Reinhard Kocznar
Wiener Zeitung
Dieser Journalismus ist aus der Zeit gefallen.
Notizen
Es geht um die Existenz, allerdings nur um die Existenz einiger weniger. Deren Sorge manifestiert sich in einem erneuten Rundschreiben der IG Autorinnen Autoren mit dem Aufruf – Die Wiener Zeitung muss bleiben!
Einer der Gründe lautet, sie sei die älteste Zeitung der Welt, gegründet 1703. Das geschah also lange vor Kaiser Joseph II. Da dieser im Zug seiner Reformen unter anderem alle Klöster auflöste, welche sich nur der Beschaulichkeit hingaben, muss die Wiener Zeitung damals noch produktiver gewesen sein. Heute ist sie nur mehr Journalismus, Mainstream.
Sie hatte allerdings, sofern das bei der ersten und somit einzigen Zeitung so gesagt werden kann, von Anfang an ein Alleinstellungsmerkmal. Amtliche Verlautbarungen erschienen in ihr: somit musste sie gelesen werden. Ein bestimmter Abnehmerkreis war garantiert. Damit stand von vornherein fest, wie viel Geld in die Kasse kam.
Das war das Amtsblatt zur Wiener Zeitung. Es war so wichtig, dass ein Wiener Literat sogar zur Spezifikation das Wiener Schnitzel heranzog. Er postulierte, das Schnitzel müsse so dünn sein, dass, lege man es auf das Amtsblatt, und es wäre nicht paniert, die amtlichen Mitteilungen noch durchscheinen müssten.
Der Inhalt der Wiener Zeitung selbst, womit sie beileibe kein Alleinstellungsmerkmal hat, war stets ähnlich dünn. Die Konsumenten haben in den letzten Jahren darüber abgestimmt. Sie gingen weg und ließen die Copy&Paste-Fraktion, die Journalist:innen, hinter sich. Copy&Paste, was APA-Meldungen betrifft, die identisch in allen journalistischen Produkten erscheinen, der Rest besteht aus Belehrung, Korrektur und Gouvernantentum, was den größten Teil dieser Produkte ausmacht.
Die journalistische Klasse ficht das nicht an. Für sie braucht es keinen Markt, denken sie. Was sie schreiben ist wichtig. Too important to fail, titelte die FTD (Financial Times Deutschland), bevor ihr eine starke Frau den Stecker zog. Die FTD hatte in den zehn Jahren ihres Erscheinens kein einziges Jahr mit schwarzen Zahlen geschrieben. Für das seinerzeitige selbsternannte Flaggschiff des Wirtschaftsjournalismus eine beachtliche Leistung.
Stoppen Sie den Ausverkauf von Gruner+Jahr, forderten Journalisten Ende 2022 lautstark. Das schade dem Qualitätsjournalismus, womit wir wieder bei wichtig sind. Jahrzehntelang hatten die Eigentümer milliardenschwere Umsätze damit gemacht. Dass es damit vorbei ist, spielt offenbar keine Rolle. Dass das Geschäft offensichtlich von anderen Personen mit besseren Inhalten gemacht wird, während man am Publikum vorbeischreibt, spielt auch keine Rolle. Verunsicherung erkennt der Betriebsrat und kritisiert die Unternehmensleitung scharf. Verunsicherung könnte allerdings auch zum Nachdenken bringen, aber diese Gefahr droht nicht.
In einem anderen Qualitätsblatt (mit diesem Begriff ehren sich Auserwählte gegenseitig) finde ich eine Umfrage. Die Mehrheit bezweifelt, dass die GIS-Gebühren gerechtfertigt sind. Der ORF sei zu weit links und sein Geld nicht wert. Die Studie über politische Ausrichtung bei Volontären einer deutschen Fernsehanstalt ergab bekanntlich 92% Linke, davon über 50% Grüne.
Für wen so eine Crew produziert, ist klar, und für wen nicht, ebenfalls. Bezahlen dürfen aber alle, sogar die, die den ORF gar nicht konsumieren. Den Begriff Zwangsgebühren finden deren Nutznießer unstatthaft. Gegen diejenigen, die nicht bezahlen, wird allerdings Exekution geführt. Ganz falsch kann der Begriff also nicht sein.
Der ORF ist eine Firma, die genau weiß, wie viel sie im kommenden Jahr verdient, im Jahr darauf – und so weiter. Sie sollte daher auch genau wissen, was sie sich leisten kann. Wenn sie dennoch mit ihrem Geld nicht auskommt, ist jedes Verständnis unangebracht.
Weniger Meinung wagen, lese ich, auf einer journalistischen Selbstbetrachtungsplattform. Da liegen sie nicht falsch, allerdings dürfte auch dieser Ansatz von Erkenntnis so folgenlos vorübergehen wie früher: 500 Journalistenpreise sind genug!
Unwillkürlich denkt man dabei an den preisüberhäuften Spiegel-Journalisten Relotius mit seinen erfundenen Schicksalen. Da ist auch nicht alles vorbei. Ende 2022 räumte der Spiegel einen Fehler ein. Berichte aus dem August über ein totes Flüchtlingsmädchen an der türkisch-griechischen Grenze waren erfunden.
Meinungsstark sind sie zweifellos, mehr aber nicht. Vielleicht versucht es der Journalismus doch einmal mit weniger Meinung und mit mehr Information. Für das Informationszeitalter wäre das nicht die schlechteste Idee. Im Moment ist die Medienbranche jedenfalls aus der Zeit gefallen!
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