Norbert Hölzl
Die neuen Nobelpreisträger und
das alte Österreich
Notizen
Zwei der drei neuen Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daron Acemoglu und James A. Robinson, wurden für ihr gemeinsames Buch ausgezeichnet: Warum Nationen scheitern. Sie stellen die faszinierende Frage, warum Macht, Wohlstand und Armut auf der Welt so ungleich verteilt sind und wessen Schuld das ist.
Mir ist nirgends aufgefallen, dass die niederschmetternden Aussagen der beiden Nobelpreisträger über das alte Österreich irgendwo zitiert worden wären. Dabei begründen sie ausführlich, warum Österreich nach Radetzky alle Kriege auch technisch verloren hat und warum es schließlich an seiner Arroganz untergegangen ist.
Kaiser Franz I. verbot im Wiener Raum den Bau von Fabriken, ja sogar die Einfuhr neuer Maschinen. Aus Angst, die Privilegien der Hocharistokratie könnten durch die Ansammlung tausender Arbeiter gefährdet werden. Die Menschen sollten gefälligst brav und in Armut am Land bleiben, während in England die Industrialisierung geradezu explodierte.
Den Untertanen des Habsburgerreichs verkaufte man bis um 1860 den anachronistischen Unfug einer Pferdeeisenbahn von Linz nach Budweis als Fortschritt. Sie war so kurvenreich, dass die Schienen später nicht einmal für Lokomotiven verwendet werden konnten. Das Angebot des Bankhauses Rothschild, auf eigene Kosten eine Dampfeisenbahn zu bauen, wurde abgelehnt und verboten. Das Feudalsystem könnte ja Risse bekommen.
Im Jahr 1883 wurden 90 Prozent der Welteisenmenge mit Steinkohle hergestellt. Zu fortschrittlich! Im Habsburgerreich war die wenig effiziente Holzkohle vorgeschrieben. Ich zitiere wörtlich, was ich bisher nicht wusste: Bis zum Ende des Reiches im Ersten Weltkrieg wurde die Weberei nie völlig mechanisiert, sondern immer noch manuell betrieben.
Wen wundert es da noch, dass der von Uniformen besessene Kaiser Franz Joseph seine Soldaten ohne Stahlhelme in die Schlachten schickte? Anders war es in England, aber sehr ähnlich in Russland, wo man eisern an der Leibeigenschaft, einer Form der Sklaverei festhielt: bis zum Zusammenbruch. Leibeigene konnten gegen Jagdhunde getauscht werden.
Nichts schreiben die US Autoren über Kaiser Franz Joseph. Der wird in der Literatur bei uns bis heute verklärt. Ich war für den ORF in Ägypten und konnte nachweisen, dass die einzige Leistung dieses Totengräbers Österreichs, wie Erwin Ringel ihn immer wieder beschrieb, darin bestand, darauf zu drängen, dass die Einfahrt des Suezkanals Kaiser Franz Joseph Kai genannt wurde und dass der Schöpfer des Kanals, einer der genialsten Verkehrstechniker des Jahrhunderts, der Tiroler Alois Negrelli, bis zum Ende der Monarchie nicht genannt werden durfte. Er war einmal zu wenig unterwürfig gewesen.
Dass wir Negrelli die Semmering-Bahn verdanken, ist bis heute so gut wie unbekannt. Nur Negrelli setzte sich für den Plan von Carlo Ghega ein. So baute ein in Wien abgelehnter Venezianer die erste Gebirgseisenbahn der Welt. Dass mit Suezkanal und Semmeringbahn Wien plötzlich Indien und dem fernen Osten unvergleichlich näher war als London, hat einen Franz Joseph doch nicht interessiert.
Über diese zu Unrecht verklärte Type schreibe ich sicher noch. Inzwischen freue ich mich, dass die beiden Nobelpreisträger auch mich die österreichische Geschichte besser verstehen lassen. Und ich verstehe plötzlich, warum Österreichs Historiker nicht in die Nähe von Nobelpreisehren kommen.
Daron Acemoglu , James A. Robinson: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut. Ausgezeichnet mit dem Wirtschaftsnobelpreis 2024 . Kindle 14,99. Derzeit nicht im Druck verfügbar.
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