programm nützlich ist, muss es geändert werden. Das ist auch wieder eine Endlosschleife, denn wirklich neu ist wenig, es sieht nur anders aus. Diesen Kreislauf abzustoppen wäre den Versuch wert.

Der Ärger der AK entzündet sich aber an der Absicht, erleichterte Berichtspflichten zu schaffen. Nur ein eingefleischter Bürokrat, der natürlich vom Geld derer lebt, die er kontrolliert, kann sich darüber ärgern.

Als Beispiel zieht der Experte ausgerechnet die Signa des Benkomaten heran. Die Signa ging ja als KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) durch, bemängelt er. Mittlerweile haben auch die Journalisten teilweise verstanden, wie das System funktionierte und wie viele durchaus ausgeschlafene Leute darauf hereingefallen sind. Schon die zahlreichen, lang verspäteten Jahresabschlüsse sind immer schon unter Berichtspflicht gefallen und riefen niemand auf den Plan, der längst eingreifen hätte müssen.


Flugstunden und Rasenmäher

Der Einwand unter Verwendung des Falles Signa lässt sich mit den Attacken auf die Wolkenkratzer in New York vergleichen. Lange vorher hatte eine Flugschule angezeigt, dass sich Piloten ausbilden ließen, die zwar fliegen lernen wollten, aber nicht landen. Hinterher weiß man, warum es ihnen nicht wichtig war, eine Landung hinzubekommen. Dass derartige Flugstunden aber niemals billig und in dieser Form sinnlos waren, hatte der Flugschule zu denken gegeben, nicht aber den Behörden.

Der AK-Experte stört sich besonders am One-In-One-Out Prinzip, dass also für jede neue Regelung eine alte wegfallen muss, und bezeichnet das als Rasenmäher-Prinzip. Das wiegt nun schwer, denn Leser dieses Blogs wissen um die immanenten Gefahren durch Rasenmäher.

Besser wäre, dass für jede neue Regelung mindestens zwei alte weg müssen. Bei dem Wust an Vorschriften könnte man das mit dem Lottoprinzip erledigen: einfach nummerieren und die Ziehung am Sonntagabend im Fernsehen übertragen.

Es kommt aber noch schlimmer. Ein KMU-Beauftragter ist angedacht. Der ist der EU-Präsidentin zugeordnet und nimmt an den Sitzungen des Regulatory Scrutinity Board (RSB) teil. Ein wahrhaft schönes Wort.

Das RSB ist ein Gremium innerhalb der Kommission, das – vereinfacht ausgedrückt – Folgeabschätzungen zu Gesetzesentwürfen erstellt. Was aus dem RSB wird, wird man sehen. Die Zielsetzung scheint aber sinnvoll, weshalb schon viele Einflüsterer um ihren Einfluss fürchten und warnend die Stimmen erheben.
Ärgerlich ist, dass etwa Gewerkschaften und NGOs Gesetzesentwürfe erst nach dem RSB zu sehen bekommen. Das wollen sie keinesfalls, das könnte ihren Einfluss schmälern.


Der Schwerkraftbeauftragte

Das RSB ist demokratiepolitisch, so der AK-Experte, nicht legitimiert. Wie ist das dann mit dem Ernährungs- oder Klimarat? Auch nicht anders, Herr Experte. Auch die AK mit ihrer Pflichtmitgliedschaft und ihrer kümmerlichen Wahlbeteiligung fiele darunter. Weiters haben NGOs da nichts verloren. Wenn sie mitreden wollen, sollen sie sich der Wahl stellen und können dann demokratisch legitimiert im Parlament Anträge stellen und mit abstimmen.

Bei den vielen Beauftragten, die alle unverzichtbare Arbeit leisten, wurde bisher aber ein sehr wichtiger übersehen. Was es noch nicht gibt ist ein Schwerkraftbeauftragter.

Die Schwerkraft ist für das Zusammenleben existenziell. Wenn sie uns eines Tages wegen laufender Missachtung im Stich lässt, dann schweben wir alle davon. Menschen, die ein wenig über den Tellerrand blicken, kleben sich deshalb jetzt schon probehalber am Boden fest und werden dafür auch noch angefeindet. Der Tag wird kommen, an dem wir ihnen dankbar sind.

Nach reiflichem Überlegen habe ich mich entschlossen, als Schwerkraftbeauftragter zur Verfügung zu stehen. Ich freue mich, eine Behörde ins Leben zu rufen und designe schon Emails, die ein amtliches Schriftstück mit beiliegendem SEPA-Formular ankündigen.
Mein Telefon steht bereit.

PS: Der Schoß ist furchtbar noch, aus dem das kroch. Oder sagte Brecht „fruchtbar“? Einerlei.
Eine deutsche Politikerin, von den Grünen – Überraschung, erkennt die erheblichen Gefahren des Rückwärtsgangs im Auto. Rückwärts parken soll abgeschafft werden. Bestehende Parkplätze würden weiterhin geduldet, aber neue müssen derart beschaffen sein, dass man nach vorn wegfahren kann. Keine Satire. Vielleicht sollte man Nägel mit Köpfen machen und ein Verbot von Rückwärtsgängen bei neu zugelassenen Autos einführen.

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Reinhard Kocznar

Reinhard Kocznar ist Versicherungsmakler und lebt in Birgitz. Seit 30 Jahren selbständig, während 25 Jahren zweiter Beruf als Leiter eines Softwareentwicklungsteams und Systemadministrator. Als Schriftsteller hat er bisher 7 Bücher veröffentlicht, Krimis, Thriller, Erzählungen und Essays. Literarisch betreibt er den Online-Buchshop: https://books.kocznar.com . Leidenschaftlicher Fotograf, Sportschütze und Motorradfahrer.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Robert Muskat

    Meisterhaft! Ihre Satire ist ein Genuss. Ich glaube aber zu wissen, warum alles derart verschlimmbessert wird: da unsere ach so arme Wirtschaft ja schrumpft, die Arbeitsplätze weniger werden und einige ins ( amerikanische) Ausland abwandern, will sich die Bürokratie der freigestellten Arbeitnehmer habhaft machen und sie in den Vorschriften-Dschungel verpflanzen. Dort können sie den ganzen Tag für fettes Gehalt neue Schikanen entwickeln und auch so manchen in die Kontrollabteilung abschieben.

    1. Reinhard Kocznar

      Verachtet mir die Meister nicht, fällt mir spät, aber doch ein, besonders die Meister im Vorschriftenmachen. Ich habe aber Hoffnung. Ich habe jemand kennengelernt, der einen guten Draht zum Therapeuten des Golflehrers von VdL hat, vielleicht bringt mich der in eine gute Position für den Schwerkraftbeauftragten. Zu dumm, war es der Golflehrer ihres Therapeuten?

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