Reinhard Kocznar
Make my day.
Über Clint Eastwood und
ein angebliches Interview
Notizen
Go ahead, make my day…mit diesen Worten zeigt Inspektor Calahan, alias Dirty Harry, dem Kidnapper seine .44 Magnum und macht ihm klar, dass ihn sein Glück verlassen hat.
Clint Eastwood, alias Dirty Harry, war zu dieser Zeit schon weltberühmt. Dieser Tage erreichte er das stolze Alter von 95 Jahren und ist noch immer fit und im Geschäft. Die österreichische Tageszeitung Kurier schaffte es aus diesem Anlass, vermutlich als einzige österreichische Zeitung von Eastwood namentlich erwähnt zu werden und zu zweifelhaftem Weltruhm zu gelangen.
Sie hatte sich unglücklicherweise der Methode des Kidnapping bedient, was bei Dirty Harry naturgemäß schlecht ankommen musste.
Eine Expertin, Noch-Zeitungsleser:innen ist dieser Terminus geläufig, Hollywood-Kennerin, deren Nähe zu großen Hollywood-Stars fraglos bekannt ist, hatte den Geburtstag in ihrem Terminkalender verfügbar und ging ihren digitalen Zettelkasten durch. Was sie in den letzten Jahren an Zitaten aufgeschnappt oder an Schnipseln gesammelt hatte und ihr passend erschien, stopfte sie in ein Interview, das nie stattgefunden hatte, aber im Kurier erschien.
Schlagartig verbreitete sich das Interview über die ganze Planetin.
Der Kurier erreichte über Nacht weltweite Beachtung, wenngleich in wenig schmeichelhafter Weise. Das Filmmagazin Deadline bemerkte: Obwohl die Zeitung nur eine Auflage von etwa 100.000 Exemplaren hat, verbreitete sich der Beitrag viral…und weiter: es sei nur fair, dass Clint Eastwood das letzte Wort hat:
„A couple of items about me have recently shown up in the news,“ Eastwood said in a statement to Deadline. “I thought I would set the record straight. I can confirm I’ve turned 95. I can also confirm that I never gave an interview to an Austrian publication called Kurier, or any other writer in recent weeks, and that the interview is entirely phony.“
(„In letzter Zeit sind einige Artikel über mich in den Nachrichten aufgetaucht“, sagte Eastwood in einer Stellungnahme gegenüber Deadline. „Ich wollte das klarstellen. Ich kann bestätigen, dass ich 95 Jahre alt geworden bin. Ich kann außerdem bestätigen, dass ich in den letzten Wochen weder dem österreichischen Kurier noch einem anderen Autor ein Interview gegeben habe und dass das Interview völlig gefälscht ist.“)
Da der Beitrag am 2. Juni erschien und nicht beanstandet wurde, dürfte dieses Zitat aus Deadline echt sein. So ein präzises Statement schaffte der Kurier nicht. Der wortreiche Versuch, sich aus der Affäre zu ziehen, geriet peinlich. Der Chefredakteur stellte fest, dass eigentlich alles so stimme, weil die Erfinderin des Interviews zahlreiche Notizen besäße, welche das Interview eigentlich bestätigten. Eigentlich.
Der Chefredakteur hatte keinen Zweifel. Die Urheberin des Textes sei eine bekannte Hollywoodkennerin. Ja dann. Sie ist auch Mitglied der Hollywood Foreign Press Association, welche die Golden Globes vergibt.
Ob diese Mitglieder die Filme auch gesehen haben, zu denen sie Preise verleihen? Immerhin sah sich die Academy of Motion Picture Arts veranlasst vorzuschreiben, dass deren Mitglieder die für den Oscar nominierten Filme auch tatsächlich gesehen haben müssen, um in der Endrunde der Abstimmung teilnehmen zu dürfen. Sie müssen das nun nachweisen.
Alles wird gut. Im Moment ist es das offensichtlich nicht.
Da hat eine Korrespondentin anlässlich des 95sten Geburtstags einer bekannten Person ihr Archiv durchstöbert und ein Interview konstruiert. Auch wenn das alles irgendwann gesagt worden sein mag, so darf man der angeblich interviewten Person wohl zutrauen, ihre Ansichten in einem tatsächlich geführten Interview selbst zu formulieren.
Natürlich ist simple Wichtigtuerei der Anlass für diese Fälschung. Eine kurze Entschuldigung, verbunden mit dem Hinweis, dass die Anekdotensammlerin gefeuert ist, wäre dem Chefredakteur besser angestanden. Er hätte mit einem Blick sehen müssen, dass ihm von der Expertin eine zusammengestoppelte Liste als Interview angedient wurde, eine Auswahl an Zitaten, die einzeln als Kalendersprüche ausreichen würden.
Das wortreiche Gesundbeten dieser Verfehlung kontrastiert erheblich mit dem beträchtlichen Medienecho wegen einer einzigen angeblich ungenauen Antwort im Untersuchungsausschuss durch den damaligen Kanzler Kurz. Die Rede ist von tausenden Seiten im Ermittlungsakt, 30 Zeugen und 10.000 Berichten, bis das Berufungsgericht die Farce beendete.
Dass manche gleicher sind als andere ist nichts Neues.
Anlässlich des Falles Claas Relotius im Jahr 2019, der mit Preisen überhäufte Spiegel-Korrespondent, der seine Tränendrüsen-Geschichten erfunden hatte, habe ich einige ähnliche Vorfälle abgespeichert, aber nicht lange. Es kamen ständig neue ans Tageslicht.
In diesem Jahr trennte sich das SZ-Magazin von einer Autorin, die ihren Protagonisten erfunden hatte. Bei der Doku Hautnah des WDR stellte sich heraus, dass die Macherin der Sendung ihre Protagonisten auch erfunden hatte, Zuschauer bemängelten, dass ein und derselbe Komparse verschiedene, aber angeblich echte Schicksale zum Besten gab. Unvorsichtigerweise hatte die Verantwortliche die vorgeblich echten Personen bei derselben Komparsenagentur gebucht. Dem Publikum fiel das bald auf, den Sendungsverantwortlichen offenbar nicht.
In der Weltwoche verbreitete sich ein gewisser Tom Kummer über Fälschungen. Er wusste, wovon er redete, hatte er doch schon erfundene Interviews mit Sharon Stone und Bruce Willis veröffentlicht. Seit damals habe ich das nicht mehr verfolgt, es geht so weiter und hat keine Konsequenzen. Manche werden für nachgewiesene Fälschungen sogar noch mit Preisen geehrt.
Der politisch korrekt positionierte Schriftsteller Robert Menasse wurde der Fälschung überführt, einer sehr dreisten sogar. Er hatte Texte von Hallstein erfunden und seine diesbezüglichen Reden nach Auschwitz verortet, wie man dazu sagt.
Die Anführungszeichen waren, vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, ein Fehler…Dafür entschuldige ich mich, das tut mir leid.
Ja dann. Es ist wie mit der Flugscham, ein wenig schämen, dann wird alles gut und ich kann verwenden, was mir nach außen Sorge bereitet. Menasse wurde daraufhin auf Betreiben der Landesregierung Rheinland-Pfalz trotz vielfacher Kritik der Zuckmayer-Preis wegen seiner Verdienste um die deutsche Sprache nicht aberkannt. Ja dann.
Um den Kreis mit Clint Eastwood zu schließen, im Jahr 2018 erschien im Playboy ein Interview mit dem legendären Komponisten Ennio Morricone. Morricone zog darin über alle her, die Rang und Namen im Filmgeschäft hatten und machte jeden und jede herunter. Das Interview verbreitete sich weltweit. Das Problem daran war, dass es nicht stattgefunden hatte. Natürlich wand sich der Verlag erbärmlich, um das nicht einfach einzugestehen zu müssen.
Morricone beauftragte seinen Anwalt, um das zu beenden. Im Filmmagazin Vulture wird er zitiert: This is totally false. I have not given an interview to Playboy Germany.
Entirely phony. Nichts Neues unter der Sonne.
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