Reinhard Kocznar
Die Wolfs-App ist nicht genug.
Es braucht auch eine Kuh-App.
Notizen
Die Wolfs-App ist sicher in naher Zukunft zu erwarten, denn seitens der EU gibt es bekanntlich eine lebensnahe Anleitung, wie man sich im Wald gegenüber Wölfen und Bären zu verhalten hat. Dieses Problem ist gelöst.
In der anstehenden Veröffentlichung der Wolfs-App kommt dann am Display: Diese/r Benutzer:in ist ein/e Wolf/Wölfin, sprechen Sie nach: Vater unser…
Bei Rindern, die unwirsch reagieren können, ist das einfacher. Man kümmert sich nicht um sie, denn sie reagieren nur. Vor einer Reaktion steht bekanntlich die Aktion.
Im vergangenen Jahr, auf dem Sattel meiner Kawa über dem schnurrenden Zweizylinder auf einer Passstraße dahingleitend, erblickte ich ein Rind an der steilen Straßenböschung, darunter einen Radfahrer in grotesker Verrenkung am Boden liegend. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass er keinesfalls von dem Biest attackiert und in einen Engpass manövriert worden war. Er hatte sich unter das Alien gelegt und fotografierte die Schnauze aus kurzer Distanz von unten mit dem Handy.
Elternteile, die versuchen, ein Kleinkind auf den Rücken einer Kuh zu platzieren, um diese Szene mit dem Handy zu verewigen, sind mir keine Seltenheit.
Vor einigen Jahren saßen meine Frau und ich am Bach im Kühtai und freuten uns am kühlen Wasser und der untergehenden Sonne. Von hinten trottete eine Gruppe schottischer Hochlandrinder heran und passierte friedlich, dabei immer wieder zum Grasen anhaltend. Sie hatten etliche ihrer Kleinen dabei, die mit ihrem wuscheligen Fell besonders nett aussehen.
Dieser Anblick veranlasste einen heimischen Autofahrer, abrupt heranzufahren und direkt davor anzuhalten. Der Insasse stieg aus, starrte die Szene an und begann zu fotografieren. Die Kühe nahmen abwehrende Haltung ein. Zu allem Überfluss sprang nun auch ein Hund aus dem Auto und wieselte hin und her. Die drei erwachsenen Kühe standen jetzt wie Bollwerke vor den Kleinen.
Endlich stieg der Ahnungslose wieder ein und fuhr ab. Sein beginnendes Problem, das er nicht erkannt hatte, war damit vorbei. Unser Problem begann jetzt erst. Wir hatten die Herde zwischen uns und dem Auto. Die drei Großen waren nicht mehr nett, sie drehten um und kamen langsam näher. Wir packten unsere wenigen Sachen ruhig zusammen und suchten ebenso ruhig, Abstand zu gewinnen.
Eine Kuh nahm uns ins Visier, meine Frau verzog sich hinter einen großen Stein, ich versuchte, über die Böschung zum Auto zu kommen. Auf einen Schrei meiner Frau hin schaute ich zurück und sah die Kuh mit gesenktem Kopf auf mich losrennen. Mit einem Satz war ich die Böschung hinunter und gelangte zurück zum Auto. Mich verscheucht zu haben reichte der Kuh offenbar. Wir konnten unversehrt das Weite suchen.
Die ganze Aktion wäre ohne den fotografierenden Idioten unterblieben, denn die Rinder sind harmlos. Sie haben uns nicht das erste Mal gesehen und nie beachtet.
Eine Szene auf der Alm. Ein Sommernachmittag. Die Terrasse ist gut besucht, vor der Terrasse breitet sich die Wiese aus, auf der eine Herde Kühe liegt, die mit dem Verdauen beschäftigt sind. Dahinter steigt der Wald an. Rechts führt in einiger Entfernung die Straße vorbei, die über eine Brücke führt, unter der ein kleiner Bach in die Wiese weiterfließt.
Von der Straße her stolpert ein Mann durch die Wiese auf die Kuhherde zu. Halbschuhe, Bügelfaltenhose und offenes, blaues Hemd, hält einen Fotoapparat in der Hand. Er rudert mit den Armen in Richtung zu seiner Frau, die jenseits des Bachs in weiter Entfernung der Herde steht. Sie weist sein Ansinnen sichtbar ab.
In der Nähe der liegenden Kühe angelangt rudert er wieder. Seine Frau schüttelt, aus der Ferne erkennbar, den Kopf und wendet sich ab. Komm zurück, bedeutet das augenscheinlich. Er steht ratlos, wollte offenbar seiner Frau zeigen, wie er ein Alien fotografiert.
Eine Kuh am Rand der Herde, in der Nähe des Bachs, steht auf und schaut ihn an, eine andere in der Nähe der Terrasse ebenfalls. Er ist ratlos.
Die erste Kuh geht auf ihn zu und hält wieder an, auf der Terrasse ist es nun still geworden. Man kann alle fast schmunzeln hören. Rechts ab, an der Böschung zur Straße, nahe der Brücke steht soeben eine dritte Kuh. Der Ruderknecht ist sozusagen eingekreist.
Die erste kommt näher, hält dabei immer wieder an. Allmählich wird ihm mulmig, er geht langsam zurück, stolpert natürlich beim Rückwärtsgehen. Die Kühe schließen auf. Die Kuh-Chefin läuft ein paar Schritte, er rennt weg, nur kurz, weil die Kuh wieder stehen bleibt. Jetzt rennt er, hat einer spöttisch kommentiert. Der Ruderknecht hat die ganze Terrasse als Publikum.
Weil er keinen Ausweg mehr weiß, tapst er durch den Bach und rettet sich jenseits der Brücke über die Böschung auf die Straße. Der vierbeinige Posten an der Brücke klettert über die Böschung und geht ihm über die Brücke hinaus ein Stück weit nach, bis er außer Sicht ist. Dann kommt die Kuh zurück zur Herde.
Nun fällt ein Mann auf, der mitten in der Herde steht. Er ist vom Wald heruntergekommen und hat die Straße jenseits der Wiese als Ziel. Gekleidet ist er zeitgemäß in buntes Plastik, orange und gelb, hat eben sein Handy hervorgeholt.
Vermutlich muss er die Statusmeldung eines Freundes kommentieren. Dann steckt er das Handy ein, durchquert die Herde und verlässt sie. Keine einzige Kuh hat ihn auch nur angesehen.
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